Renovabis Pfingstaktion 2023

Albanien: Bleiben, um zu gründen

Trotz Massenmigration ins Ausland entscheiden sich einige junge Menschen in Albanien, ihr eigenes Start-up zu gründen. Hilfe bekommen sie durch das Projekt "YourJob", das vom katholischen Osteuropa-Hilfswerk Renovabis unterstützt wird.

Albanien wird als Urlaubsland immer beliebter und in den Sommermonaten strömen zahlreiche Touristen in das Land. © Kelpe

Wenn Gjovalin Delia arbeitet, dann sprühen Funken. Mit dem Feuer lässt er das Metall weich werden bis es glüht. Die dumpfen Schläge des Hammers verwandeln die Metallstange dann in ein kleines Kunstwerk. Ein geschwungener Schnörkel entsteht. Delia bezeichnet sich selbst als Künstler: Er hat Malerei studiert, heute macht er Kunst aus Metall. Die Werkstatt des 29-Jährigen befindet sich in einem Ort nahe der Stadt Shkodër im Norden von Albanien. Sie ist geräumig, hat hohe Decken, große Werktische und Regale, auf denen Material und Werkzeug lagern. Auf einer breiten Tafel hat er mit Kreide Skizzen gemalt. „Das sind die besten Bedingungen, um sich in dieser Arbeit zu entfalten“, sagt er. 
Dass er all das sein Eigen nennen darf, war vor ein paar Jahren noch nicht vorauszusehen. Viele junge Menschen verlassen Albanien mit der Hoffnung, in Westeuropa ein besseres Leben aufzubauen. Auch Delia ging. Doch er kam als einer der wenigen zurück.

Die junge Generation verlässt das Land

Albanien hat, gemessen an seiner Bevölkerung, nach Bosnien und Herzegowina den zweithöchsten Auswanderungsanteil in den osteuropäischen Staaten. Laut einer Erhebung der Vereinte Nationen (UN DESA) haben seit dem Ende der kommunistischen Zeit 1990 innerhalb von dreißig Jahren rund 1,3 Millionen Menschen das Land verlassen. Das sind mehr als dreißig Prozent. Heute leben weniger als drei Millionen Menschen in Albanien. Das Osteuropa-Hilfswerk Renovabis richtet den Fokus seiner diesjährigen Pfingstaktion auf diese Problematik. Unter dem Leitwort: „Sie fehlen. Immer. Irgendwo“ soll auf die Lücken, die auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft in Osteuropa entstehen, hingewiesen werden.

Pfingstaktion von Renovabis: Bleibeperspektiven schaffen

Für den Hauptgeschäftsführer von Renovabis, Pfarrer Thomas Schwartz, ist es wichtig, dass bei diesem Thema nicht nur die deutsche Situation in den Blick genommen wird, sondern auch die Situation in den Herkunftsländern: „Für uns bei Renovabis stellt Einwanderung generell etwas Gutes dar und ist ein Recht, das wir verteidigen müssen. Wir dürfen aber nicht die Augen vor den Problemen verschließen, die Auswanderung in den Ländern verursacht, aus denen die Menschen zu uns kommen.“ 

Die Gründe, weshalb die junge Generation geht, sind vielfältig: Albanien gehört immer noch zu den ärmsten Ländern Europas und hat bis heute mit vielen Problemen wie hoher Arbeitslosigkeit, Korruption, organisierter Kriminalität und einem schwachen Sozialsystem zu kämpfen. Die Löhne sind gering, die Lebenshaltungskosten hoch, sodass vor allem junge Menschen in ihrem Land keine Zukunft sehen. Aus diesem Grund unterstützt Renovabis auch Projekte und Initiativen vor Ort, die sich dafür einsetzen, Bleibeperspektiven zu schaffen. Zum Beispiel: Start-ups. 

Projekt "YourJob": Das eigene Start-up gründen

„Wenn man jung ist, dann denkt man, dass das Schöne woanders zu finden ist“, sagt der Metallkünstler Delia. Er versuchte sich eineinhalb Jahre mit Gelegenheitsjob in Luxemburg über Wasser zu halten. Doch das Schöne, was er hoffte in der Ferne zu finden, fand er nicht. Stattdessen kam er zurück und wollte sich etwas Eigenes aufbauen. Dabei bekam er Hilfe von dem Projekt „YourJob“, das von Renovabis unterstützt wird. „YourJob“ ist ein Programm, das seit 2019 in Albanien, Bosnien und Herzegowina, im Kosovo und in Serbien jungen Menschen dabei hilft, Fuß am Arbeitsmarkt zu fassen oder ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Es gibt Trainingsprogramme, Beratungen, Hilfe bei der Erarbeitung von Businessplänen und bei erfolgreicher Bewerbung auch eine finanzielle Starthilfe bis zu 5.000 Euro.

Auch Delias Geschäftsidee hatte Erfolg: Mithilfe des Programms konnte er sich unternehmerisches Wissen aneignen, die Garage seines Vaters ausbauen und sich die nötigen Werkzeuge anschaffen. „Dank der Förderung kann ich jetzt sehen, wie aus meiner Kunst ein Unternehmen geworden ist“, sagt er. 

Gärtnerei: Von der Freiheit, sein eigener Chef zu sein

Auch Mati Zaguni konnte sich Dank des Programms selbstständig machen. In dem kleinen Dorf Dajç, das nicht weit von der Grenze Montenegros liegt, hat er etwas Land gepachtet. Hinter einer niedrigen Mauer leuchtet es rot: Er baut rote Zierpflanzen an, „Photinias“ oder auch Glanzmispeln genannt. „Im Frühling wird alles rot und grün. Das gibt mir ein Gefühl von Ruhe“, sagt der 28-Jährige. Auch er hatte eigentlich einen anderen Weg geplant und studierte Informatik. Bei einem Besuch bei Verwandten im italienischen Pistoia lernte er die Arbeit im Gartenbau kennen und half dort für ein paar Monate aus. Dabei beobachtete er eine große Nachfrage an Zierpflanzen und kam auf eine Idee: Er kehrte zurück in sein Heimatdorf nach Albanien und gründete seine eigene Gärtnerei. Mit finanzieller Unterstützung von „YourJob“ konnte er zwei große Gewächshäuser errichten und Bewässerungsanlagen installieren. Bis zu 35.000 Jungpflanzen können dort wachsen. „Ich mag die Freiheit, die mir dieser Job gibt. Und ich mag es, die Pflanzen wachsen zu sehen. Es ist ein schöner Beruf“, erzählt er. 

Seit drei Jahren ist er nun Chef seiner eigenen Gärtnerei – mit Erfolg. Er verkauft viele Pflanzen in der Region, aber auch in Nachbarländer wie Kosovo. Dass viele junge Menschen das Land verlassen, belastet auch Zaguni und seinen Betrieb: „Wir haben Probleme, Arbeitskräfte zu finden, weil alle gehen“, sagt er. 

Tourismus in Albanien: Ein Gasthof in den Bergen

Das Berufsschulzentrum „St. Josef der Arbeiter“ in der Stadt Rreshen wird ebenfalls von Renovabis unterstützt und bildet junge Menschen in mechanischen und handwerklichen Berufen aus, aber auch im Bereich Tourismus und Hotellerie. Besonders die gastronomische Ausbildung ist gefragt, denn Albanien wird als Urlaubsland immer beliebter und in den Sommermonaten strömen zahlreiche Touristen in das Land.

Ein Beispiel ist das Paar Arjel Marku (37) und Brixhilda Noka (33), das dort eine dreimonatige Fortbildung im Bereich Hotellerie absolviert hat. Beide studierten vorher Betriebswirtschaftslehre und Marku ging nach dem Studium erstmal für zwei Jahre nach Italien. Doch er konnte dort keine Arbeit finden und kehrte zurück. In Albanien entschied er sich, in die Tourismusbranche einzusteigen. Neben den Stränden an der Adria gibt es auch hügelige Bergregionen wie in Mirdita im Norden des Landes nahe der Stadt Rubik. Marku sah Potential in der Region, in der es bereits ein Öko-Hotel gab, und investierte in die Idee einen familiengeführten Gasthof zu eröffnen.

Im Jahr 2018 konnte er seinen Traum verwirklichen: In rund 50 Metern Höhe befindet sich etwas abgelegen am Ende eines kurvigen Wegs das Hotel „Bujtina Dini“, ein kleines Paradies im Grünen umgeben von bewaldeten Bergen. Auch seine Frau verließ ihren ursprünglichen Job als Wirtschafterin und stieg mit in das Unternehmen ein. Seitdem sind sie Allrounder und kochen, putzen, bedienen und managen. Das Konzept geht auf:  Die Zimmer sind vor allem in den Sommermonaten ausgebucht. „Das Gasthaus beschäftigt uns immer, auch nach Feierabend. Aber wir sind glücklich“, sagt Marku. Und das, ohne sich in die Ferne zu wünschen. Die Gäste kommen von überall zu ihnen. (Eileen Kelpe)