Augsburger Bischof über seine Ukraine-Reise

Meier: "Waffenlieferungen dürfen kein Blankoscheck sein"

Vier Tage lang hat der Augsburger Bischof Bertram Meier die Ukraine besucht. Ein Zeichen der Solidarität unter Christen sollte es sein, kein "Betroffenheitstourismus", betont der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz.

Bertram Meier besucht in seiner Rolle als Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz die Ukraine. © IMAGO/epd

Herr Bischof Meier, vier Tage waren Sie in der Ukraine unterwegs - was sieht man vom Krieg?

Bischof Bertram Meier: Man sieht und spürt ihn. In Lwiw und Kiew hatten wir jeweils einen Alarm wegen russischer Angriffe. Die Menschen gehen ruhig damit um, aber das ganze Leben ist von der Situation beherrscht. In zwei Flüchtlingsunterkünften sahen wir auch unmittelbar das menschliche Leid, viele Kinder und Jugendliche aus den Kampfgebieten sind dort untergebracht. Wenn man durch das Land fährt und immer wieder die Zerstörungen sieht, stockt einem der Atem. Unglaublich viel muss nach dem Krieg wieder aufgebaut werden. Besonders schockierend war es in Butscha, dem Ort der russischen Massaker, und im weitgehend zerstörten Irpin.

Moskau behauptet, dort hätten keine russischen Kriegsverbrechen stattgefunden, und spricht von einer ukrainischen Propagandalüge.

Meier: Ich glaube das nicht, nachdem ich gesehen habe, wie die russische Armee in diesen Städten gewütet hat. Dort sind ganze Wohnviertel wahllos zerbombt, sogar ein Konzertsaal wurde in Brand gesetzt. Ich habe Fotos gesehen von Einwohnern, die gefesselt und dann ermordet wurden, von einem Zivilisten, der erschossen neben seinem Fahrrad lag. Unsere Reise ist aber kein Betroffenheitstourismus, sondern wir wollen uns gut informieren und den Christen in der Ukraine die Solidarität der katholischen Kirche in Deutschland zeigen.

In Kiew sind Sie vom Oberhaupt der griechisch-katholischen Kirche, Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, empfangen worden. In der überwiegend orthodoxen Ukraine gehören ihr etwa zehn Prozent der Bevölkerung an.

Meier: Bei den leidenden Kriegsopfern macht sie keinen Unterschied. Während der Bombardierung Kiews fanden Hunderte Zuflucht in der Krypta der Kathedrale. Für Flüchtlinge und obdachlos Gewordene zeigt die Kirche großen Einsatz. Ihre Seelsorger sind sehr nah an den Menschen. Für mich war es eine starke Erfahrung, dass nicht nur die römisch-katholische und die orthodoxe Kirche nach einem Wort von Papst Johannes Paul II. in Europa "mit beiden Lungenflügeln atmet", sondern auch die katholische Kirche selbst: dem lateinisch-westeuropäischen Zweig und dem katholisch-ostkirchlichen.

Der Großerzbischof hat uns sehr herzlich aufgenommen. Dabei wurde deutlich: Noch wichtiger als materielle Hilfe ist den griechisch-katholischen Glaubensgeschwistern, dass wir für sie beten und spirituell mit ihnen verbunden sind. Diese Gewissheit hilft den Menschen sehr. Uns wurde gesagt: "Lasst nicht los". Bei einem Festgottesdienst zum ostkirchlichen Christi Himmelfahrtstag habe ich das in einem Grußwort versichert.

Die orthodoxe Kirchenlandschaft ist durch den Konflikt mit Russland regelrecht aufgemischt worden. Schon 2018 hat sich ein Teil als neue Orthodoxe Kirche der Ukraine vom Moskauer Patriarchat abgespalten. Und bei einer Synode am 27. Mai hat auch die bisher moskautreue ukrainisch-orthodoxe Kirche dem russischen Patriarchen Kyrill I. die Treue aufgekündigt. Was haben Sie bei Ihren Gesprächen mit deren Vertretern erfahren?

Meier: Bisher gibt es zum Beschluss der Synode noch kein offizielles Dokument. In Kiew sagte mir aber ein Repräsentant der bisher moskautreuen Kirche: "Ukrainische und russische Orthodoxe sind wie ein Ehepaar, das geschieden wurde - nur die Urkunde fehlt noch." Nach Schätzungen wenden sich 60 Prozent der ukrainisch-orthodoxen Gläubigen gegen Kyrill I., weil er Putins Krieg unterstützt. 40 Prozent wollen keine Abkehr vom Moskauer Patriarchat. Die jeweilige ethnische Zugehörigkeit, russisch oder ukrainisch, scheint dabei keine große Rolle zu spielen.

Sie trafen in Kiew auch den Metropoliten der Orthodoxen Kirche der Ukraine, Epiphanius. Sieht er die Abspaltung 2018 durch den Angriff Russlands bestätigt?

Meier: Seine neugegründete Kirche sieht darin schon eine Gelegenheit zur Profilierung und scheint mir sehr selbstbewusst. Aber ich maße mir keine Urteile über orthodoxe Kirchenpolitik an. Entscheidend scheint mir, dass alle Kirchen in dem Land die legitime Selbstverteidigung der Ukraine und ihr Recht auf volle Souveränität unterstützen. Der Krieg hat viele Wunden geschlagen, der Heilungsprozess der Versöhnung mit Russland wird danach sehr lange dauern.

Die russische Armee macht inzwischen Geländegewinne. Birgt die auch von der Deutschen Bischofskonferenz unterstützte Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine nicht das Risiko eines sinnlosen Abnutzungskrieges mit immer mehr Opfern?

Meier: Ich bin Theologe und Seelsorger, kein Militärexperte. Wir deutschen Bischöfe sind uns aber einig, dass in der jetzigen Lage alles getan werden muss, um der angegriffenen Ukraine in ihrer Notwehr zu helfen, und Europa da zusammenstehen muss. Das Motto "Frieden schaffen ohne Waffen", das einige Gruppen in der Kirche weiter vertreten, gilt es, nachzuschärfen. Allerdings dürfen Waffenlieferungen kein Blankoscheck sein, der in eine unkontrollierte Spirale der Gewalt führt. Parallel dazu brauchen wir eine Abrüstung der Worte, die beide Länder an den Verhandlungstisch bringt. Im Moment sieht es aber danach aus, dass Putin erst verhandelt, wenn er entweder unterlegen ist oder die Oberhand gewonnen hat. Deshalb bleibt der Ukraine derzeit nur eine starke Selbstverteidigung.

In meinen Gesprächen mit den katholischen und orthodoxen Würdenträgern wurde sehr deutlich, dass sie Verhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt keine echten Aussichten geben. Sie haben keinerlei Vertrauen in Putin und sagen: Gibt man ihm die Gebiete im Osten und Süden, folgt in absehbarer Zeit der nächste Schlag gegen eine westlich orientierte Ukraine. Sie haben auch die Hoffnung, dass die Russen Putins Kurs nicht endlos tolerieren.

Papst Franziskus hat im Mai für Aufsehen gesorgt, als er in einem italienischen Zeitungsinterview der Nato eine Mitverantwortung für die Eskalation zuschrieb: Das Bündnis habe "vor Russlands Tür gebellt", sagte er. War die Haltung des Heiligen Stuhls auch Thema bei Ihrem Treffen mit dem päpstlichen Botschafter in Kiew?

Meier: Über das Gespräch mit Nuntius Kulbokas sage ich nichts. Es ging aber nicht darum oder um die Haltung zu Waffenlieferungen. Wir wissen, dass Papst Franziskus gerne in Bildern spricht, die ins Deutsche übersetzt oft deutlich schärfer wirken. Das würde ich deshalb nicht zu hoch hängen. Der Heilige Stuhl muss in Konflikten wie diesem immer nach beiden Seiten Gesprächspartner sein. Klar ist aber, dass der Papst den Krieg als Unrecht sieht und immer wieder an Russland appelliert hat, die Gewalt zu beenden. (Das Interview führte Christoph Schmidt von der Katholischen-Nachrichten-Agentur)