Abraham als "Vater des Glaubens"

"Ein Segen sollst Du sein"

Im hohen Alter wird Abraham von Gott dazu aufgefordert, sein Land zu verlassen. Warum Abraham sich darauf eingelassen hat und welche Verheißungen er zu erfüllen hatte, verrät Theologin Theresia Kamp.

Fenstergemälde der Pfarrkirche Saint-Étienne-du-Mont in Paris: Abraham begegnet drei mysteriösen Engeln, die die Heilige Dreifaltigkeit symbolisieren. © imago images/agefotostock

„Einen alten Baum verpflanzt man nicht“, besagt ein Sprichwort. Menschen wollen im Alter in ihrer gewohnten Umgebung bleiben und nicht noch einmal umziehen. Laut den biblischen Erzählungen ist Abraham mit 75 Jahren definitiv nicht mehr der Jüngste, als Gott ihn auffordert, seine Heimat zu verlassen: „Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde!“, heißt es in Genesis 12,1. Dass Abraham sich trotz seines hohen Alters zuversichtlich auf den Weg macht, liegt an der Zusage Gottes, die gleich im nächsten Vers folgt: „Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein.“

Vor den Erzählungen über Abraham und seine Frau Sara wird in der Bibel von der Schöpfung und der anschließenden Sintflut berichtet. Gott hatte Noah berufen, um seine Schöpfung von Bösem zu befreien und einen neuen Anfang zu setzen. Danach kam es jedoch wieder zu einer Sünde gegen Gott, als der Turm in Babel gebaut wurde, mit dem die Menschen ihren eigenen Ruhm vergrößern wollten. Und abermals brauchte es darum einen von Gott berufenen Gerechten: Abraham, einen Nachkommen Noahs. Während mit Noah die Menschheit insgesamt erneuert wurde, soll sich Abraham mit seiner Familie von ihr absondern. Hier wird deutlich, dass es um die Gründungsgeschichte eines neuen, abgegrenzten Volks geht. Abraham und Sara sind die ersten sogenannten Erzeltern Israels.

Aufbruch ins Ungewisse

Abraham muss sich gleich dreifach verabschieden, von seinem Land, seinem Vaterhaus und seiner Verwandtschaft. Er soll in das absolut Ungewisse aufbrechen. Gott nennt noch nicht einmal den Namen des Landes, sondern nur, dass er es ihm zeigen werde. Abraham und Sara verlassen ihre Heimat, die gewohnte Sprache, die bekannten Traditionen. Sieht man ihr Schicksal im Gesamtzusammenhang der Geschichte Israels, nimmt der Auszug Abrahams den Auszug aus Ägypten vorweg.

Passend zu den drei Dingen, die Abraham zurücklassen soll, verspricht Gott ihm dreifachen Segen. Abraham soll zu einem großen Volk werden, sein Name soll großgemacht werden und durch ihn werden andere gesegnet. Was bedeuten diese Segensverheißungen jeweils genau?

Bedeutung der Segensverheißungen


Der erste Segen hängt damit zusammen, dass Gott Abraham ein Land verheißt. Dahinter steht die Vorstellung, dass ein Land auch bevölkert werden muss. Daher gehört zur Landverheißung auch die Entstehung eines Volkes. Der Weg des Volkes Israel beginnt mit dieser Verheißung.

Der zweite Segen knüpft an die Turmbau-Geschichte an. Darin heißt es: „Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis in den Himmel! So wollen wir uns einen Namen machen.“ (Gen 11,4) Menschen wollen ihren Namen, also sich selbst großmachen. Dieser Versuch scheitert. Wenn Gott nun Abrahams Namen großmachen will, so geschieht das nicht als Folge des Strebens Abrahams. Im Gegenteil wird vor seiner Berufung nichts erzählt, was ihn als besonders würdig erscheinen ließe. Gott erwählt Abraham schlicht, weil er das möchte. Die Botschaft lautet: Nicht eigene Taten machen Menschen groß, sondern das Handeln Gottes an ihnen. Das Alte Testament macht ernst damit, dass das Geschick des Menschen, sein Heil und sein Unheil, allein von Gott abhängt.

Abraham wird selbst zum Segen

Der dritte Segen lässt Abraham schließlich selbst zu einem Segen für andere werden. Psalm 72,17 schreibt über den König: „Mit ihm wird man sich segnen“. Die Idee ist, dass das Volk mit, also durch den König Segen erlangt. Genauso erhält auch das Volk Israel seinen Segen vermittelt durch Abraham.

Der Segen, den Gott Abraham mit auf den Weg gibt, ist also besonders bedeutsam. Er meint nicht nur ihn, sondern darüber hinaus viele weitere Generationen. Das wird später in Genesis 15,5 noch einmal in dem bekannten Bild bekräftigt, wenn Gott zu Abraham sagt: „Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst! Und er sprach zu ihm: So zahlreich werden deine Nachkommen sein.“ Vor dem Hintergrund, dass mit Abraham das Volk Israel entsteht, leuchtet dieser generationenübergreifende Segen ein.

Gottvertrauen ist entscheidend

Zum Segen gehört aber nicht nur der Segnende, sondern auch dessen Empfänger. Allein aus Vertrauen auf Gott bricht Abraham in die Ungewissheit auf. Es wird nicht berichtet, dass er Zweifel gehabt oder mit Gott gehandelt hätte. Nicht ohne Grund wird Abraham „Vater des Glaubens“ genannt. Der emeritierte württembergische Landesrabbiner Joel Berger wünscht sich die Einstellung Abrahams auch für die heutige Zeit. „Unter den vielen Versuchungen und Herausforderungen unserer Welt scheint mir, dass es uns oft schwerfällt, dem Beispiel Abrahams zu folgen. Sein Glaube kannte kein Anspruchsdenken.“ Abraham verlasse sich darauf, dass Gott ihn schützen werde. Menschen brechen immer wieder auf, aus eigener Entscheidung oder gegen ihren Willen. Die Ursachen können die Flucht vor einem Krieg oder die notwendige Lebensumstellung durch eine Krankheit sein. Besonders beeindruckend ist, wenn diese Menschen dann trotzdem an Segen glauben und voll Vertrauen weitergehen – wie Abraham.

Theresia Kamp
Die Autorin ist Theologin und freie MK-Mitarbeiterin.