Jüdisches Leben

Michael Wolffsohn über sein Buch „Hallo, ich bin Jude!“

Mit seinem neuen Buch will Professor Michael Wolffsohn vor allem Jugendlichen die Vielfalt der jüdischen Kultur und Religion nahebringen. Am Donnerstag, 7. März, liest er im Fat Cat, dem ehemaligen Gasteig, in München aus seinem Werk.

Professor Michael Wolffsohn will vor allem jugendliche Leser ansprechen. © Till Eitel

Es sind die Grautöne, auf die es ihm ankommt. Als Historiker will Professor Michael Wolffsohn das Judentum in seiner Vielschichtigkeit darstellen. „Juden sind Menschen aus Fleisch und Blut wie du und ich, mit Stärken und Schwächen“, sagt er. Mithilfe von Empathie und Wissen möchte er in seinem neuen Buch „Hallo, ich bin Jude!“ Verständnis für seine Religion erzeugen. Gerade Jugendliche sollen mehr über das Judentum erfahren, schließlich könne man nicht so tun, „als sei die europäische oder die deutsche Kultur vom Himmel gefallen“. Wer die Bedeutsamkeit des Wissens um die jüdische Kultur und Geschichte leugne, lebe „im luftleeren Raum“, meint Wolffsohn.

So leitet der 76-Jährige sein Buch zunächst mit Definitionen und Fakten über seine Religion ein. Der Davidstern, von den Nazis „Judenstern“ genannt und in Gelb als Erkennungssymbol jüdischer Menschen missbraucht, sei zum Beispiel erst im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts als typisch jüdisches Symbol aufgekommen. Bis dahin habe es auf jüdischen Gräbern noch keine Davidsterne geben. Damals habe sich der Großteil der westeuropäisch-jüdischen Gemeinschaft immer mehr der nichtjüdischen Kultur angepasst, ohne die eigene Religion aufzugeben. „Da Christentum und Islam schon ihre Symbole hatten, glaubten die Juden, es im sechseckigen Stern
gefunden zu haben, aber der ist genauso jüdisch wie die Milchkuh im Allgäu“, so der Historiker nüchtern.
Obwohl das Zeichen „inhaltlich schräg“ sei, habe es sich durchgesetzt und gelte heute als „das Trotzzeichen der Verfolgung“. Die Farbe Gelb sei außerdem seit dem Mittelalter Juden und Prostituierten zugeordnet, was eine zusätzliche Diskrimierung bedeute, führt Wolffsohn aus.

Praktizierte Erinnerungskultur oft unglaubwürdig

In seinem Buch macht der Historiker deutlich, dass er mit der praktizierten Erinnerungskultur, also dem Gedenken an den Holocaust und der Forderung „Gegen das Vergessen“, einige Probleme hat: „Es ist sozialpsychologisch zu hinterfragen, ob Erinnerung wirklich nur Heilung bedeutet. Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Manchmal ist es für den inneren Frieden einer Gesellschaft unverzichtbar, manches zu vergessen. Darüber muss diskutiert werden, das Schwarz-Weiß muss mit Grautönen ergänzt werden.“ Die praktizierte Erinnerungskultur hält er in Teilen für „kulturlos und banausig“, weil er inneres Engagement vermisst. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sei zwar im Gedenken an die Opfer des Holocaust „sehr aktiv“, lese dies aber „vom Blatt ab wie jede andere Rede“ und komme ihm dabei „pfäffisch“ vor. „Ein Nichtgeistlicher, der wie ein Pfarrer auftritt, ist
unauthentisch und damit nicht überzeugend“, meint er. Als Gegenbeispiel nennt er Robert Habecks Äußerung in
Bezug auf die deutsche Staatsräson im Nahostkonflikt: „Der Mann bebte förmlich, da waren Wort und Person eine Einheit.“ Phrasen und Rituale helfen aus der Sicht Wolffsohns nicht der Erinnerung, sondern regen eher zu Gegenargumenten und Auflehnung an.

Wer jedoch erfahren will, wie der Historiker sich eine gelingende Erinnerungskultur vorstellt, der sollte sein Buch lesen oder am Donnerstag, 7. März, um 18 Uhr seine Lesung im Fat Cat, dem ehemaligen Gasteig, besuchen. Dort will Wolffsohn seine Texte um Kommentare ergänzen und dem Publikum die Möglichkeit bieten, Fragen zu stellen.
Nach dem Nahostkonflikt gefragt, verweist er auf sein im vergangenen Jahr erschienenes Buch „Eine andere Jüdische Weltgeschichte“ und dessen Leitmotiv: „Jüdisches Leben war, ist und bleibt Existenz auf Widerruf.“ Die „Blutorgie der Hamas“ im Oktober 2023 und der anschließende Krieg bewiesen dies einmal mehr. So stelle sich die Frage: „Wo leben Juden sicher?“

Zweistaatenlösung unrealistisch

Eine Zweistaatenlösung hält Wolffsohn für unrealistisch. Vielmehr wünscht er sich föderative Strukturen. Damit meint er „eine Mischung aus bundesstaatlichen und staatenbündischen Elementen zwischen den drei Akteuren Israel, Palästina, Jordanien, vielleicht auch noch Ägypten.“

Nicht zuletzt will Wolffsohn in seinem Buch „Hallo, ich bin Jude!“ auch über sogenannte „nützliche Idioten“ aufklären, deren Unwissen Antisemiten in die Karten spiele. Als aktuelles Beispiel nennt er die Preisverleihung der Berlinale, bei der das Publikum Hamas-Sympathisanten applaudiert habe, obwohl die Lebensweise des westlichen Kulturmilieus in keiner Weise jener der israelischen Fundamentalisten entspreche: „In dem Augenblick, wo das Kulturmillieu diese Haltung einnimmt, betätigt es sich als Helfer und Helfershelfer der islamischen Fundamentalisten“, meint Wolffsohn. Dabei gehe es zuerst Kulturschaffenden an den Kragen, sollten islamische Fundamentalisten die Oberhand gewinnen. Schon dieses Beispiel zeigt, wie viel Aufklärungsarbeit über Judentum und jüdisches Leben noch nötig ist. Mit seinem Buch und der Lesung im Fat Cat will Wolffsohn dazu beitragen.

Buchtipp

Hallo, ich bin Jude!

"Bücher über das Judentum füllen Bibliotheken. Also wozu noch so ein Buch? Damit vor allem Jugendliche einen gegenwartsbezogenen Eindruck von Juden, Judentum, Israel und der jüdischen Diaspora bekommen. Und dabei auch ein bisschen Geschichte." In seiner Textsammlung "Hallo, ich bin Jude!" hat Michael Wolffsohn wesentliche Beiträge für den Gebrauch in der Bildungsarbeit - wie etwa in Büchereien, Schulen, Volkshochschulen - zusammengestellt. Denn spätestens seit dem 7. Oktober 2023 und dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel sollte allen klar sein, dass für die Diskussion mit jungen Menschen eine faktensichere Handreichung für den effektiven Einsatz gegen Desinformation und Manipulation im öffentlichen Raum nötiger denn je ist.

14.9 € inkl. MwSt.

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Der Redakteur
Maximilian Lemli
Münchner Kirchenzeitung
m.lemli@michaelsbund.de