Ukrainische Schülerinnen in München

Nach der Flucht: Lernen mit vielen Unsicherheiten

Am Münchner Theresia-Gerhardinger-Gymnasium der Armen Schulschwestern gibt es jetzt ukrainische Willkommensklassen. Einige der rund 50 Schülerinnen haben bereits in der Ukraine Deutsch gelernt, andere haben gar keine Vorkenntnisse.

Lehrerin Maryna Yurenko (links) mit Vlada (rechts) und Svitlana – zwei von derzeit rund 50 ukrainischen Schülerinnen am Theresia-Gerhardinger-Gymnasium © SMB/Bierl

München – Vlada und Svitlana sind bei den Wortübungen eifrig mit dabei. Die ukrainischen Mädchen ergänzen Hauptwörter mit Zeitwörtern. „Die Stadt“ sagt die Lehrerin und sie rufen „besuchen“, „kennenlernen“ oder „regieren“. Zusammen mit rund 50 anderen Mädchen besuchen sie die beiden Übergangs- oder Willkommensklassen im Theresia-Gerhardinger-Gymnasium im Herzen Münchens.

Schon wenige Wochen nach Kriegsbeginn hat der Orden der Armen Schulschwestern als Schulträger zwei ukrainische Lehrerinnen und eine Studentin eingestellt und sie mit Geld aus ihrer Stiftung finanziert. Jetzt brüten Vlada und Svitlana über einem Arbeitsblatt, auf dem sie die richtigen Artikel zu Hauptwörtern finden sollen. Die beiden 16-Jährigen gehen gern in ihre neue Schule, von der sie vor ein paar Monaten noch nicht einmal wussten, dass es sie gibt. „Hier kann ich mich ganz gut konzentrieren und etwas ablenken“, erzählt Vlada.

"Schwer, nicht an den Krieg zu denken"

Die Reporter-Fragen versteht sie schon auf Deutsch. Nur in der fremden Sprache zu antworten, traut sie sich noch nicht, da hilft die Lehrerin beim Übersetzen. „Wenn ich nach Hause komme, fällt es mir aber schwer, nicht an den Krieg zu denken.“ Ihr Vater hilft als Freiwilliger mit, ihre Heimat gegen die Invasion des russischen Militärs zu verteidigen. Auch wenn er sich in der weniger umkämpften Westukraine aufhält, macht sie sich Sorgen. Und natürlich viele Gedanken über ihre Zukunft.

Vladas Traum ist es, Tierärztin zu werden und in Deutschland zu studieren: „Aber ich möchte später in die Ukraine zurück, um dort zu arbeiten und zu leben.“ Svitlana kann sich dagegen vorstellen, in Deutschland zu bleiben: „Darum ist es ganz wichtig, dass ich hier am Theresia-Gerhardinger-Gymnasium lernen kann“, sagt sie auf Ukrainisch.

Die Mädchen erhalten am Vormittag Unterricht in Deutsch, Englisch und Kunst. Freiwillig können sie am Nachmittag Mathematik und Sport belegen. Für die in der deutschen Sprache fortgeschritteneren Schülerinnen stehen außerdem Wirtschaft und Biologie auf dem Stundenplan. Einige Schülerinnen haben bereits in der Ukraine Deutsch gelernt, andere haben gar keine Vorkenntnisse.

Jeden Tag kann sich etwas ändern

Maryna Yurenko muss beiden Gruppen gerecht werden: „Das ist eine große Herausforderung für alle und für meinen Unterricht.“ Die ausgebildete Deutschlehrerin ist vor dem Krieg aus Odesa am Schwarzen Meer geflohen. Auf die ukrainische Schreibweise mit nur einem „s“ legt sie Wert, auch wenn das russische „Odessa“ geläufiger ist. Sie ist froh, dass sie am Theresia-Gerhardinger-Gymnasium so schnell eine Stelle und vorläufig Sicherheit gefunden hat.

In der Klasse kann sich allerdings jeden Tag etwas verändern. „Zwei meiner Schülerinnen sind Ende Mai schon wieder in die Ukraine zurückgekehrt.“ Andere Familien seien dagegen völlig unentschlossen, ob sie ihre Zukunft in Deutschland oder in ihrem Heimatland planen sollen: „Das hängt sicher davon ab, welche Zukunftsperspektiven die Eltern in der Ukraine haben.“ Die Unsicherheit zeigt sich auch darin, dass an diesem Tag etliche Schülerinnen in Maryna Yurenkos Klasse fehlen: Sie nehmen ein Online-Angebot wahr, sich auf die ukrainischen Abiturprüfungen vorzubereiten, die vielleicht in diesem Jahr gar nicht abgenommen werden.

Junge Menschen brauchen die Gemeinschaft

Mit vielen Unsicherheiten muss sich auch Anita Kilger auseinandersetzen. Die Rektorin des Theresia-Gerhardinger-Gymnasiums weiß bis jetzt nicht genau, ob und wie sie den ukrainischen Mädchen im kommenden Schuljahr helfen kann. Nach der Willkommens- oder Übergangsklasse müssten die Schülerinnen laut bayerischer Schulordnung die offiziellen Aufnahmeprüfungen bestehen, um am Theresia-Gerhardinger-Gymnasium bleiben zu können. Eins weiß Schulleiterin Kilger aber ganz gewiss – die Mädchen sollten keinesfalls in ihren beengten Flüchtlingsunterkünften sitzen und nur online unterrichtet werden: „Wir sind aus den Corona-Lockdowns mit der Erkenntnis herausgekommen, dass ein junger Mensch nichts so dringend braucht wie eine Gemeinschaft mit anderen jungen Menschen und Erwachsene, die ihnen Erziehung und Bildung vermitteln.“

Solange es nur irgendwie geht, wollen das Theresia-Gerhardinger-Gymnasium und ihre Schulleiterin dies den ukrainischen Mädchen geben. Svitlana und Vlada haben auf ihrem Arbeitsblatt inzwischen fast alle Artikel richtig eingetragen. Sie wollen weiterlernen und sich sogar an die Aufnahmeprüfung wagen, um an ihrer neuen Schule bleiben zu können.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de