Renovabis-Pfingstaktion 2023

Geschäftsführer Schwartz: „Der Osten Europas verdient eine Zukunft“

Das Osteuropa-Hilfswerk Renovabis widmet sich im Rahmen seiner diesjährige Pfingstaktion dem Thema „Arbeitsmigration aus Osteuropa“. Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz erklärt im Interview, warum die massenhafte Auswanderung junger Menschen aus Osteuropa problematisch ist und wie Renovabis dem entgegenwirken will.

Hauptgeschäftsführer von Renovabis, Thomas Schwartz © KNA

mk online: Das Leitwort der diesjährigen Renovabis-Pfingstaktion lautet: „Sie fehlen. Immer. Irgendwo“. Was steckt dahinter?

Thomas Schwartz: Auf unserem Plakat zur Aktion wird es sehr deutlich: Man sieht ein Puzzle, das mit einem Teil gefüllt wird und eine Lücke in einem anderen Puzzle hinterlässt. Das bedeutet, dass Menschen, die aus Osteuropa nach Deutschland emigrieren, eine Lücke in ihren Heimatländern hinterlassen. In der diesjährigen Pfingstaktion geht es um dieses Dilemma und um deutlich zu machen, was Arbeitsmigration für die Menschen bedeutet. Bei uns werden dadurch Lücken geschlossen, aber in den Ländern, aus denen die Menschen zu uns kommen, entstehen neue.

In welchen Bereichen entstehen diese Lücken in Osteuropa?

Schwartz: Das Gesundheitssystem ist zum Beispiel betroffen. In den Ländern werden viele Menschen zu Ärztinnen und Ärzte oder Pflegerinnen und Pfleger ausgebildet. Sie sind natürlich sehr willkommen auf dem deutschen, österreichischen oder schweizerischen Arbeitsmarkt. Doch sie kommen zu uns und fehlen dort. Kranke, alte und auch chronisch kranke Menschen haben dort nicht mehr genug Möglichkeiten behandelt zu werden. Das ist dramatisch.

Was bedeutet das für die Menschen, die bleiben?

Schwartz: Die Familien werden durch die Abwanderung der jungen Generation auseinandergerissen. Albanien ist beispielsweise ein Land, in dem es noch sehr starke familiäre Bindungen gibt. Die Generationen halten zusammen. Die Migrationstendenz, also ins Ausland zu gehen und dort eine Zukunft aufzubauen, zerstört die sozialen Gefüge. Die Erwartungen und Hoffnungen der Menschen, die nach dem Ende des Kommunismus darauf bauten, dass ihre Kinder sie später mal versorgen, sind im Alter auf sich allein gestellt. Auch der Staat hilft mit seinem minimalen Sozialsystem nicht ausreichend.

Wie geht Renovabis mit dem Dilemma um, das die Arbeitsmigration aus Osteuropa verursacht?

Schwartz: Zunächst einmal benennen wir diese Problematik. Es kann nicht sein, dass man immer nur auf die deutsche Situation blickt, so wichtig sie auch ist. Für uns bei Renovabis stellt Einwanderung generell etwas Gutes dar und ist ein Recht, das wir verteidigen müssen. Wir dürfen aber nicht die Augen vor den Problemen verschließen, die Auswanderung in den Ländern verursacht, aus denen die Menschen zu uns kommen. Und da haben wir beispielsweise in unserem Münchner Appell Forderungen an die Politik und Gesellschaft gestellt, wenigstens dafür zu sorgen, dass für die Ausbildungskosten, die die Staaten im Westbalkan und in Mittelosteuropa für die Ausbildung junger Menschen aufwenden, eine Rekompensation bezahlt wird.

Wie unterstützt Renovabis mit seiner Projektarbeit die Menschen vor Ort?

Schwartz: Wir unterstützen jede Form von Initiativen, die vor Ort neue Möglichkeiten des Lebens und der Zukunftsgestaltung möglich machen wie Start-ups und Gründungsinitiativen. Die meisten Projekte sind Partnerprojekte von Renovabis, die wie gemeinsam mit der Caritas, den Diözesen, aber auch mit christlichen NGOs und Ordensgemeinschaften initiieren. Wir sind davon überzeugt, dass eine Gesellschaft auch nur dann demokratisch bleibt und eine Zukunft hat, wenn auch die jungen Menschen in einer Generationskontinuität dort leben können. Wir sind als „Zukunftswerk“ auch dafür verantwortlich, die Möglichkeit zu geben, dass die Auswanderung nicht aus Not geschieht, sondern aus freien Stücken möglich ist. Und dazu braucht es gute Qualifikationen und auch Alternativen im eigenen Land. Das zu ermöglichen ist eine Herausforderung, vor der Renovabis in vielen Ländern in Mittel- und Osteuropa steht, und der wollen wir uns auch stellen.

Wie erfolgreich sind die Projekte?

Schwartz: Also Erfolg ist für uns die Fähigkeit und der Wille, die Zukunft wirklich selbst in die Hand zu nehmen. Wenn wir merken, dass junge Menschen uns sagen: „Ihr helft uns, dass wir uns selbst helfen können“ – dann ist das für uns ein Erfolg. Wir messen den Erfolg nicht quantitativ an Geld, nicht an Kirchgängern, sondern an Zukunftsmöglichkeiten, die wir helfen, zu generieren.

Warum ist es aktuell wichtig, auch in Deutschland, den Osten Europas nicht aus dem Blick zu verlieren?

Schwartz: Weil der Osten Europas, der in der Kriegszeit auch ganz neu in den Fokus von uns geraten ist, eine Zukunft verdient hat. Nur wenn es in Ost- und Mittelosteuropa Zukunftschancen für die Menschen gibt, werden wir in Frieden und Sicherheit in ganz Europa leben können und auch unsere Zukunft positiv gestalten. (Das Interview führte Eileen Kelpe, freie Mitarbeiterin)

Renovabis-Pfingstaktion 2023


Unter dem Leitwort „Sie fehlen. Immer. Irgendwo. Arbeitsmigration aus Osteuropa" steht die diesjährige Pfingstaktion von Renovabis. Sie wird vom 10. bis 14. Mai im Bistum Hildesheim mit Veranstaltungen und Gästen aus Albanien, Kosovo, Kroatien, Serbien und Rumänien eröffnet.