Lieber kleine Schritte gehen

Wie sich gute Vorsätze durchhalten lassen

Viele Menschen nehmen sich fürs neue Jahr Großes vor: ein paar Kilo abnehmen, das Rauchen aufgeben, mehr Sport - doch dann funkt der innere Schweinehund dazwischen. Die Katholische Leiterin der Münchner Insel, Sibylle Loew, verrät, warum Realismus und Herz dabei helfen, unsere Ziele umzusetzen.

Mehr Sport zu machen, ist ein beliebter Neujahrsvorsatz. © stock.adobe.com - Zerbor

mk online: Viele Menschen haben das neue Jahr auch diesmal mit guten Vorsätzen begonnen. Ist der Jahreswechsel eigentlich ein günstiger Termin, sein Leben verändern zu wollen – oder wäre diese Unterfangen zu einem anderen Termin aussichtsreicher?

Sybille Loew: Ich glaube, wir alle lieben solche Daten wie den Jahreswechsel oder auch irgendein anderes Datum, das einem selber etwas bedeutet, weil sie natürlich irgendwie etwas Besonderes haben. Aber es kann jeder Zeitpunkt im Jahr sein, an dem ich innerlich bereit bin, etwas zu verändern.

Wie viele solcher Veränderungen kann man auf einmal angehen? Gibt es eine Maximalmalzahl einhaltbarer Vorsätze?

Das hängt sicherlich davon ab, was ich mir so vornehme. Ich glaube, prinzipiell ist weniger mehr. Wenn ich mich mit ganz vielen Veränderungen konfrontiere, habe ich berechtigte Zweifel, ob man das dann auch so hinbekommt. Lieber wertschätzend mit sich sein und sich ein bisschen weniger vornehmen, damit es dann auch gelingt.

Was hilft denn dabei, dass es gelingt?

Realismus und Herz. Es ist gut, wenn ich mich kenne und weiß: Das und das ist einigermaßen realistisch für mich. Ich halte es für das Wichtigste, dass wir wirklich eine innere Sehnsucht spüren, wenn wir etwas verändern wollen, dass wir wirklich merken: Da will ich woanders hin. Je intensiver ich schon diesen Geschmack von dem anderen erahne, desto leichter wird es mir fallen, da dranzubleiben.

Nach einer Woche wird es schon schwieriger, den inneren Schweinehund zu überwinden und sich täglich zum Joggen aufzuraffen oder etwas Gesundes zu kochen. Wie schafft man es, einmal gefasste Vorsätze dauerhaft durchzuhalten?

 

 

Ich habe mal vor vielen Jahren eine Studie gelesen. Die sagte: Wenn eine Veränderung greifen soll, müssten wir etwas sechs bis acht Wochen lang täglich tun. Dann wird es immer mehr eingewöhnt in den Körper, in die Seele, ins Herz, in den Alltag, in den Lebensrhythmus. Es sollte idealerweise zu etwas werden, was mir dann fehlt, wenn ich es nicht mehr mache. Das ist der entscheidende Punkt. Ich stehe vielleicht früher auf, um mich vor der Arbeit zu bewegen. Wenn ich das mal nicht machen kann, merke ich: Wie schön ist es immer, wenn ich morgens durch den Park gehe. Das fehlt mir richtig.

Gibt es noch andere Anzeichen dafür, dass man es wirklich geschafft hat, einen Vorsatz zu beherzigen?

Wenn es nicht mehr diese anstrengende Pflicht ist, dieses Muss und „Eigentlich sollte ich, aber es macht mir gar keine Freude“. Ich muss ja auch was davon haben. Schwierig sind sicher Vorsätze, die nur mit Anstrengung, die nur mit einem Kraftakt, die nur mit Verzicht verknüpft sind, ohne dass ich ein Gefühl dafür habe, was der Gewinn davon ist. Das klassische Beispiel ist ja sicherlich: Ich möchte abnehmen. Wenn ich das die ganze Zeit nur als
Horror erlebe – „Das darf ich nicht essen und das darf ich nicht ...“ –, dann kann das, glaube ich, nicht sehr lange gelingen. Ich muss die Freude gewinnen, zu sagen: Ich esse jetzt weniger, aber mit mehr Genuss, weil ich mir vielleicht mehr Zeit nehme fürs Essen und weil ich besser hinschmecke und -rieche und den Duft genieße.

Wenn man eine Sache geschafft hat, zum Beispiel zehn Kilo abgenommen hat, ist es dann Zeit, sich wieder etwas Neues vorzunehmen, oder darf man auch einfach mal mit sich zufrieden sein und auf jede Selbstoptimierung verzichten?

Zehn Kilo abgenommen, das ist das eine, aber es ist ja auch ein großer Akt, das dann zu halten und auf dem Gewicht zu bleiben. Ich glaube, wichtig ist, dass wir mit viel Wertschätzung mit uns selbst umgehen, uns wirklich loben. Vielleicht schreiben wir das ins Tagebuch. Vielleicht machen wir ein kleines Ritual für das, was wir geschafft haben, und sagen: Am Ende jeder Woche feiere ich das, dass ich es gehalten habe. Da darf dann auch mal der Ausreißer dabei sein – und man gnädig mit sich sein.

Und was raten Sie Menschen, die immer wieder versucht haben, ihr Verhalten zu ändern,
denen es bisher aber nie dauerhaft gelungen ist?


Viele Menschen neigen dann dazu, sich permanent zu entwerten: „Ich hab’s ja wieder nicht geschafft“, „Ich bin zu blöd“, „Ich bin zu dumm“, „Ich kann’s ja gar nicht“ und „Ich bin viel zu schwach“. Das macht alles kaputt. Ich glaube, wichtig wäre da, wirklich zu schauen: Wo liegt denn meine Sehnsucht? Wonach habe ich wirklich ein Bedürfnis? Und nicht nur: Was sagt mir der Verstand oder der Arzt? Ich muss irgendwie das Gefühl haben: Da möchte ich wirklich hin und ich möchte liebevoll da mit mir hin und nicht mit Zwang und Druck. Wertschätzend zu sein und auch die Mini-mini-mini-mini-mini-Erfolge als solche wahrzunehmen. Ich habe es immerhin heute geschafft, das eine ein bisschen anders zu machen. Am nächsten Tag habe ich es vielleicht nicht geschafft, aber am übernächsten habe ich es wieder geschafft und motiviere mich liebevoll damit. Ich brauche den Geschmack von dem, wo ich hin will, damit ich weiß, wofür es sich lohnt.

Das heißt, in noch kleineren Schritten zu gehen und sich nicht gleich zehn Kilo vorzunehmen, ...

... sondern zu sagen: Zwei Kilo sind auch toll! Und dann versuche ich, die erst mal zu halten.

Die Autorin
Karin Hammermaier
Münchner Kirchenzeitung
k.hammermaier@michaelsbund.de