Münchner Liedermacher

Konstantin Wecker träumt von einer gewaltfreien Welt

Seit Jahrzehnten erhebt Konstantin Wecker (75) seine Stimme gegen Krieg und Gewalt. Im Interview spricht der Münchner Liedermacher über die Bedeutung von Friedensliedern angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Konstantin Wecker engagiert sich in all den Jahren seiner künstlerischen Karriere stets auch politisch. © imago images - Steffen Schellhorn

mk online: Warum ist es Ihnen seit so vielen Jahren ein Anliegen, sich pazifistisch zu engagieren?

Konstantin Wecker: Ich habe eigentlich immer pazifistisch gedacht. Es gibt ja viele, die waren vielleicht als junge Menschen kriegs- oder militärlüstern und dann wurden sie Pazifisten. Das finde ich ganz großartig, aber in meinem Fall war es wohl bedingt durch meinen Vater, der ja in der Nazizeit den Kriegsdienst verweigert hat und wie durch ein Wunder überlebt hat. Ich bin wirklich in einem pazifistischen Elternhaus großgeworden und bei mir gab es nie eine andere Überlegung. Ich habe schon sehr früh Stefan Zweig gelesen, übrigens rate ich jedem, jetzt wieder Stefan Zweigs Buch „Die Welt von gestern“ zu lesen, in dem er die ganze Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beschreibt. Es erinnert erschreckend an das, was im Moment gerade passiert. Dann war ich in der Friedensbewegung und habe zusammen mit Joan Baez gesungen, Dorothee Sölle und Margot Käßmann kennen-gelernt und so viele aufrechte pazifistische Denkerinnen und Denker. Da kam bei mir nie ein Gedanke auf, wie plötzlich Frau Baerbock in der Lage ist, sich zu überlegen, dass es doch besser ist, zu kämpfen und Waffen zu schicken.

Wie hat die Friedensbewegung Ihre Friedenslieder wie „Wenn unsere Brüder kommen“, die in dieser Zeit entstanden sind, beeinflusst?

Bei dem Lied „Wenn unsere Brüder kommen“ gab es wegen der Zeile „dann woll’n wir sie umarmen, dann woll’n wir uns nicht wehren“ Kritik. Aber das ist natürlich ein poetisches Bild. Natürlich bin ich auch der Meinung, dass man sich wehren muss, aber eben gewaltfrei. Nachdem Joan Baez dieses Lied auf Deutsch gesungen hatte, gab’s plötzlich keine Diskussion mehr. Dann war das Lied völlig akzeptiert. Inzwischen habe ich die letzte Zeile abgewandelt. Jetzt singe ich: „…dann woll’n wir sie umarmen, uns liebevoll erwehren“. Das heißt, wir wollen uns unter dem Aspekt der Liebe erwehren.

Warum halten Sie an der Utopie einer liebevollen, herrschaftsfreien Gesellschaft fest?

Je älter ich werde, desto bewusster wird mir, dass wir, die wir keine Machthaber sind, unseren Idealismus, unsere Ideen, unsere Leidenschaft für eine Utopie in die Welt setzen können. Als Künstler fühle ich mich dazu verpflichtet, dass das auch in Zeiten wie diesen nicht aussterben darf. Ich konnte nie verstehen, dass die Kirchen diese eindeutig pazifistische Botschaft des Mannes aus Nazareth bei aller Verehrung für ihn nie wirklich ernstgenommen haben. Schließlich ist Jesus waffenlos auf einem Esel eingeritten und nicht auf einem Kampfpferd mit bewaffneten Leibwächtern. Ich bin aus der Kirche ausgetreten, aber ich bin ein spiritueller Mensch, und für mich ist Jesus von Nazareth nach wie vor eine unglaublich wichtige Figur mit einer wichtigen Botschaft. Wenn wir diese Botschaft ernstnehmen würden, sähe die Welt etwas anders aus.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie an den Krieg in der Ukraine denken?

Als Pazifist denke ich, dass nie ernsthaft ein gewaltfreier Widerstand versucht wurde. Es gab einige Ukrainer aus der pazifistischen Bewegung, die mit weißen Fahnen auf die russischen Panzer zugegangen sind und nicht erschossen wurden. Stellen Sie sich mal vor, die ganze Bevölkerung würde so handeln. Dann sähe sehr vieles anders aus. Ich kann mich diesem militärischen Denken, das jetzt alles, auch die Sprache, erobert hat, nicht anschließen. Plötzlich steht in ganz seriösen Medien etwas von „mutigen Mannsbildern“, die wir brauchen. Ich war ja sehr eng befreundet mit Petra Kelly und ich glaube, dass sie sich gerade vehement im Grabe umdreht, wenn sie zum Beispiel an Herrn Hofreiter denkt.

Kürzlich haben die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Publizistin Alice Schwarzer ein Manifest für den Frieden veröffentlicht. Warum haben Sie sich daran nicht beteiligt?

Ich halte die Öffnung ihres Projekts nach rechts für völlig verkehrt, ebenso kritisiere ich die Instrumentalisierung der Initiative für ihre eigenen Partei- und Machtoptionen. Gleichzeitig ist es schade, dass die Medien nichts Anderes tun, als diese Punkte aufzugreifen. Statt um die Kritik an Waffenlieferungen geht es jetzt nur noch um eine mögliche neue Parteigründung. Das hat der Antikriegsbewegung nicht geholfen. Und vor allem die Öffnung nach rechts war und ist ein großer Fehler, weil mir Nazis noch nie als Pazifisten bekannt waren. Ich wüsste nicht, wo das
jemals in der Geschichte stattgefunden hat. (lacht)

Der Redakteur
Maximilian Lemli
Münchner Kirchenzeitung
m.lemli@michaelsbund.de