Nachstellung der Geschehnisse von Bethlehem

Heiliger Franziskus feierte Christmette in einer Stallhöhle

Vor 800 Jahren hatte der heilige Franz von Assisi die Idee, das Weihnachtsevangelium für die Gläubigen anschaulich zu gestalten. Deshalb ließ er im Dörfchen Greccio im Rieti-Tal die Christmette in einer Stallhöhle mit Ochs, Esel und Schafen feiern. Ein Interview mit Franziskanerprovinzial Bruder Markus Fuhrmann über dieses besondere Weihnachtsfest.

Die Höhle im heutigen Kloster bei Greccio, wo die Feier stattgefunden haben soll. © imago images - Independent Photo Agency

mk online: Bruder Markus, Hand aufs Herz, haben Sie schon einmal in der Christmette wie ein kleines Lämmchen geblökt?

Bruder Markus Fuhrmann: Nein, das noch nicht, aber so manches Mal hatte ich ein Tränchen im Auge oder war total gerührt, etwa in meiner Zeit als Obdachlosenseelsorger in Köln, in der ich meine intensivsten Weihnachtserfahrungen machen durfte.

In der ersten Lebensbeschreibung des Thomas von Celano über den heiligen Franziskus wird im Bericht über die nächtliche Krippenfeier in Greccio von 1223 aber genau das über den Heiligen erzählt, nämlich als er das Weihnachtsevangelium vorträgt und anschließend predigt: „Oft, wenn er Christus ,Jesus‘ nennen wollte, nannte er ihn, von übergroßer Liebe erglühend, nur ,das Kind von Bethlehem‘, und wenn er ,Bethlehem‘ aussprach, klang es wie von einem blökenden Lämmlein.“ Franziskus hatte immer ein feines Gespür für Inszenierung und bildhafte Symbolik …

Fuhrmann: Ja, Franziskus wird ja oft auch als „Gaukler Gottes“ bezeichnet, er hatte wohl tatsächlich dieses Gespür. Er verstand es, sich spielerisch Dinge anzueignen und sie zur Darstellung zu bringen. Heute würden dies Gestalttherapeuten sicherlich begrüßen. Zugleich konnte er bei einer derartigen spielerischen Inszenierung aber auch selbst noch einmal wachsen, seine Perspektive wechseln oder sich in ein Geheimnis neu hineindenken. Das scheint mir hier mit Weihnachten der Fall gewesen zu sein.

Etwa zwei Wochen vor Weihnachten ließ Franziskus einen Mann namens Johannes aus der Gegend zu sich kommen, um ihm seinen Plan zu erläutern. Bei Celano lesen wir, was er ihm aufträgt: „Wenn du wünschst, dass wir bei Greccio das bevorstehende Fest des Herrn feiern, so gehe eilends hin und richte sorgfältig her, was ich dir sage. Ich möchte nämlich das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Bethlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen“. Und Johannes bereitet alles so vor, wie es ihm Franziskus aufgetragen hat. Wie lässt sich diese Stelle interpretieren?

Fuhrmann: Nach der Beschreibung von Celano soll eine Krippe in diese Höhle bei Greccio gestellt worden sein, in die während der Feier Stroh gelegt wurde. Auch Ochs und Esel waren dabei, was im Lukasevangelium so nicht zu finden ist. Das ist eine apokryphe Tradition. Franziskus war sie aber offenbar wichtig. Was wollte er damit bezwecken? Es gibt eine Überlegung, die hierin die universale Weite von Franziskus sieht: Der Ochse, der traditionell für das Judentum steht, der Esel, der in der Väterliteratur die heidnische Welt symbolisiert. Beide stehen zusammen an der Krippe Jesu, der alte Bund ist vereinigt mit allen anderen, die dazukommen wollen. Der Gedanke der universalen Geschwisterlichkeit aller Menschen, der Gedanke der einen Menschheitsfamilie ist damit wieder gegeben. Das Ganze findet im Rahmen einer Eucharistiefeier statt. Das ist auch ein springender Punkt. Denn nun kommt dieser erhabene, großartige, allerhöchste Gott und wird selbst Mensch. Er legt sich in die leere Krippe auf Stroh – einfacher geht es nicht, keine Bettfedern, sondern Stroh. An einer anderen Stelle sagt Franziskus: „Seht, die Demut Gottes“. Die will er hier zeigen. Gott macht sich klein, Gott kommt herab und vereinigt dabei alle Kreaturen.

Welche Rolle spielte der besondere Ort im Wald, in einer Höhle, fern von einer prachtvollen Kirche?

Fuhrmann: Die meisten von uns würden diese Frage heute sehr entspannt angehen: Das ist doch romantisch da draußen im Wald, Menschen, die sich durch die kalte Nacht aus dem Ort auf den Weg gemacht haben und jetzt gemeinsam bei Fackelbeleuchtung mitten in der freien Natur feiern. Aus damaliger Sicht aber war das alles völlig unbegreiflich. Eine Eucharistiefeier außerhalb einer Kirche, das ging gar nicht. Vermutlich war das schon eine erste kleine Revolution. Aber auch dies zeigt wieder das Grundanliegen von Franziskus: „Gott wird Mensch überall“. Das war Franziskus wichtiger als bloße Krippenromantik oder lauschiges Feuer.

Die anwesenden Menschen und Mitbrüder erkennen, dass da etwas Besonderes geschieht. Greccio wird zum zweiten Bethlehem. „Jeder kehrt in seliger Freude nach Hause zurück.“ heißt es bei Celano. Was begeisterte die Menschen Ihrer Ansicht nach so?

Fuhrmann: Das kann ich nur vermuten. Jeder von uns hat dies vielleicht schon einmal erlebt, bei einem Gottesdienst oder in einem ganz besonderen Moment, diese Erfahrung, dass Gott jetzt gegenwärtig ist, er ist spürbar und greifbar geworden, menschlich in unserer Mitte. Das ist dann so ein Stück Greccio-Weihnachten. Und noch einen Schritt weitergegangen, das ist dann zutiefst mystisch: Diese Menschwerdung Gottes muss letztlich auch etwas mit mir machen, muss mich ein Stück menschlicher machen. Und so ist es, glaube ich, den Menschen damals gegangen. Sie sind hoffnungsvoller wieder nach Hause gegangen und hatten gespürt, dass Gott sie nicht allein lässt. Bedenken wir, es waren damals unruhige Zeiten, in denen Kreuzzüge und Kriege herrschten.

Sogar das Heu aus der Krippe wird aufbewahrt und soll später wunderbar bei Krankheiten und Geburtswehen bei Menschen und Tier gewirkt haben. Was möchte der Autor hiermit hervorheben?

Fuhrmann: Auch da gibt es alte Auslegungen, die einen Bezug sehen zwischen dem Heu in der Krippe und der Eucharistie. Es geht wieder um dieses Herabkommen Gottes aus der Höhe in die Armut herab. Während der Feier kommt das Stroh in die bis dahin leere Krippe, da hinein wir dann das Jesuskind gelegt. Das Heu hatte auf diese Weise eine ähnliche Würde wie die Eucharistie, in der sich Gott auch klein macht und sich uns als ein Stück Brot in die Hand gibt. In Greccio macht sich Gott auch klein, wird Kind und legt sich in das Heu der Krippe.

Am Ende der Erzählung heißt es bei Thomas von Celano: „… ein frommer Mann hatte eine wunderbare Vision. Er sah nämlich in der Krippe ein lebloses Knäblein liegen; zu diesem sah er den Heiligen Gottes hinzutreten und das Kind wie aus einem tiefen Schlaf erwecken. Gar nicht unzutreffend ist diese Vision; denn der Jesusknabe war in vieler Herzen vergessen. Da wurde er in ihnen mit Gottes Gnade durch seinen heiligen Diener Franziskus wieder erweckt und zu eifrigem Gedenken eingeprägt.“ Die Inszenierung des Krippenspiels von Greccio war also keine bloße romantisierende Spielerei. Franziskus ging es um etwas anderes, Sie deuteten es bereits an ...

Fuhrmann: Um die Verlebendigung Gottes im Hier und Jetzt und in den Herzen der Menschen, die selbst wieder lebendig werden dürfen und aufatmen können. Gott selbst wird aus der Vergessenheit herausgeholt, wird wieder erlebbar, spürbar. Er ist mit uns unterwegs und macht mit uns Geschichte.

Wie können wir heute Christus in unseren Herzen wieder neu erwecken, gerade an Weihnachten?

Fuhrmann: Der Theologe Johann Baptist Metz hat einmal gesagt: „Die kürzeste Definition von Religion ist Unterbrechung“. Wahrscheinlich müsste man so wie Franziskus überlegen, wie man dieses Weihnachtsereignis heute durch eine Unterbrechung wieder so deutlich machen könnte, damit sich unser Herz noch einmal neu öffnen kann für dieses Geheimnis der Menschwerdung. Das wäre die Herausforderung des Weihnachtsfestes und dieses franziskanischen Gedankens: Wie kann heute ein solche Inszenierung aussehen, dass Menschen sagen, wir wiederholen nicht Folklore, sondern wir entdecken etwas Großartiges und Göttliches in uns ganz neu?

Der Autor
Florian Ertl
Münchner Kirchenzeitung
f.ertl@michaelsbund.de