Kunst und Kirche

Kunst „für die Ewigkeit“

Susanne Wagner gestaltet als freie Künstlerin unter anderem Innenräume von Münchner Kirchen. Neben Sternen kommen dafür auch Tomaten zum Einsatz.

Die Künstlerin vor ihrem Altartabernakel im neuen Verwaltungsgebäude der Erzdiözese München und Freising. © Ingens-Defregger

Das Herz des neuen Dienstgebäudes des Erzbischöflichen Ordinariats in der Münchner Altstadt schlägt im blütenweißen Raumkontinuum der ellipsenförmigen Hauskapelle. In Weißgold funkeln in der Kapellenstraße 4 an der von Susanne Wagner aus hellgrauem Sandstein monolithisch gestalteten Tabernakelrückwand die Sterne. Wie zur Zeit der Geburt Christi, als der Stern von Bethlehem durch die ungewöhnliche Konjunktion der Planeten Jupiter und Saturn sich am Himmelsfirmament abzeichnete.

Susanne Wagner ist eine Künstlerin, die im wahrsten Sinne des Wortes nach den Sternen greift (siehe Foto). Vermutlich durch künstlerische Intuition, jedenfalls ohne es zu wissen, hat sie mit ihrer Arbeit „Sternbild“ 2016 ein Thema aufgegriffen, das Jahrhunderte mit diesem Ort verbunden war: die Sternwarte des ehemaligen Jesuitenkollegs. Von hier gelang anno 1839 dem Erfinderduo Carl August Steinheil und Franz von Kobell ein fulminanter Schnappschuss, der das Abbild der Münchner Liebfrauenkirche auf Chlorsilberpapier für die Ewigkeit bannte. Die beiden schossen das erste Lichtbild deutschlandweit und schrieben damit – in etwa zeitgleich mit den Franzosen – Fotografiegeschichte.

"Grundsätzlich gibt es da keine Grenzen"

„Mein Alltag als Künstlerin ist eine Mischung aus Denkarbeit und handwerklicher Arbeit“, erklärt Wagner, die sich ausdrücklich nicht als Kirchenkünstlerin versteht, sondern vielmehr als freischaffende Künstlerin, die unter anderem auch für die Kirche arbeitet. Ihr Arbeitsplatz ist das Atelier. „Um eine Idee zu visualisieren, baue ich Modelle aus Gips oder Styropor in verschiedenen Maßstäben. Wenn eine Idee zur Realisierung kommt, werden die Modelle von Handwerksbetrieben in Stein, Bronze, Keramik oder anderen Materialien ausgeführt. Meist arbeite ich an mehreren Projekten gleichzeitig“, verrät die gebürtige Münchnerin, die sich auch als Videokünstlerin einen Namen gemacht hat. 2011 wurde sie mit dem Bayerischen Kunstförderpreis geehrt.

Ihre künstlerischen Ausdrucksmittel sind die gleichen, die im modernen Kunstbetrieb zur Anwendung kommen: „Grundsätzlich gibt es da keine Grenzen“, sagt sie und fügt hinzu: „Das Einzige, was bedacht werden muss, ist die Nachhaltigkeit von Materialien. Mit Karton und Klebeband würde ich nicht in Räumen arbeiten, die ‚für die Ewigkeit‘ gemacht sind.“ Dabei verweist die Tochter eines Architekten auf die Vorreiterrolle der Kirche in der Kunst der Vergangenheit: „In der Kunstgeschichte der Renaissance und des Barocks wurden die größten Kunstwerke innerhalb der Institution Kirche geschaffen, nehmen wir nur als Beispiel die Sixtinische Kapelle von Michelangelo oder Berninis skulpturales Werk. Die Kirche hat immer noch den Anspruch, Kunstwerke zu ermöglichen, die die Schnelllebigkeit unserer Zeit überdauern.“

Tomatenkeramiken an den neugotischen Säulen

Am Beispiel ihres Werkes „Faltenwurf“ von 2013, der liturgischen Neumöblierung der Echinger Kirche St. Johann Baptist bei Landshut, wird deutlich, welche Relevanz der kulturhistorische Kontext für ihre eigene Arbeit hat. Bei der Neugestaltung von Altar, Ambo und Taufbecken zeigt sie Einfühlungsvermögen im Umgang mit dem Bestand der barocken Raumschale. Zugleich scheut sie sich nicht vor radikalen Stilbrüchen. Inspiriert von den auf den barocken Gemälden abgebildeten und mit reichlich Stoff umhüllten Heiligenfiguren formte Wagner fünf Zentimeter dicke Bahnen aus Ton. Daraus entwickelte sie raumgreifende, skulpturale Faltenwürfe. Ein großer Wurf gelang ihr mit dem Altar: ein 20 Meter langes, mehrfach aufeinander geschichtetes Band, dessen letzter Meter zur Altarmensa wird. Beiläufig erinnert das weiße Material Keramik an die Entstehungszeit der Echinger Kirche, als Fayence und Porzellan im gesamten Landshuter Raum in Blüte standen.

Für die Münchner Ausstellung „und wir sollen schweigen?“ in St. Paul bespielte Wagner den Sakralraum, indem sie Tomatenkeramiken an den Säulen der neugotischen Kirche installierte. Damit wollte sie an ein Ereignis der 1968er Jahre erinnern, das ihrer Arbeit „Sigrid“ zugrunde lag. Die Titel gebende Aktivistin Sigrid Rüger hatte damals den Cheftheoretiker des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes mit Tomaten beworfen, weil dieser den einzigen Redebeitrag einer Frau auf der Delegiertenversammlung verhindern wollte.

Genderthematik

Die Ausstellung stellte für Wagner aus mehreren Gründen ein Novum dar: „Zum einen wurde zeitgenössische Kunst in einem lebendigen liturgischen Kirchenraum temporär installiert. Jeder Gottesdienstbesucher hatte sich unweigerlich mit den Kunstwerken auseinanderzusetzen. Zum anderen wurden ausschließlich Künstlerinnen ausgestellt. Der Ausstellungstitel bezog sich auf ein Zitat von Paulus, dass Frauen in der Kirche zu schweigen haben. Alle der sechs eingeladenen Künstlerinnen konnten frei entscheiden, wie sie mit dem Thema und dem Raum umgehen und es entstand ein großartiges Zusammenspiel der einzelnen Positionen.“

Ähnlich wie innerhalb der Kirche die Bewegung Maria 2.0 gibt es im Kunstmarkt derzeit eine verstärkte Bereitschaft, Kunstwerke zu zeigen, die sich mit Genderthematiken auseinandersetzen. „Nachdem man über Jahrhunderte die Frauen aus der Kunst erfolgreich ausgeschlossen hat, gibt es nun sogar Künstlerlisten, wo der Frauenanteil über 50 Prozent beträgt“, weiß Wagner.

Kooperation zwischen Akademie und Kirche

Das Verhältnis der katholischen Kirche zur zeitgenössischen Kunst sieht die 42-Jährige in Abhängigkeit von den jeweiligen Verantwortlichen und Entscheidungsträgern innerhalb der Kirche und deren Zugang zur Gegenwartskunst. Kritisch blickt sie zurück auf die eigene Zunft: „Es gab mal eine Funkstille zwischen der zeitgenössischen Kunst und der Kirche. Die Künstler wollten sich vom Auftraggeber Kirche distanzieren und nur „freie“ Kunst produzieren, die in Galerien oder Museen gezeigt wurde. Viele Künstler wollten sich einfach nicht mehr mit religiösen Themen auseinandersetzen. Vielleicht hat aber auch die Kirche den Zug verpasst, sich mit einzelnen Entwicklungen der zeitgenössischen Kunst auseinanderzusetzten.“

In den vergangenen Jahrzehnten sei dieser Dialog wieder vermehrt aufgenommen worden, betont Wagner. Als sie 2005 ihr Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München mit Diplom abschloss, besuchten Vertreter des Kunstreferats der Erzdiözese München und Freising und des Diözesanmuseums die Diplomausstellung. Es folgten einige Kooperationsprojekte zwischen der Kirche und den Studenten der Akademie.

Auch Gerhard Richter arbeitet für Kirchen

Immer wieder sei sie erstaunt, welche Schätze an zeitgenössischer Kunst sich in kirchlichen Sammlungen befinden. Sie verweist auf das Kolumba in Köln und das Diözesanmuseum in Freising, wo zeitgenössische Kunst ausgestellt und gesammelt wird. Und sie erwähnt die auf dem Kunstmarkt ganz vorne mitspielenden Künstler Gerhard Richter und Neo Rauch, die heute für die Kirche arbeiten, indem sie Altarräume gestalten oder neue Kirchenfenster realisieren.

Ihr Fazit zum Thema Kunst und Kirche: „Für mich als Künstlerin bietet die Kirche als Auftraggeber neben dem Kunstmarkt und Aufträgen der öffentlichen Hand eine wunderbare Möglichkeit, meine künstlerischen Ideen zu realisieren.“ (Angelika Irgens-Defregger)