Freizügige Heiligendarstellung

Wenig Haut, viel Kopfkino

Maria Magdalena wurde in der Kunst oftmals erotisch und freizügig abgebildet. Dr. Johanna Eder vom Diözesanmuseum Freising erklärt, was hinter dieser Art von Heiligendarstellung steckt und wie Erotik und Frömmigkeit durchaus zusammenpassen.

Ein Chorgebet der Heiligen Maria Magdalena von Jan Polack (1505, 85x68 cm, Mischtechnik auf Fichtenholz). © Diözesanmuseum, Thomas Dashuber

Ungekämmt und offen trägt sie ihr rotes Haar. Gewillt zu beten, hält die junge Frau ihre Hände vor die Brust und den von Haaren übersäten Körper: Mit diesen markanten Merkmalen hat der Künstler Jan Polack die heilige Maria Magdalena 1505 gezeichnet. Was hier auf den ersten Blick wie ein Pelzmantel erscheinen mag, entpuppt sich bei näherem Betrachten der spätgotischen Tafelmalerei als starke Körperbehaarung, fast schon als Fell. Lediglich Gesicht, Hals, Hände und Brüste der Heiligen sind frei von lockigem Flaum.

Eine damals erotisch geltende Darstellung der Maria Magdalena, von der die Evangelisten im Neuen Testament berichten und deren Name für die Begleiterin Jesu, Zeugin der Auferstehung und eine namenlose Sünderin steht, erklärt Kunstvermittlerin Dr. Johanna Eder vom Diözesanmuseum der Erzdiözese München und Freising. "Maria Magdalena wurde über Jahrhunderte hinweg in einer frommen Anbetungshaltung gezeigt und zumeist als büßende Frau, die eine Umkehrung hinter sich hat", sagt Eder. Jan Polacks Tafelmalerei beziehe sich auf die Heiligenlegende "Legenda aurea", in der Maria Magdalena dreißig Jahre in der Wüste mit festen Gebetszeiten Buße getan haben soll. "An ihrem Körper sieht man noch die Spuren ihres zügellosen Lebens zuvor. Das wird sichtbar durch ihren Fellbewuchs, die für ihre Sündhaftigkeit steht", analysiert die Museumsmitarbeiterin.

Viel Haare und verhüllende Gesten

In der Kunstgeschichte hat sich die Darstellung von Körpern und Heiligen über die Jahrhunderte stark verändert. Erst nachdem Körperstudien erlaubt wurden, seien in der Neuzeit Zeichnungen lebensnäher geworden. „Ab diesem Zeitpunkt wurde die erotische Darstellung plötzlich sichtbar, wobei Erotik um 1600, im Vergleich zu heute, anders zu verstehen ist“, stellt Eder klar. Denn in der Renaissance hätten nicht viel nackte Haut, sondern verhüllende Gesten, wie etwa eine herabfallende Haarsträhne oder ein leicht geöffneter Mantel, die Phantasien angeregt.

In Polacks Werk nehme Maria Magdalene die Figur der Verführerin an. Eine Verführerin, die durch die Körperbehaarung kaum nackte Haut zeigt. „Die Brüste liegen allerdings teilweise frei. Diese kleinen Ecken der Haut reizen den Blick und die Phantasie, was Erotik ausmacht. Das ist, wie wenn ich durch ein Schlüsselloch gucke“, vergleicht Eder. Man sehe einen kleinen Ausschnitt und erhoffe sich mehr Einblicke von dem, was sich dahinter verbirgt. „In der Erotik geht es um Spannung, Sehnsüchte, Verheißung und das Erleben einer Ganzheitlichkeit. Man sehnt sich nach Erfüllung. Das kann in ähnlicher Art und Weise in einem Gebet oder einer mystischen Erfahrung passieren, sodass Erotik verbunden mit Frömmigkeit, beziehungsweise Spiritualität, für mich keineswegs widersprüchlich ist“, ergänzt sie.  

Bilddetails für Kopfkino

Jan Polack führt bei Maria Magdalena die Erotik und Frömmigkeit vor allem durch den bildsprachlichen Kontrast zusammen: ihr unschuldiger Blick, der kokett mit einer großen Direktheit den Betrachter trifft, gepaart mit den zum Gebet andeutenden Händen. „Das sind Bilddetails, die meinen Blick locken und in mir extrem Kopfkino auslösen können“, sagt Eder. Durch die Kunst habe man lange Zeit den Menschen den Glauben nahegebracht. Es sei anzunehmen, dass durch sexuell aufgeladene Gemälde bei den Betrachtern Emotionen geweckt werden sollten. Dabei argumentiert Eder: „Ich würde nicht so weit gehen, diese Kunstgemälde als Softporno der Zeit zu bezeichnen, jedoch kann man auch nicht ausschließen, dass Künstler bewusst mit dem Element Schaulust und Stilmittel Erotik gespielt haben.“ Eine Art von Erotik, die sich in dieser Zeit durch langes rotes Haar, verhüllende Gesten und starke Körperbehaarung in Verbindung mit anbetender Haltung auszeichnete. (Anna Parschan, Redakteurin beim Münchner Kirchenradio)

Wer noch mehr Informationen zu Maria Magdalena und diesem Werk erfahren möchte, kann ab Mitte März in den Podcast „Dimu“ des Diözesanmuseums Freising auf der Homepage in die Folge „Haarige Heilige“ reinhören.

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Kirche und Sexualität