Diplomatischer Dienst des Vatikans

"Wir gehören zur Vielfalt der Weltkirche"

Priester Patrick Körbs absolviert die Ausbildung für den Diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls. Im Interview spricht er über die weltweiten Friedensbemühungen des Vatikans.

Im Zentrum der katholischen Kirche: Springbrunnen und Kuppel des Petersdoms in Rom © imago/Shotshop

mk online: Warum ist die katholische Kirche in der Konflikt- und Krisendiplomatie aktiv?

Patrick Körbs: Die katholische Kirche stellt sich immer an die Seite der Menschen, die keine Stimme haben, gequält und von Krisen geschüttelt werden. Das gibt einfach das Gebot der Nächstenliebe vor. Das kommt natürlich zuerst in der Seelsorge zum Ausdruck, aber aufgrund der internationalen Geschichte der Kirche und ihrer Rolle als Institution hat sich auch eine diplomatische Dimension herausentwickelt.

Seit wann ist denn die römischkatholische Kirche in der Krisen- und Friedensdiplomatie aktiv?

Körbs: Die Friedensappelle von Papst Benedikt XV. im Ersten Weltkrieg an alle Nationen sind sicher ein entscheidender Moment. Schon zuvor war die Zahl der Nuntiaturen ständig gewachsen und damit das diplomatische Feld des Heiligen Stuhls. Deshalb hielt es Benedikt XV. für möglich, aber auch für nötig, sich in die internationalen Beziehungen einzubringen, um diesen mörderischen Krieg zu beenden. Viel hat es leider nicht bewirkt, aber damals hat es begonnen, dass der Papst in Krisen- und Kriegssituationen seine Stimme erhoben und dabei auf seine Diplomaten zurückgegriffen hat.

Wie erfolgreich ist der Heilige Stuhl damit?

Körbs: Da müssen wir bescheiden sein. Es gibt nur selten die großen Würfe, wie wir sie gerne hätten. Würde alles so laufen, wie es die kirchliche Diplomatie sich wünscht, hätten wir keine großen internationalen Krisen. Es gab aber doch immer wieder Situationen, wo der richtige Kirchenmann zur richtigen Zeit aufgetreten ist. Etwa als Papst Johannes XXIII. 1962 in der Kubakrise vermittelt hat, als der Welt ein Atomkrieg drohte. Es geschieht schon immer wieder, dass die Diplomatie des Heiligen Stuhls Wege für ein konstruktives Miteinander bereitet. 

Warum eignet sich der Heilige Stuhl in besonderer Weise für internationale, aber auch binnennationale Vermittlungen? 

Körbs: Der Vatikanstaat ist ein Zwerg unter lauter Riesen, und das ist seine Stärke. Denn er hat kein Staatsvolk, keine Verbindlichkeiten in militärischen Bündnissen oder wirtschaftlichen Vereinbarungen. Er kann sich auf die Not der Menschen konzentrieren. Weil er kaum eigene außenpolitische Interessen hat, kann der Heilige Stuhl Gesprächskanäle zwischen verfeindeten Gruppen oder Nationen öffnen. Zusätzlich gehört es zu den Stärken der katholischen Kirche, dass sie überall in der Welt vertreten ist, und zwar bis in die kleinste Basis hinein, in Pfarreien und Familien. Es wäre eine falsche Vorstellung, dass der Vatikandiplomat kommt, klug verhandelt und dann ändert sich alles zum Positiven. Er versucht die Basis so zu stärken, dass sie Konflikte entschärfen und Unterstützung leisten kann, etwa wenn es um die Verteilung von Hilfslieferungen geht. 

Welche vergessenen Krisen beschäftigen den Vatikan zurzeit?

Körbs: In der Tat lässt sich sagen, dass der Heilige Stuhl keine vergessenen Krisen kennt. Das Staatssekretariat und auch die Kurie sind international aufgestellt und es sind überall kirchliche Strukturen zu finden. Da gerät nichts aus dem Blick, auch wenn sich von Zeit zu Zeit Schwerpunkte aufgrund einer akuten Notlage ergeben. Etwa in Nigeria mit seinen schweren Christenverfolgungen. Von dort werden ständig Entführungen und Ermordungen gemeldet, von denen die deutschen Medien kaum berichten. Der Heilige Stuhl fordert einen besseren Schutz für alle Menschen in diesem Land. Er trägt die Missstände aber auch den internationalen Organisationen vor, damit die Verfolgten nicht vergessen werden. Welche Krisen den Heiligen Stuhl gerade stark beschäftigen, lässt sich den Sonntagsgebeten des Papstes entnehmen. In denen geht er oft auf Krisen ein, die im Rest der Welt schon vergessen sind, etwa die Flutkatastrophe in Pakistan in diesem Jahr. Natürlich ist der Ukraine-Krieg jetzt besonders im Blick. Mit der jüngsten Friedensmission war Kardinal Matteo Zuppi betraut, der auch schon in Mosambik als Vermittler aktiv war. Ein Konflikt, der in Europa kaum wahrgenommen wurde. 

Wie gefährlich sind solche diplomatischen Missionen innerhalb eines fremden Landes?

Körbs: Da kann es schon zu Horrorszenarien kommen. Ich weiß von einem Pastoralbesuch in einem afrikanischen Land, bei dem der Nuntius und die mitreisenden Bischöfe ermordet werden sollten. Da ist eine Bombe hochgegangen. Die Delegation ist mit dem Schrecken davongekommen, aber die Explosion hat viele Unbeteiligte getötet. Oder in einem Bürgerkrieg waren plötzlich alle Kommunikationskanäle gekappt und niemand wusste, was jetzt passiert und ob vielleicht ein Angriff bevorsteht. Das erlebt nicht jeder Vatikan-Diplomat, aber es kann passieren. 

Wie werden Sie in der päpstlichen Diplomatenakademie auf solche schwierigen Einsätze vorbereitet?

Körbs: Der Anspruch der Diplomatenakademie ist ein sehr genereller. Wir lernen, auf welche kirchlichen, staatlichen und internationalen Strukturen und Übereinkünfte, auf welche Personen wir zurückgreifen können, wenn etwa ein Bürgerkrieg eintritt, und welche Schutzmöglichkeiten wir dann haben. Aber auf ein Horrorszenario kann sich niemand vorbereiten, da gibt es keinen Leitfaden. Am meisten lernen wir in dieser Hinsicht vom Austausch mit erfahrenen Kollegen. 

Patrick Körbs und die Diplomaten-Ausbildung am Heiligen Stuhl


Patrick Körbs, Jahrgang 1989, studierte Theologie in Würzburg und München. 2017 wurde er zum Priester des Erzbistums München und Freising geweiht. 2021 erfolgte die Promotion an der Universität der Bundeswehr München über die päpstlichen Botschaften zum Weltfriedenstag; seit 2021 studiert er Kirchenrecht an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom und macht eine Ausbildung für den Diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls. Er selbst schrieb einmal darüber: „Dies ist ein altehrwürdiger und priesterlicher Dienst unserer katholischen Kirche, der von Priestern aus möglichst vielen Nationen mitgetragen wird. Ich werde (...) an der päpstlichen Diplomatenakademie im Völkerrecht und im diplomatischen Handwerk geschult. Vor allem steht dabei auch das Sprachenstudium im Vordergrund. Danach geht es dann um die ganze Welt in verschiedene Länder. In der Regel ist man zwischen drei bis fünf Jahren an einer Botschaft des Heiligen Stuhls (einer sogenannten Nuntiatur). Für mich ist es eine besondere Freude, dass ich in diesen Dienst als Diplomat des Heiligen Stuhls einsteigen darf. Natürlich verbinde ich damit ein hohes Maß an Respekt. Die Arbeit ist anspruchsvoll und für die jeweilige Ortskirche von hoher Bedeutung. Zugleich ist es mir aber auch eine Ehre, als Priester der Kirche zu dienen und zwar in einem Bereich, in dem das Katholische (wörtlich übersetzt: Allumfassende) zum Ausdruck kommt. Denn in diesem Dienst wird deutlich: Kirche ist noch mehr als die Gemeinde unserer Heimat, nämlich eine weltumspannende Gemeinschaft.“ (mk)

Wie sieht die Ausbildung in der päpstlichen Diplomatenakademie generell aus?

Körbs: Wir sind insgesamt 36 Priester aus zurzeit 22 Ländern, die von ihren Diözesanbischöfen für diese Aufgabe freigestellt sind. In erster Linie studieren wir alle Kirchenrecht an einer der päpstlichen Universitäten in Rom bis zum Doktorat. Einige Mitbrüder haben schon eine Promotion oder andere Qualifikationen. Danach richtet sich die Ausbildungsdauer, die zwischen zwei und vier Jahren schwankt. Wir haben eine Reihe hausinterner Kurse, in denen der diplomatische Stil vermittelt wird, zum Beispiel das internationale Protokoll. Also wie ist ein ausländisches Staatsoberhaupt zu begrüßen, wie ist ein Brief an ihn zu schreiben oder wie ist das Verhalten im diplomatischen Korps. Großes Gewicht legt die Diplomatenakademie natürlich auf Sprachen. Im Haus und überhaupt in der Weltkirche herrscht Italienisch vor, dann geht es aber auch um Englisch-, Französisch- und Spanischkenntnisse. Die Ausbildung hat einen hohen Theorieanteil. Wir haben aber auch praktische Arbeitseinsätze im Staatssekretariat in den unterschiedlichen Sprachsektionen. 

Was reizt Sie als Priester, in den Diplomatischen Dienst zugehen?

Körbs: In meiner Doktorarbeit habe ich mich mit den Weltfriedensbotschaften der Päpste beschäftigt, die sie seit 1968 jährlich am Neujahrstag veröffentlichen. In diese Schreiben fließt viel diplomatisches Handwerk ein und ein weltweiter Blick. Das hat mich fasziniert und so hat sich meine Freistellung für diese Ausbildung durch unseren Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, ergeben. Er hat das auch deshalb gefördert, weil nur sehr wenige Deutsche in diesem Dienst sind. Aber auch wir gehören einerseits zur Vielfalt der Weltkirche, andererseits müssen wir über unseren Tellerrand hinausblicken.

Welche Voraussetzungen haben Sie für die Aufnahme in die Päpstliche Diplomatenakademie erfüllen müssen?

Körbs: Den Verantwortlichen in der päpstlichen Diplomatenakademie war vor allem wichtig, dass ich ein Priester bin, der in der Seelsorge verwurzelt ist. Ich war vier Jahre lang Kaplan und Pfarradministrator in Freising. Es war gar nicht so entscheidend, wie gut meine Sprachkenntnisse sind, auch meine Doktorarbeit war jetzt kein besonderes Kriterium. Natürlich sind manchmal Spezialkenntnisse von Vorteil: Ein Mitbruder war in seiner Kindheit länger in China und spricht die Landessprache passabel, ein anderer hat in Russland studiert. Wichtig ist aber wirklich, ein Herz für die Seelsorge zu haben. Auch an der ersten Einsatzstelle steht die Pastoral im Vordergrund. Das war ein Wunsch von Papst Franziskus. Bei einem Mitbruder, mit dem ich kürzlich telefoniert habe, sieht das so aus: Er ist an der Nuntiatur in Ruanda, wohnt aber in der Hauptstadt Kigali in einer Pfarrei und arbeitet dort mit. Von dort aus nimmt er auch Aufgaben in der Nuntiatur wahr, aber in erster Linie lernt er Land und Leute in seiner Pfarrei zu verstehen. 

Sie beenden im Herbst 2024 Ihre Ausbildung. In welchem Land würden Sie persönlich besonders gerne Ihren diplomatischen Dienst aufnehmen? 

Körbs: Da habe ich keine Wünsche und lasse mich überraschen. Wir werden dorthin entsandt, wo gerade Personal gebraucht wird. Nächstes Jahr soll das unter anderem in Angola der Fall sein. Ein Land, in dem jahrzehntelang Bürgerkrieg geherrscht hat und das sich allmählich versöhnt. Es strebt wirtschaftlich auf, dadurch ergeben sich jedoch neue gesellschaftliche und soziale Konflikte. Das aus der Nähe zu erfahren und dort seelsorgerlich-diplomatische Arbeit zu leisten, würde mich sehr reizen. Abgesehen davon ist in Angola Portugiesisch Amtssprache. Das beherrsche ich noch nicht und könnte es dort lernen.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de