Ein Mönch auf Weltreise

Viele Kulturen, ein Glaube

Als Abtprimas des Benediktinerordens war Notker Wolf von 2000 bis 2016 der höchste Repräsentant von mehr als 800 Klöstern und Abteien weltweit. Im Interview erzählt er über seine interkulturellen Erfahrungen.

Notker Wolf war in seiner Zeit als Abtprimas weltweit unterwegs zu Klöstern und Abteien. © KNA

mk online: Als Abtprimas der Benediktiner reisten Sie zwischen 2000 und 2016 in alle Teile dieser Welt. Wie nahmen Sie persönlich die unterschiedlichen Sitten und Bräuche in den verschiedenen Ländern wahr?

Abt Notker Wolf: Ich musste mich auf andere Essgewohnheiten einstellen; denn nicht alles ist nach meinem Gusto. Mit Stäbchen zu essen, habe ich rasch gelernt. Ich musste darauf achten, wie man sich begegnet und begrüßt. Statt Kniebeuge ist die tiefe Verbeugung das asiatische Zeichen der Verehrung. Wir haben aber auch viel Gemeinsames, zum Beispiel das Lächeln, auch wenn sich Ostasiaten dabei gern die Hand vor den Mund halten. Die Gastfreundschaft spielt bei allen Kulturen eine große Rolle. Am Tisch ist immer noch ein Platz frei, irgendwo gibt es immer noch ein Bett.

Ich nahm allerdings mehr die Menschen wahr als die Gebräuche. Mit Achtsamkeit und Respekt kommt man überall an. In Indien war ich in einer Wallfahrtskapelle auf dem Weg zu einer Lourdesgrotte. Ich betete still, als einer auf mich zukam und um den Segen bat, obwohl ich zivil gekleidet war. Ich legte ihm die Hände auf und sofort kamen immer mehr, und von der Kleidung her kenntlich kamen auch Hindus, Muslime und viele andere. Es hörte nicht mehr auf, bis meine Begleiter mich wegzogen. Der Segen spielt in Indien eine große Rolle.

Inwiefern stellten Sie auch in der katholischen Praxis, wie Liturgie und Brauchtum, unterschiedliche kulturelle Ausformungen und Prägungen fest?

Abt Notker: Verbeugen statt Kniebeugen habe ich schon genannt. Aber die unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen gehen viel tiefer. Wir haben Klöster auch im syro-malabarischen, im koptischen Ritus und in anderen Riten. Dort hat sich die regionale Kultur am stärksten niedergeschlagen. Die ostkirchlichen Riten sind viel älter als die Liturgie des Tridentinum und des Zweiten Vatikanum. Beeindruckend war für mich der Zaire-Ritus. Die Sonntagsliturgie dauert zwei bis vier Stunden, die Feiernden sind die ganze Zeit singend und schwingend auf den Beinen, die Predigt wird immer wieder durch Zwischenrufe unterbrochen, die der Prediger vorgibt. Allen aber gemeinsam ist die Lebendigkeit der Teilnahme. Das gilt für alle Feiern, wo ich war, ob bei den größeren Feiern oder bei Basisgemeinden in den Bergen von Haiti. In China habe ich in einer proppenvollen Kirche zelebriert. Ich war tief beeindruckt von der inbrünstigen Frömmigkeit der Gläubigen, besonders der Alten, die noch die Kulturrevolution und die ganze Verfolgung mitgemacht hatten. Natürlich war ich ganz auf Übersetzer angewiesen. Auch sie wollten alle hinterher nochmals den Segen.

„Katholisch“ bedeutet ja im ursprünglichen Wortsinn „allumfassend“. Wo ist dieser Charakter Ihrer Ansicht nach besonders spürbar und besonders lebendig?

Abt Notker: Ich fand überall die bekannte Liturgie vor, wenn auch in verschiedenen Sprachen. Überall wurde ich als Zelebrant akzeptiert, auch wenn mich die Leute nicht gekannt haben. An den Landesgrenzen sieht es anders aus, da brauche ich ein Visum. Unter Christen gibt es in der Eucharistie keine Trennung nach Nation, Sprache oder Hautfarbe. Am meisten hat mich das Wort des Nuntius in Teheran an unsere Dialoggruppe überrascht: „Der Heilige Vater lässt euch sagen: ‚Gott ist nicht katholisch.‘“

Das klingt herausfordernd.

Abt Notker: Ja, wir Katholiken dürfen Gott nicht vereinnahmen. Gott neigt sich allen Menschen zu, er will, dass alle Menschen gerettet werden. Wenn Menschen sich im Gebet an Gott wenden, dann hat er ein offenes Ohr für alle. Jesus ist Mensch geworden, um uns diese Liebe Gottes nahe zu bringen. „Katholisch sein“ bedeutet, auch bei den anderen zu sein, unsere Glaubenserfahrungen mit den ihren auszutauschen.

Als Sohn des heiligen Benedikt verbindet Sie mit Ihren Mitbrüdern mehr als bloße Herkunft und Sprache ...

Abt Notker: Alle Gemeinschaften rund um den Globus haben denselben „Stallgeruch“; sie leben trotz aller Unterschiede der Sprache und der anderen Hautfarbe alle nach der Regel des heiligen Benedikt. Sie leben gemeinsam, sie beten gemeinsam und essen gemeinsam. Ihr Tageslauf entspricht dem Motto „Ora et Labora“. Das Psalmengebet spielt neben der Eucharistie eine wichtige Rolle. Auch die Lectio Divina, die betende Lesung heiliger Texte, hat ihren Platz im Tageslauf. Von ihrer Hände Arbeit leben sie, und überall gibt es ein Haus für die Aufnahme von Gästen. Gastfreundschaft wird überall großgeschrieben. Aber auch das Bemühen um die Erziehung der Jugend und die Pflege der Kranken fand ich in vielen Klöstern. Das ergibt sich ganz automatisch.

Die 1978 im Westen Tansanias gegründete Abtei Mvimwa unterhält in der nahe gelegenen Stadt eine große Sekundarschule, eine Lehrerschule, auf halbem Weg dorthin eine Volksschule, im Kloster selbst eine Handwerkerschule und ein kleines Krankenhaus. Dadurch sind die 90 Mitbrüder auch sinnvoll beschäftigt. Sie tragen dazu noch eine Schule in der Hauptstadt Daressalam und eine andere ganz im Norden des Landes, nicht zu vergessen die Sorge um den Wallfahrtsort Pugu, an dem 1889 zwei Ottilianer Mitbrüder und eine Tutzinger Missionsbenediktinerin von Aufständischen getötet wurden.

Der heilige Benedikt schreibt seinen Mitbrüdern ins Stammbuch: „Tue nichts ohne Rat, dann brauchst du hinterher nichts bereuen.“ Inwiefern ist dieser Ratschlag auch aus interkultureller Perspektive von Bedeutung?

Abt Notker: An sich ist das eine ganz normale, allgemein gültige Empfehlung, die aber aus Angst vor dem Verlust der Autorität nicht immer eingehalten wird. In einer konfuzianisch geprägten Kultur spielt Top Down die entscheidende Rolle; kritische Fragen zu stellen ist verpönt. In der afrikanischen zählt die Meinung des Alten und Weisen in der Familie. Die Regel Benedikts erscheint diesbezüglich befremdlich, das legt sich aber, zumal demokratische Werte über die Schulen Einzug halten, auch in den Klöstern. Doch handelt es sich hier um ein grundsätzliches Problem, nämlich um das Machtbedürfnis der Oberen. Sie fühlen sich verantwortlich und wollen sich nicht gern dreinreden lassen. Eine echte Mitsprache kann für einen Oberen unbequem werden. Wenn einer Opposition erfährt, fängt er an, sich zuzuschnüren. Er hört nicht mehr auf andere.

Die Grundhaltung Benedikts besteht aber im Hören, im Zuhören, im Hinhören auf das, was der Geist den Gemeinschaften sagt. Es geht nicht um demokratische Strukturen, sondern um die geistliche Dimension einer Gemeinschaft. Das gilt in allen Kulturen. Die jungen Gemeinschaften in Afrika sind inzwischen dafür hellhörig geworden. Mit dem Hinweis, den Rat der Brüder zu hören, folgt Benedikt letztlich der Aufforderung, dem Einzelnen und der Gemeinschaft zu dienen, nicht über sie zu herrschen.
(Interview: Florian Ertl, stellv. MK-Chefredakteur und Katharina Zöpfl, MK-Redakteurin)