Kirche und Diversität

Wer ist geeignet für die Seelsorge?

Wie geht man in Zeiten der "OutInChurch"-Bewegung mit dem Thema "Diversität und Vielfalt" um? Welche Rolle spielt es in der Ausbildung von zukünftigen Seelsorgerinnen und Seelsorgern in der Erzdiözese? Im Interview antworten darauf Regens Wolfgang Lehner und Andreas Beer vom Ausbildungszentrum für Pastoralreferenten.

Interview im Studio des Münchner Kirchenradios (von links): Regens Wolfgang Lehner, Rektor Andreas Beer, MK-Redakteur Joachim Burghardt und stellv. MK-Chefredakteur Florian Ertl © SMB/Bauer

mk online: Welche Interessenten kommen bei Ihnen im Priesterseminar und im Ausbildungszentrum vorbei, was sind das für Menschen?

Wolfgang Lehner, Regens des Münchner Priesterseminars: Grundsätzlich klopfen an die Pforte des Priesterseminars Männer, das ist die erste Präzisierung, die ich geben kann. Es handelt sich um eine bestimmte Altersstufe, so zwischen 18 und 30 plus, vereinzelt gibt es auch Leute, die ein wenig darüber sind. Bei der Herkunft gibt es immer wieder Veränderungen – so hatten wir in den vergangenen drei, vier Jahren nur Interessenten aus der Stadt München, seit letztem Jahr hat es sich wieder mehr in Richtung Land bewegt. So waren bei unserem jüngsten Infowochenende auch wieder Interessenten aus dem ländlichen Raum mit dabei. Ansonsten kann man sagen, dass die allermeisten immer noch Pfarreihintergrund haben und Ministranten, im Pfarrgemeinderat oder Lektoren waren.

Andreas Beer, Rektor des Ausbildungszentrums für Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten in der Erzdiözese (ABZ): Bei uns ist das mittlerweile ein tatsächlich sehr diverses Bild geworden. Vom Abiturienten, der frisch vom Abi kommt, bis hin zu Damen oder Herren, die schon um die 50 sind, eine berufliche Vita hinter sich haben und im zweiten Lebensabschnitt in einen anderen Beruf möchten, der, wie sie sagen, ihnen „mehr Sinn verspricht“. So haben wir bei uns verschiedene Verfahren, entweder eins für Quereinsteiger, also für Leute, die schon aus Berufen kommen, oder unsere studienbegleitende Ausbildung. Auch hier ist es verschieden – da gibt es welche mit einem mehr charismatischen Hintergrund, andere aus der klassischen Jugend- und Pfarreiarbeit, wieder andere, die den Glauben in der Schule über einen guten Religionsunterricht kennengelernt haben, oder auch solche, die mehr oder weniger selbst zum Glauben gekommen sind und sich als junge Erwachsene haben taufen lassen. Oder solche, die ganz klassisch über die Familie, von den Eltern oder Großeltern geprägt, in die Kirche hineingewachsen sind.

Welche Voraussetzungen knüpfen Sie an die verschiedenen Bewerberinnen und Bewerber?

Beer: Eine unabdingbare Grundvoraussetzung für uns in der Ausbildungsleitung und für unsere Mentorinnen und Mentoren, also unsere geistlichen Begleitungen, ist, dass es auf alle Fälle Menschen sind, die offen sind und bereit, auf die Suche zu gehen. Suboptimal und kontraproduktiv wäre, wenn jemand sagt: „Ich bin mit meiner Persönlichkeitsentwicklung und mit meinem Glauben fertig, mir braucht man eigentlich nichts mehr zu erzählen. So wie ich bin, kann ich in den Beruf starten.“ Das ist absolut kontraproduktiv. Wir wünschen uns offene Menschen, die bereit sind, allein und in der Gruppe mit Begleitung und Anleitung zu schauen, wie sie Seelsorgerin, Seelsorger werden können, und die bereit sind, sich hier auf den Weg zu machen.

Lehner: Ich kann mich dem vorbehaltlos anschließen. Auch bei mir wäre es problematisch, wenn sich mir jemand als mehr oder weniger „weihefähig“ vorstellen würde. Das wäre sogar sehr schnell ein Ausschlusskriterium. Zwei Dinge möchte ich noch ergänzen: Erstens die Frage, ob vor mir jemand steht, der mir eine altersgemäße menschliche Reife vermittelt – zur Gesprächsfähigkeit, zur Dialogfähigkeit im menschlichen Umgang. Kann jemand Beziehungen aufnehmen? Kann jemand von sich sach- und personengerecht sprechen? Das sind so erste Marker. Ein zweiter Punkt: Kann mir jemand auf irgendeine Weise plausibel vermitteln, warum und wozu er Priester werden möchte? Da gibt es die verschiedensten Motivationen, sehr greifbare und konkrete, weil jemand Pfarrerfahrung hat und sagt: „Das möchte ich in meinem Leben auch umsetzen.“ Manchmal sind die Motivationen auch nicht gleich nachvollziehbar, manchmal sogar abstrus.

Gibt es also Einstellungen, bei denen Sie sagen: „Nein, hier trennen sich unsere Wege“?

Lehner: Es kommt darauf an, ob jemand schon bei uns im Seminar lebt und sich im Lauf der Zeit erst derartige Einstellungen zeigen, dann greift hier eine andere Kriteriologie. Wenn mir jemand beim Vorstellungsgespräch nicht plausibel machen kann, wozu und warum er hier bei uns ist, dann muss ich gleich sagen: „Das macht für mich nicht wirklich Sinn.“ Das hängt dann meistens mit Kirchen- oder Priesterbildern zusammen, von denen ich sage: „Die finden Sie bei uns in der Erzdiözese so nicht.“

Beer: Bei uns muss man, wie schon gesagt, unterscheiden. Kommt jemand mit einem schon fertigen Theologiestudium zu uns, greift das sogenannte Quereinsteigerverfahren. Da haben wir relativ wenig Zeit. Für so jemanden gibt es ein Bewerbungsgespräch und danach einen sogenannten Standorttag, den man sich so ähnlich vorstellen kann wie ein Assessment-Center (Anm. d. Red.: engl. assessment = „Beurteilung“, eine Methode zur Einschätzung von Personen, vor allem in den Bereichen der Personalauswahl), wo vier erfahrene Seelsorgerinnen oder Seelsorger und eine Psychologin oder ein Psychologe einen Tag lang auf die Bewerberin oder den Bewerber schauen, in der Gruppe mit anderen, wo sich dann schon zeigen würde, ob der oder die in irgendeiner Art und Weise unterwegs ist, sei es menschenverachtend oder in anderen Dingen, die für uns einfach „No-Gos“ wären. Darauf folgt noch ein anschließendes sechswöchiges Vollzeitpraktikum oder berufsbegleitendes Praktikum, wo man von den Anleitern im Team Rückmeldungen bekommen würde. In der studienbegleitenden Ausbildung haben wir über die fünf Jahre des gesamten Studiums hin Zeit, die einzelne Bewerberin und den einzelnen Bewerber zu beobachten und zu begleiten.

Wie genau behalten Sie im Lauf der Zeit, in der Ausbildung, die persönliche Lebensführung jedes Einzelnen der Bewerberinnen und Bewerber im Auge? Wie viele Gespräche werden hier geführt, wie geprüft, wie sich jemand verhält?

Beer: Bei uns gibt es ein Jahresgespräch mit der Ausbildungsleitung, zu dem im Laufe der studienbegleitenden Ausbildung diverse Praktika hinzukommen. Uns ist immer sehr daran gelegen, den Blick der Bewerberin, des Bewerbers zu verobjektivieren durch Anleitungen, durch Teams vor Ort. Wie zeigt sie/er sich in einem Diakonie-Praktikum, wie in einem Jugendseelsorge-Praktikum, wie im Krankenhausseelsorge-Praktikum, wie in einem Gemeindeseelsorge-Praktikum? Das sind alles verschiedene Felder, wo man sich ausprobieren, aber auch zeigen muss und wo man Rückmeldungen zu seiner Person bekommt.

Lehner: Die Praktika, die Rektor Beer genannt hat, haben wir im Priesterseminar in ziemlich gleicher Weise auch. Bei uns ist noch eine etwas andere Grundvoraussetzung dadurch gegeben, dass die Seminaristen über mehrere Jahre bei uns wohnen. Das heißt, wir erleben einander im Alltag mit allen Stärken und allen Schwächen. Natürlich ist nicht jedes Frühstück oder jedes Mittagessen eine Beurteilungssituation. Aber wenn ich Verhaltensmuster über längere Zeit hin erlebe, wahrnehme und sortiere, dann komme ich doch auch zu einer ganz guten Einschätzung der Person – was nicht bedeutet, dass wir uns nicht auch irren können. Ich erhebe nicht den Anspruch, zu glauben, dass ich mit dem, was ich an Möglichkeiten habe zur Begleitung und Beurteilung, immer richtig liege.

Wie wird mit Bewerbern umgegangen, die queer sind, das heißt, was, wenn jemand bei Ihnen vorstellig wird, von dem erkennbar ist oder der es auch offen kommuniziert, dass er beispielsweise homosexuell ist? Oder wenn er gehandicapt ist oder auf irgendeine eine andere Weise dem „Idealbild“ nicht entspricht?

Beer: Wir sind seit 1. Januar dieses Jahres durch die neue Grundordnung einen großen Schritt weiter. Hier ist klar festgelegt, dass die private Beziehungsgestaltung kirchenrechtlichen Bewertungen entzogen ist. Für uns ist es also kein Problem, ob einer schwul oder lesbisch ist, in schwul-lesbischer Beziehung oder Ehe lebt. Für uns ist entscheidend, ob das ein Mensch ist, der für die Seelsorge geeignet ist, bei dem die dafür erforderlichen Kompetenzen stimmen. Und dies ist nicht noch einmal auf seine Sexualität hin zu überprüfen. Das ist für uns ein Quantensprung, weil wir bis dahin immer wieder Bewerberinnen oder Bewerber hatten, die, um ihre Beziehung authentisch leben zu können, aus den genannten Gründen entschieden, nicht als Seelsorgerin oder Seelsorger in der katholischen Kirche zu arbeiten. Dass dies nun möglich ist, freut mich und unsere Hausgemeinschaft sehr.

Bei den Bewerbern für das Priesteramt ist es noch ein wenig anders bezüglich der sexuellen Ausrichtung…

Lehner: Weil Sie von „Idealbild“ sprachen, möchte ich erst einmal betonen: Eine Priesterweihe ist keine Heiligsprechung. Es geht nicht darum, dass wir nur ideale Bewerber durch eine ideale Vorbereitung auf den idealen Priesterdienst hin weiterleiten. Sexualität ist immer ein Teil der Persönlichkeit, ein Ausschnitt. Wir beurteilen und begleiten Menschen als Gesamtpersönlichkeit. Deswegen tue ich mich schwer zu sagen: „Nein, jemand ist überhaupt nicht geeignet, weil er homosexuell ist“ oder „jemand ist deswegen geeignet, weil er homosexuell ist“. Wenn jemand zu mir kommt, sich vorstellt und sagt: „Übrigens, ich bin homosexuell“, dann versuche ich dies erst einmal im Gesamtauftreten des Bewerbers einzuordnen. Wie gibt er sich, wie zeigt er sich? Wenn wir uns entschieden haben, ihn zu nehmen, dann schauen wir, wie präsent, wie tagesaktuell dieses Thema ist. Wird dieser Mensch mehr oder weniger beständig vom Thema der sexuellen Orientierung geprägt, ist dies sein Tagesthema, kennt er nichts anderes? Dann würde ich dies als sehr einseitig empfinden. Wenn ich aber merke, hier steht eine stimmige Persönlichkeit vor mir, die Dinge gut einordnen kann, jemand, der gesunde Beziehungen zu Männern und zu Frauen hat, der seine sexuelle Orientierung nicht ständig thematisieren muss, dann würde ich nicht a priori sagen, der kann nicht geweiht werden, denn hier geht es um einen größeren Komplex.

Die bloße Tatsache der homosexuellen Neigung muss also nicht unbedingt ein Ausschlusskriterium für die Priesterweihe sein?

Lehner: Das Positiv-Kriterium für mich ist: Kann jemand gesunde und gute Beziehungen zu Männern und Frauen aufbauen, haben wir die begründete Vermutung, dass dies auch ein Leben lang hält?

Nochmal nachgefragt zu gehandicapten Bewerbern: Gibt es größere Schwierigkeiten oder gar Ausschlusskriterien, wenn jemand in körperlicher oder geistig-psychischer Hinsicht eingeschränkt ist?

Beer: Wir haben in unserer Berufsgruppe eine blinde Kollegin und einen Kollegen, der im Rollstuhl sitzt. Das funktioniert sehr gut. Körperbehinderung an sich ist kein Problem. Bei psychischen Einschränkungen jedoch muss man schon sehr genau hinschauen, weil diese Leute als Seelsorgerinnen und Seelsorger ja anderen Menschen als Hirtin oder Hirte zur Seite stehen sollen.

Lehner: Für mich stellen sich immer diese zwei Fragen: Kann jemand wirklich selbstständig einen guten Dienst in der Kirche tun, also aus eigenen Kräften und mit dem, was er an Ressourcen hat? Und kann dies nachhaltig geschehen, also nicht nur für ein Jahr, sondern über einen längeren Zeitraum hin?

Wie steht es mit Ihren Räumlichkeiten? Sind das Priesterseminar und das ABZ barrierefrei?

Lehner: Das Erdgeschoss im Seminar ist barrierefrei. Die Zimmer der Seminaristen selbst jedoch sind so klein, dass sie tatsächlich nicht rollstuhlgerecht sind. Da müsste man bei Bedarf nach baulichen Lösungen schauen.

Beer: Auch bei uns ist Barrierefreiheit leider nicht ganz der Fall. Weil der Kollege im Rollstuhl immer noch gern im ABZ vorbeischaut, heißt es dann immer gemeinsam anzupacken und die wenigen Stufen nach oben zu unserer Hauskapelle in einem guten Miteinander zu bewältigen.

Ein gutes Miteinander ist ein gutes Stichwort – kommen wir zum Geist, der in Ihren Einrichtungen herrscht. Sind hier Themen wie Diversität oder Pluralismus der Meinungen Teil der Hauskultur? In welcher Form oder bei welchen Gelegenheiten wird dem Rechnung getragen?

Beer: Bei uns absolut, schon allein wegen der verschiedenen Altersgruppen und Zugangswege, die ich eingangs erwähnt habe. Hieraus ergibt sich eine sehr diverse Mischung von Personen, die bei uns zusammenkommen. Einmal pro Woche, am Donnerstag, gibt es ein gemeinsames Treffen zum Gottesdienst und anschließenden Austausch. Die einzelnen Gottesdienstgestaltungen, es sind zumeist Wort-Gottes-Feiern, sind in der Regel sehr bunt und unterschiedlich. Und natürlich regt es auch zur Auseinandersetzung an, wenn unsere Studierenden gemeinsam von der Uni kommen, sich mittags bei uns im Haus etwas kochen und dann darüber sprechen, wie jeder die Vorlesung erlebt hat. Da gibt es viel an Diskussion und Austausch, natürlich nicht immer mit der gleichen Meinung, das muss ja auch nicht sein. Das Entscheidende ist, dass ich meine eigene Meinung nicht absolut setze, sondern bereit bin, zu lernen, den anderen auf seinem Weg und seine Meinung auch gelten zu lassen. 

Lehner: Ich glaube, das Gegenteil von Meinungsvielfalt wäre schon der erst Schritt zum geistlichen Missbrauch. Es gibt sehr unterschiedliche Meinungen und Standpunkte bei unseren Seminaristen, auch wenn diese nicht bei jeder Gelegenheit auftauchen. Für das Priesterseminar möchte ich zudem die kulturelle Seite noch einmal stärker betonen. Zurzeit haben wir im Haus Schwestern von den Philippinen, einen Seminaristen aus Korea, wir hatten bis vor Kurzem einen Professor aus Kamerun bei uns, dazu unsere Seminaristen mehr oder weniger aus der Region München – das ist ein wirklich vielfältiges Bild. Das bringt aber auch ganz alltägliche und ganz praktische Herausforderungen mit sich, etwa bei den unterschiedlichen Essensgewohnheiten: Wer frühstückt wie? Wie kommen alle gemeinsam zurecht? Ich bedauere es in diesem Zusammenhang, dass wir keine Seminaristen aus den muttersprachlichen Gemeinden bei uns haben. Da würde ich mir noch mehr kulturelle Vielfalt wünschen. 

Beer: Es ist auch großartig, wenn unsere Auszubildenden nach der Hälfte des Studiums aus ihrem Freijahr zurückkommen, sei es aus dem Heiligen Land, aus Norwegen, Großbritannien, Frankreich oder Indien, und aus den diversesten Kulturkreisen Erfahrungen mitbringen. Dies hilft sehr, das eigene Weltbild aufzubrechen, bisher sicher Geglaubtes zu hinterfragen und dies in die Hausgemeinschaft wieder mit einzubringen, das ist für uns sehr spannend.

Vor zwei Jahren sorgte die Initiative „OutInChurch“ für Aufsehen, bei der katholische Frauen und Männer – oder Personen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen möchten – erklärten, sie seien katholisch, passten aber dennoch nicht in die vorgegebenen Schemata. Wie haben Sie diese Debatte wahrgenommen, auch hinsichtlich der neuen Grundordnung?

Beer: Bei uns im Haus war es ein großes Thema, über das wir in vielen Einzelgesprächen, aber auch in der Hausgemeinschaft diskutiert und nachgedacht haben. Einige unserer jungen Studierenden waren mit mir auch auf einem Wochenendseminar, wo wir mit queeren Personen gemeinsam unterwegs waren und uns von deren Leben haben erzählen lassen, von ihrer Sehnsucht, in der Kirche ihren Platz zu finden. Das war sehr berührend. Wir haben im Mai einen Abend, bei der jemand aus der Regenbogenpastoral der Erzdiözese zu uns kommt, um mit uns noch einmal ausführlich hierüber zu sprechen. Ich nehme bei unseren Studierenden eine große Offenheit für dieses Thema wahr. Die neue Grundordnung war auch für heterosexuelle Studierende ein wichtiger und großer Schritt. 

Lehner: Im ABZ ist dies ein aktuelleres Thema wegen der Grundordnung, weil es auch anstellungsrelevant ist. Bei uns spielt es eher auf der persönlichen Ebene eine Rolle. Ist ein Seminarist homosexuell, berührt ihn das persönlicher. Die heterosexuellen Seminaristen haben einen anderen Blick hierauf. In einer kleinen Hausgemeinschaft wie der unsrigen ist es wichtig, die Dinge sensibel zu betrachten, nicht zu polarisieren und nicht zu ideologisieren. Jeder geht bei uns anders damit um. Deswegen gab es bei uns nicht die großen offenen Diskussionen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht über diese Themen nachdenken würden.

Ist es im Gespräch mit den einzelnen Seminaristen ein Thema?

Lehner: Ja, und da wird es auch sehr konkret. Mir ist die Sensibilität für den einzelnen Menschen und für seine Lebensgeschichte wichtig. Da geht es nicht darum, ob ich ein Transparent aufhänge oder nicht, sondern darum, ob ich, so wie ich bin, in der katholischen Kirche Priester werden kann. Es geht sehr klar um die Einzelperson. Dass wir gut auf den Seminaristen hinschauen und ihm und der Kirche gerecht werden. Das ist ein sehr sensibles Thema, das ich auch so behandelt wissen möchte bei uns im Haus.

Wie unabhängig sind Sie in Ihrer Arbeit, inwiefern wird von der Bistumsleitung Einfluss genommen?

Beer: Ich spüre von unserem Erzbischof wie von unserem Generalvikar und unserem Personalchef ein großes Vertrauen darin, dass die Ausbildung in guten Händen liegt. Da gibt es keine direkte Einflussnahme. Wir freuen uns über den jährlichen Besuch des Kardinals bei uns im Haus, wo er sich dem Austausch mit unseren Auszubildenden stellt. Es herrscht eine große Freiheit, die unsere Erzdiözese München und Freising auch mit auszeichnet und für die ich auch sehr dankbar bin. Ich erinnere mich an mein Antrittsgespräch bei Kardinal Marx, bei dem er mir nur eine Bitte mitgab: „Bitte achten Sie auf die Qualität der Bewerberinnen und Bewerber.“

Lehner: Die Kriterien, an die wir gebunden sind und nach denen wir arbeiten, sind weder meine noch die Erfindungen von Kardinal Marx. Wir haben weltkirchliche und bald wieder neue deutschlandweite Grund- und Ausbildungsordnungen. Der Kardinal hat mir immer wieder gesagt, und wir sind hierüber auch im Austausch: „Kann jemand mit moralischer Gewissheit seinen Dienst als Priester gut erfüllen, zum Wohl der Kirche und der Gemeinden, aber auch zur eigenen Zufriedenheit? Haben wir diese moralische Gewissheit?“ Das ist unser Letztkriterium, das wir bei jedem Kandidaten anwenden. Ich bereite die Vorschläge vor, jemanden zu weihen oder auch nicht, die letzte Entscheidung hat aber der Kardinal. Insofern kann ich nicht sagen, dass er mir in die Arbeit hineinreden würde. Ich weiß, dass er großes Vertrauen hat. Wir sind auch nicht immer einer Meinung, aber ich kann mit ihm sehr gut und sehr offen sprechen, wofür ich sehr dankbar bin. (Interview: Joachim Burghardt und Florian Ertl)