Reformprozess in der katholischen Kirche

Synodaler Weg: Dissonanzen im Saal Harmonie

Die vierte Synodalversammlung ist beendet. Ein Scheitern des Reformprozesses schien zwischenzeitlich nicht ausgeschlossen. Ein Stimmungsbild der vergangenen Sitzungstage.

Der Grundtext für eine offenere Sexualmoral hat nicht die erforderliche 2/3-Mehrheit der Bischöfe erhalten. © Synodaler Weg/Maximilian von Lachner

Es beginnt mit schrillen Rückkoppelungen und technischen Pannen. Es war ein schlechtes Omen für die vierte Versammlung des Synodalen Weg. Denn die Störgeräusche im Saal Harmonie des Congress Centers in Frankfurt sind damit nicht vorbei. Sie schwellen so stark an, dass es den anwesenden 209 Delegierten in den Ohren klingelt und es mit der Harmonie vorbei ist. Dafür ist allerdings nicht mehr die Technik verantwortlich, sondern die Synodalversammlung selbst. Schon der erste Grundtext „Leben in gelingenden Beziehungen- Grundlinien einer erneuerten Sexualethik“ fällt bei der Abstimmung durch. Er betrachtet etwa gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder Masturbation nicht automatisch als Sünde. Denn sexuelle Verhaltensweisen seien in der Regel angeboren oder nicht immer willentlich zu steuern. Bei der Aussprache zu diesem Text herrscht der Eindruck, dass er wohl durch die Abstimmung kommt. Tatsächlich votierten 82 Prozent der Delegierten für diesen richtungsweisenden Text. Doch dann sorgt die in der Geschäftsordnung festgelegte Sperrminorität der Bischöfe für Bestürzung: Deren Votum wird gesondert erhoben und zwei Drittel von ihnen müssen jeden abschließend besprochenen Text absegnen. Aber nur rund 60 Prozent der anwesenden Bischöfe stimmen zu, das ist zu wenig.

Text zur Sexualmoral abgelehnt: Verzweiflung und Solidaritär mit Betroffenen

Ein Ergebnis, das bei einigen Synodalen Tränen und Verzweiflungsausbrüche auslöst, die nach dieser Dissonanz den Saal Harmonie verlassen. „Da würde ich jetzt am liebsten mitgehen, denn diesen Menschen ist wieder einmal gesagt worden, dass sie wegen ihrer Sexualität von kirchlichen Amtsträgern ausgeschlossen und diskriminiert werden“, sagt die Münchner Stadträtin Gudrun Lux, die als Mitglied des ZdK in die Synodalversammlung sitzt. Auch Weihbischof Wolfgang Bischof spricht von einem „großen Schock“ und betont gleichzeitig, dass doch 60 Prozent der Bischöfe dem Text zugestimmt hätten. Und Kardinal Reinhard Marx reiht sich demonstrativ in einen Kreis ein, der sich spontan gebildet hat, um Solidarität mit den Betroffenen zu zeigen. Die Ablehnung ist ein Knalleffekt: die Leitung der Synodalversammlung unterbricht die Tagesordnung, setzt eine Aussprache an und in der hagelt es Kritik. Einige Bischöfe hätten die Synodalversammlung ins offene Messer laufen lassen, ihre Kritik im Vorfeld nicht oder nicht ausreichend gemeldet. Der Passauer Bischof Stefan Oster wollte das als Vertreter der konservativen Sperrminorität nicht auf sich sitzen lassen: „Ich habe in der ganzen Debatte und im vorbereitenden Forum meine Ablehnung vor der Abstimmung deutlich gemacht.“ Er verteidigt sein Nein zu dem vorgelegten Reformtext, weil er nach wie vor die Ehe für den angemessensten und natürlichen Ort menschlicher Sexualität halte. Das sei keine „menschenfeindliche Position“. Und er beklagt, „dass es nicht leicht ist, als Anhänger der Minderheit offen seine Position in dieser Versammlung zu vertreten“. Und räumt gleichzeitig ein, dass er durch die Arbeit im Vorbereitungsforum viel gelernt habe. Die Kirche müsse bei Äußerungen zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen viel mehr differenzieren. Trotzdem droht an diesem Donnerstagabend nicht nur die englische Königin, sondern auch der Synodale Weg zu sterben.

Synodaler Weg vor dem Scheitern

Niemandem ist klar, wie es nun weitergehen soll. Zum ersten Mal in der Geschichte des Synodalen Wegs kommen die Bischöfe und die Laienvertreter in jeweils getrennten Gruppen zu Krisensitzungen ohne Medien zusammen und schlagen sich die Nacht um die Ohren. Jedem ist die Dramatik der Lage klar, aber niemand weiß, wie es jetzt weitergehen soll. Am anderen Morgen sind nicht nur übermüdete, sondern auch besorgte und ernste Gesichter zu sehen. Pastoralreferent Konstantin Bischoff erzählt auf dem Weg zur nächsten Debatten- und Abstimmungsrunde, dass er noch in der Nacht viele Nachrichten aus seiner Gemeinde Herz-Jesu in München bekommen hat: „Gerade auch von Gläubigen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung und die wollen unbedingt, dass wir im Synodalen Weg weitermachen.“

Aber am Freitag könnte es zu einer weiteren Ablehnung eines richtungsweisenden Grundtextes kommen: "Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“. Das Papier fordert eine deutlich stärkere Geschlechtergerechtigkeit, die auch Weiheämter nicht per se ausschließt. Dieses Mal ist die Aussprache lebhaft. Viele Bischöfe haben es sich zu Herzen genommen, dass sie am Abend zuvor erst in der geheimen Abstimmung ihre Meinung haben erkennen lassen. Eine starke Minderheit, unter ihnen auch der Münchner Weihbischof Rupert Graf zu Stolberg, will dem Text nicht zustimmen. Sie erinnert an verbindliche Lehraussagen von Papst Johannes Paul II., die Weiheämter für Frauen klar ablehnen. Es sei nicht „sittenwidrig“, sagt der Weibischof, sich diesen Lehraussagen verpflichtet zu zeigen. Kardinal Reinhard Marx unterstützt den Text dagegen: Er hält es „für nicht durchführbar“, die Diskussion um die Frauenfrage in der Kirche schlicht für beendet zu erklären. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit der Bischöfe für den Text scheint aber dennoch ausgeschlossen zu sein.

Synodaler Weg


Der Begriff "Synodaler Weg" verweist auf das griechische Wort Synode. Es bedeutet wörtlich "Weggemeinschaft"; im kirchlichen Sprachgebrauch bezeichnet Synode eine Versammlung von Bischöfen oder von Geistlichen und Laien. In ihrem Reformdialog auf dem Synodalen Weg wollen die deutschen katholischen Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) über die Zukunft kirchlichen Lebens in Deutschland beraten. Ausgangspunkt ist eine jahrelangen Kirchenkrise, die der Missbrauchs-Skandal verschärft hat. Oberstes Organ des Synodalen Wegs ist die Synodalversammlung. Sie zählt 230 Mitglieder, die für eine möglichst große Bandbreite kirchlichen Lebens stehen sollen. Schwerpunktthemen des Reformdialogs sind die Sexualmoral, die priesterliche Lebensform, Macht und Gewaltenteilung sowie die Rolle von Frauen in der Kirche. Wie eine Synode hat auch der Synodale Weg beratenden Charakter. Das letzte Wort bei einer möglichen Umsetzung der Beschlüsse in ihrem Bistum haben die Ortsbischöfe. Das soll die Einheit mit der Weltkirche gewährleisten und einen nationalen Sonderweg verhindern. (kna)

Bischof Bätzing zieht Rücktritt nicht in Erwägung

Vor den noch möglichen Änderungsanträgen und der Abstimmung bittet Georg Bätzing die Bischöfe noch einmal intern zusammen zu kommen. Danach wird er in einer Pressekonferenz die Frage nach einem Rücktritt als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz verneinen: „Ich überlasse das Feld nicht denen, die sich nicht bewegen wollen." Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, hatte zuvor noch einmal daran erinnert, „dass die Bischöfe uns Laien gebeten haben, an diesem Synodalen Weg mitzuwirken, damit Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal gezogen und Reformen durchgeführt werden“. Und sie drohte indirekt mit Rückzug: "Wir müssen als Laien auch Grenzen abstecken."

Bedenken und Zustimmung für Text zu mehr Gleichbereechtigung von Frauen

Nach der internen Besprechung der Bischöfe und vor der Abstimmung über den Grundtext zur Gleichberechtigung der Frau in der Kirche ist im Saal Harmonie eine andere Atmosphäre zu spüren. Die Delegierten beschließen Änderungen besonders am Beginn des Textes. Sie tragen den Bedenken einer Reihe von Bischöfen Rechnung, die ein Priesteramt für Frauen aus katholischen Glaubensverständnis heraus für ausgeschlossen halten. Der Text kann jetzt als Vorschlag zur abschließenden Prüfung dieser Frage durch den Papst verstanden werden. Tatsächlich findet das Papier einen zuvor unerwarteten Zuspruch: Insgesamt votieren 92 Prozent der Delegierten dafür. Überraschend eindeutig ist die namentliche Abstimmung unter den anwesenden Bischöfen: 45 sprechen sich dafür aus, zehn dagegen, die fünf Enthaltungen werden satzungsgemäß nicht mitgezählt. Damit sprechen sich fast 82 Prozent der Bischöfe für diesen Grundlagentext zur Geschlechtergerechtigkeit aus und es ist ein Durchbruch gelungen. Der Synodale Weg scheint vom scharfen Fordern auf der einen und starrer Ablehnung auf der anderen Seite in ein aufrichtiges und respektvolles Ringen über die Aufgabe der Kirche im 21. Jahrhundert einzumünden. Jedenfalls ist nach dieser Abstimmung ein Bann gebrochen. Es gibt erleichterten und großen, wenngleich nicht stürmischen Applaus. Den beschlossenen Grundtext „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ halten viele Delegierte und Beobachter für historisch, der auch die weltkirchliche Debatte bewegen kann.

Homosexualität soll Priesterweihe nicht im Wege stehen

Der Synodalversammlung, einschließlich der Bischöfe, gelingt es anschließend, auch weitere Grund- und Handlungstexte zu verabschieden. Etwa für eine lehramtliche Neubewertung von Homosexualität. Niemandem soll die Übernahme kirchlicher Ämter oder der Empfang der Priesterweihe aufgrund einer gleichgeschlechtlichen Prägung verwehrt werden. Noch vor 25 Jahren wäre das von Seiten der Bischöfe undenkbar gewesen. Ebenso, dass sie sich mehrheitlich gegen arbeitsrechtliche Sanktionen von wiederverheirateten Geschiedenen oder schwulen und lesbischen Mitarbeitern im kirchlichen Dienst ausspricht. "Der persönliche Familienstand darf keine Relevanz für die Anstellung oder die Weiterbeschäftigung im kirchlichen Dienst haben", fordert dieser Text  wörtlich. Allerdings enthielten sich zwölf Bischöfe der Stimme, drei votierten dagegen.

Kardinal Marx wird Beschlüsse umsetzen

Es gibt also weiterhin Dissonanzen, auch im Saal Harmonie. Aber die gehören schließlich zur Musik dazu und müssen nicht einmal immer vollständig aufgelöst werden. In Zukunft soll diese Musik auch bei einem neuen bundesweiten Beratungs- und Leitungsorgans spielen. Ein sogenannter Synodaler Ausschuss soll im Auftrag der Versammlung Vorschläge für ein solches Gremium erarbeiten. Darin könnten Bischöfe, Priester und Laien künftig gemeinsam über kirchliche Grundsatzfragen und über die Verwendung von Geldern beraten und beschließen. Auf Bundesebene ist Hans Tremmel „absolut für einen solchen Rat, um den synodalen Prozess in Deutschland zu verstetigen“. Gleichzeitig ist der Vorsitzende des Diözesankatholikenrats München und Freising und Delegierte beim Synodalen Weg froh, dass die Frage nach einem solchen verbindlichen Rat auf Bistumsebene noch offenbleibt. „Zumindest in München und Freising haben wir schon die Gremien und bewährte Strukturen, um Synodalität selbständig weiterzuentwickeln.“ Seinen Erzbischof hat er da auf seiner Seite: „Wir gehen gemeinsam, auch wenn es anstrengend und schwierig ist und Kontroversen gibt, aber wir lassen uns nicht voneinander trennen, wir sind miteinander Volk Gottes.“ Die Texte und Beschlüsse des Synodalen Wegs will er „selbstverständlich“ im Erzbistum München und Freising anwenden. „Der Generalvikar ist schon beauftragt, eine Arbeitsgruppe zusammenzustellen.“    

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de