Oberammergau

Bücherei mit Passion

Die Oberammergauer Michaelsbund-Bücherei versorgt ihre Kunden mit passendem Lesestoff zur Passion. Viele von ihnen stehen bald selbst auf der weltbekannten Bühne im Ort.

Das Passionstheater in Oberammergau © INAGO/Ulrich Wagner

Oberammergau – Gerade sind eine Handvoll Kinder aus dem Regenbogen-Kindergarten in der Oberammergauer Bücherei gekommen. Die sechsjährige Victorie hat sich einen Band für Kinder über die Passionsspiele aus dem Jahr 2000 herausgesucht: „Da ist der Jesus drin, da haben wir sogar schon einen gesehen.“ Und der vierjährige Justice weiß jetzt, in welchem Regal er die dazu passenden Bilderbücher mit den biblischen Geschichten findet: „Wir haben heute schon ein Jesus-Buch angeguckt, das hat die Loretta uns gezeigt.“

Loretta, das ist die Erzieherin Loretta Brückl-Paar. Die Passionsspiele sind natürlich auch in ihrer Kindergartengruppe ein Dauerbrenner: „Die wachen in der Früh damit auf und gehen am Abend damit schlafen.“ Denn viele Eltern spielen ja selbst mit. Und auch von den Buben und Mädchen aus dem Regenbogen-Kindergarten stehen etwa 40 Prozent auf der Bühne, schätzt die Erzieherin. Entsprechend haben die Kinder besonders vor der Premiere viele Fragen, wie die Passionsspiele entstanden sind und wie das ausschaut, wenn die Jesus-Geschichte auf die Bühne kommt.

Kein Kinderband zur Passion

„Leider wird es einen Kinderband zur Passion dieses Mal nicht geben“, bedauert Büchereileiterin Martine Schauer, „obwohl das ursprünglich geplant war, aber die Corona-Pandemie und die Verschiebung der Spiele hat alles durcheinandergebracht“. So sind die kleinen Leserinnen und Leser auf das schon 22 Jahre alte Exemplar angewiesen. Immerhin hat es die Bücherei im Bestand. Martine Schauer und ihre Kolleginnen haben es extra auffällig platziert. Sie achten darauf, dem Wissensdrang rund um die Passion bei kleinen und großen Kunden gerecht zu werden. Seit Ostern präsentieren sie auf den Schauregalen mehrere dutzend Titel, die zum Thema passen. Unter anderem haben sie auch alte Bildbände von vergangenen Oberammergauer Passionsspielen aus dem Magazin geholt: „Der älteste ist aus dem Jahr 1980 und natürlich ist es interessant, die Fotos mit denen späterer Aufführungen zu vergleichen.“ Manche Oberammergauer würden sich auf den Bildern erstaunt wieder erkennen und die Bände oft versonnen durchblättern.

Martine Schauer und die anderen nebenamtlichen Büchereimitarbeiterinnen schaffen aber auch aktuelle Titel an, die nicht unmittelbar mit Oberammergau zu tun haben, aber religiöse oder politische Fragen rund um Jesus Christus oder das Heilige Land vertiefen, besonders mit Büchern von israelischen oder jüdischen Autoren. Denn die Leserschaft im Dorf will nicht nur Krimis, Unterhaltungsliteratur oder Bildbände: „Wir haben einige Leser, die anspruchsvolle Literatur wollen.“ Dazu zählt Amélie Nothombs „Die Passion“. In dem lässt die Autorin Jesus von Nazareth einen inneren Monolog am Tag seiner Kreuzigung halten. „Der Titel war nach der Anschaffung sofort entliehen und ist eines der am besten gehenden Bücher.“ Auch jetzt ist es nicht da, als Martine Schauer es aus dem Regal ziehen will: „Es springt die einheimischen Leser halt schon vom Titel her an.“ Die Passion sei „eben tief verwurzelt in den Seelen der Oberammergauer, auch beim Bücherausleihen“.

Bei den Proben eingespannt

Die Ausleihe ist in diesen Monaten für die nebenamtlichen Bücherei-Mitarbeiterinnen gar nicht so leicht zu organisieren, denn auch sie sind beim Passionsspiel dabei. Martine Schauer steht als Frau aus dem Volk auf der Bühne. Zwei ihrer Kolleginnen singen im Chor mit. Eine davon ist ihre Namensvetterin Caroline Schauer. „Bei den Singproben waren wir tatsächlich den ganzen Tag lang eingespannt“, erklärt sie. Und die sind auch in die Öffnungszeiten der Bücherei gefallen. „Da müssen wir ziemlich oft den Dienstplan umarbeiten und hin und her tauschen.“ Trotzdem sollen die Oberammergauer während der Passionsspiele Lesestoff bekommen. Darum ist von verkürzten Öffnungszeiten nicht die Rede. Die Bücherei ist in diesem Jahr sogar während der gesamten Pfingstferien geöffnet, in denen sie sonst eine Woche lang geschlossen ist. „Es kann während der Passionsspielzeit kaum ein Oberammergauer in den Urlaub fahren, die müssen ja fast alle dableiben“, erklärt Martine Schauer. Entweder helfen sie bei den Aufführungen als Ordnungskräfte mit, sind selbst Darsteller oder müssen sich um die Gäste in den Ferienwohnungen kümmern, die viele Einheimische gerade während der Passionsspiele bereithalten.

Reiseführer zu Israel im Angebot

Wer da noch ein bisschen Zeit findet oder auf andere Gedanken kommen will, kann in der Bücherei von einem Urlaub im Heiligen Land nach den Passionsspielen träumen und sich darauf vorbereiten. Martine Schauer hat einiges an Büchern über Land und Leute in die Regale gestellt, selbstverständlich ist ein nagelneuer Reiseführer über Israel darunter. „Die Hauptdarsteller fahren sowieso zur Vorbereitung hin, aber vielleicht inspiriert es ja auch andere, einmal dorthin zu reisen.“ Schließlich ist in Jerusalem all das geschehen, was im Passionsspiel dargestellt wird. Vor einem solchen Urlaub stehen aber vom 14. Mai bis zum 2. Oktober 103 Aufführungen, an denen über 2.000 Oberammergauer mitwirken. Für die hält die Bücherei jede Menge Lesestoff bereit. Und seien es auch nur Krimis, die beim Einschlafen helfen, wenn die Aufregung vor der Premiere und den ersten Auftritten besonders groß ist.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de