Unsere Zeitreise beginnt im Jahr 1782. Damals schrieb Johann Georg Jacobi den Text zu „Sagt, wo sind die Veilchen hin?“. Die Musik stammt von Johann Abraham Peter Schulz, dem Komponisten von „Der Mond ist aufgegangen“. Auch wenn es in diesem Volkslied vornehmlich um die Vergänglichkeit des Lebens geht, muss es Pete Seeger 1955, dem Jahr des Nato-Beitritts Deutschlands, dazu inspiriert haben, eines der wohl bekanntesten Friedenslieder unserer Zeit zu schreiben: „Where have all the flowers gone?“
Eine der populärsten englischsprachigen Coverversionen stammt von Joan Baez, einer Ikone der Friedensbewegung. Auf YouTube ist eine Live-Aufnahme zu finden, bei der sie sich solo zur Gitarre begleitet. Sie ist ganz auf ihren Gesang fokussiert und bleibt durchgängig in der Tonart Des-Dur.
Übersetzung in unzählige Sprachen
Das Lied wurde in unzähligen Sprachen übersetzt. Marlene Dietrich gelang mit „Sag mir, wo die Blumen sind“ ein Welterfolg. Ihre Version steht in der Tonart C-Dur. Die Akkordfolge ist genau auf die Dramaturgie der achtzeiligen Verse abgestimmt: Zu der ersten Textzeile „Sag mir, wo die Blumen sind“ spielen Gitarren die Tonika (C-Dur) und die parallele Molltonart (A-Moll) – keine ungewöhnliche Akkordfolge für einen Popsong mit volksliedhaftem Charakter. Doch in die darauffolgende Frage „Wo sind sie geblieben?“ mischt sich der Akkord D7, der hier gar nicht hineinpassen will. Er erzeugt ein Gefühl der Spannung und macht deutlich: Hier stimmt etwas nicht. Der Septakkord wird nach G-Dur, der Dominante unserer Tonart C-Dur, aufgelöst.
Dietrich wiederholt die Bitte „Sag mir, wo die Blumen sind“ und hakt nach: „Was ist gescheh’n?“ Diese Anschlussfrage wird von der Subdominanten F-Dur begleitet, die zur Dominanten G-Dur führt. Wieder bittet Dietrich daraufhin „Sag mir, wo die Blumen sind“ und gibt sich die Antwort selbst: „Mädchen pflückten sie bestimmt“. Hier mischt sich wieder der Spannung erzeugende Akkord D7 hinein, der nach G-Dur aufgelöst wird. Es folgt die Frage: „Wann wird man je versteh’n?“, die einmal wiederholt wird.
Auch ohne Refrain eingängig
Das Lied kommt ohne Refrain aus, es folgt gleich die nächste Strophe. Eingängigkeit wird trotzdem erzeugt, da alle Strophen demselben Muster folgen. Die Zeilen „Wo sind sie geblieben?“ und „Wann wird man je versteh’n?“ ziehen sich durchs gesamte Lied. In jeder Strophe wird der Endgedanke der vorherigen Strophe aufgegriffen. Die Frage nach den Mädchen wird beantwortet mit: „Männer nahmen sie geschwind“. Dies lässt eine Anspielung auf im Krieg vergewaltigte Frauen vermuten. Die Männer wiederum „zogen fort, der Krieg beginnt“. Aus ihnen wurden Soldaten, über deren Gräbern der Wind weht. In diesem „Sommerwind“ wiederum blühen Blumen. Das Lied endet mit einer Wiederholung der ersten Strophe.
Waren in den ersten beiden Strophen nur Gitarren zu hören, kommen in der dritten Strophe Pizzicato-Streicher hinzu, die von C- übergangslos nach Des-Dur wechseln. Zupften die Streicher zunächst nur, erzeugen sie in der folgenden Strophe, die sich mit den Soldaten befasst, einen Klangteppich, der jedoch trotz der strahlenden Tonart D-Dur keine Heimeligkeit erzeugt, sondern die sich bereits angebahnt habende Dramatik verdeutlicht. Kaum ist die Strophe verklungen, verstummen die Streicher und es ist nur noch die Gitarre zu hören, die jetzt in Des-Dur spielt. Die letzte Strophe erklingt wieder in der Ausgangstonart C-Dur.
Beeindruckend ist ein Fernsehauftritt Dietrichs bei den „Deutschen Schlagerfestspielen 1963“. 18 Jahre nach Kriegsende singt die Schauspielerin, die vor dem Dritten Reich nach Amerika geflüchtet war und die amerikanischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg unterhielt, das Lied mit zitternder Unterlippe, ohne in die Kamera zu blicken, und unterstreicht gerade damit die Botschaft des Liedes.