Entwertung menschlicher Arbeit

KI muss dem Menschen dienen

Der zunehmende Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) könnte Experten-Schätzungen zufolge weltweit 300 Millionen Arbeitsplätze überflüssig machen. Wie schaut es damit aber vor unserer eigenen Haustür aus?

Vielfach wird menschliche Arbeit bald von künstlicher Intelligenz ersetzt werden. © stock.adobe.com - Dieter Holstein

Michael Wagner, Diözesanpräses und Landespräses der KAB, beobachtet aktuelle Entwicklungen in Arbeitswelt und Gesellschaft. Dazu veröffentlicht er alle zwei Wochen den Videoimpuls „KABumm“, zu sehen auf der Facebook-, Instagram- und Internetseite der KAB München und Freising.

mk online: Was wären aus Sicht der KAB die Folgen eines in Zukunft verstärkten KI-Einsatzes für unsere Arbeitswelt?

Michael Wagner: Auf den ersten Blick ist der Einsatz von KI in der Arbeitswelt verheißungsvoll. KI könnte zum Beispiel Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlasten, indem sie zeitaufwendige Routineaufgaben übernimmt. Die Unternehmen hoffen auf Effizienz- und Produktivitätssteigerungen sowie Vorteile im Wettbewerb. Doch KI bringt auch erhebliche Gefahren für die Beschäftigten mit sich. Sie kann menschliche Arbeit entwerten oder den Menschen in prekäre Arbeitsformen zwingen. Dies fürchten etwa auch die Drehbuchautoren in Hollywood, deren Gewerkschaft seit Mai streikt. Die Autoren wollen selbst über den Einsatz von KI bei ihrer Arbeit entscheiden. Denn diese gefährdet ihren Status als fest angestellte, gut bezahlte Personen mit Sozialversicherung. Der Einsatz von KI in der Arbeitswelt ist eng mit gesellschaftlichen Verteilungsfragen und der Frage nach sozialer Gerechtigkeit verbunden – auch über Ländergrenzen hinweg. Generell besteht die Gefahr, dass KI immer dann eingesetzt wird, wenn sie billiger als der Lohn für menschliche Arbeit ist. Und dass der Mensch zum Erfüllungsgehilfen der KI degradiert wird.

Welche Jobs und Arbeitsfelder sind aus Ihrer Sicht hierzulande besonders durch den Einsatz von KI gefährdet?

Wagner: Aktuelle Untersuchungen der Investmentbank Goldman Sachs weisen darauf hin, dass KI gerade im verarbeitenden Gewerbe besonders viele Arbeitsaufgaben ersetzen könnte. Also bei den großen Automobilherstellern, im Maschinenbau und in der Chemie-Industrie – Industriezweige, die in Bayern prominent vertreten sind. Wer vermutet, dass KI vor allem gering qualifizierte Jobs kosten wird, der dürfte sich irren. Das Unternehmen OpenAI hat eine Studie erstellt, laut der auch kreative, akademische und klassische Mittelschicht-Berufe von KI automatisiert werden könnten. Die Studie nennt Buchhaltung, Mathematik, Softwareprogrammierung, Dolmetschen, Schriftsteller und Journalismus als Berufsfelder, in denen sich KI am stärksten auswirken wird. Nach Ansicht von Betriebsseelsorge und KAB gibt es außerdem im öffentlichen Dienst und in der Verwaltung großes Automatisierungspotenzial durch KI. Allerdings wohl noch nicht in den nächsten Jahren, da dort zuvor häufig erst noch grundlegende Digitalisierungsprozesse stattfinden müssen. Im Kundenservice könnten Chatbots und Spracherkennungssysteme vermehrt eingesetzt werden und etwa in Callcentern Jobs kosten. Weiteres Automatisierungspotenzial gibt es auch im Transport- und Logistikwesen, etwa durch autonomes Fahren. Amazon macht heute schon vor, wie menschliche Arbeit in diesem Bereich mit Kameras, Scannern, Apps und KI lückenlos überwacht und rationalisiert werden kann – auch in Bayern.

Gibt es schon offizielle Überlegungen seitens der Unternehmen, ob diese das große Automatisierungspotenzial auch wirklich nutzen wollen?

Wagner: Der IT-Verband Bitkom hat kürzlich in einer repräsentativen Umfrage deutsche Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern befragt. Demnach planen 40 Prozent dieser Firmen konkret den Einsatz von KI oder können sich die Einführung zumindest vorstellen. Dem stehen knapp 30 Prozent gegenüber, die dem Einsatz von KI-Systemen ausschließen – sowie 25 Prozent, die sich mit dieser Frage noch nicht befasst haben. Als KAB gehen wir davon aus, dass das technisch Mögliche und Profitable früher oder später breit eingesetzt wird, wenn dem keine rechtlichen Schranken entgegenstehen. Es braucht eine mutige Ethik und Gesetzgebung, die den Missbrauch von KI im reinen Profitinteresse verhindert. Ebenso eine funktionierende Mitbestimmung im Betrieb, die die Regulierung von KI auch einfordern kann. KI muss dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Und der Mensch muss aus Sicht der katholischen Soziallehre stets in der Verantwortung bleiben und sein Arbeitsumfeld mitgestalten können. Kirche und kirchliche Verbände haben die Aufgabe, das vehement einzufordern.

Was hören Sie seitens der Gewerkschaften, Betriebsräte und Betriebsseelsorger hierzu?

Wagner: Die Gewerkschaften bereiten sich darauf vor, dass KI in den kommenden Jahren immer mehr zur Anwendung kommen wird – auch in kleinen und mittelgroßen Unternehmen. Sie haben Positionspapiere entwickelt, Forschungsprojekte gestartet und stehen im Austausch mit der Landes- und Bundespolitik. IG Metall und DGB versuchen auch, sich in die momentan laufende Erarbeitung einer KI-Verordnung auf EU-Ebene einzubringen. Schon seit einiger Zeit bereiten die Gewerkschaften ihre Funktionäre sowie Betriebsräte auf die Einführung von KI-Systemen und die damit verbundenen Herausforderungen für die betriebliche Mitbestimmung vor. Ver.di und IG Metall etwa bieten für Betriebsräte regelmäßig Schulungen an. Von der Betriebsseelsorge wissen wir, dass die steigende Arbeitsverdichtung und die damit einhergehenden physischen und psychischen Erkrankungen schon seit Jahren häufig in Beratungsgesprächen thematisiert werden. Mit einem weiteren Rationalisierungsschub durch KI könnte sich dies fortsetzen. Die Herausforderung wird sein, KI zum Wohl der Beschäftigten einzusetzen. Dies ist das Ziel der Gewerkschaften. Für die Betriebsräte vor Ort keine leichte Aufgabe: Die KAB-Rechtsstelle bestätigt uns, dass Mitarbeitervertretungen schon heute sehr oft Beratung brauchen, wenn neue IT-Systeme mit potenziellem Überwachungscharakter eingeführt werden sollen. Künstliche Intelligenz zu beurteilen und im Zaum zu halten, dürfte nochmals komplexer werden.

Der Autor
Florian Ertl
Münchner Kirchenzeitung
f.ertl@michaelsbund.de