Bundestag gedenkt Opfer des Holocaust

Warnung vor Judenhass

In einer Gedenkstunde hat der Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Für die Holocaust-Überlebende Charlotte Knobloch muss die deutsche Demokratie wehrhafter verteidigt werden.

Im Bundestag wurde an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert und den Blick auf das vergangene und aktuelle jüdische Leben in Deutschland gerichtet. Am Rednerpult: Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. © imago images/epd

Berlin - In einer feierlichen Gedenkstunde hat der Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble erinnerte am Mittwoch an die 1.700 Jahre alte und vielfältige Geschichte der Juden in Deutschland und bekräftigte die kollektive Verantwortung dieser und kommender Generationen, jüdisches Leben zu schützen. Es sei niederschmetternd und beschämend, dass neue Formen des Rassismus und des Antisemitismus - hemmungslos und gewaltbreit - in Deutschland existierten.

Für die Holocaust-Überlebende Charlotte Knobloch muss die deutsche Demokratie wehrhafter verteidigt werden. "Verschwörungsmythen erfahren immer mehr Zuspruch. Judenfeindliches Denken und Reden bringt wieder Stimmen; ist wieder salonfähig - von der Schule bis zur Corona-Demo", mahnte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland in einer emotionalen Rede. Es sei inakzeptabel, die Maßnahmen gegen Covid-19 mit der nationalsozialistischen Judenpolitik zu vergleichen.

Hetze im Internet

Dabei sei das Internet der "Durchlauferhitzer für Hass und Hetze aller Art". Wo Antisemitismus Platz habe, könne jede Form von Hass um sich greifen. Rassismus, Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Menschenverachtung jeder Couleur, warnte die 88-Jährige eindringlich.

Knobloch, deren Großmutter im KZ Theresienstadt starb und deren Vater das Arbeitslager nur knapp überlebte, erinnerte sich in ihrer Rede an ihre Kindheit und Jugend. Sie überlebte die Schoah, da sie beim ehemaligen Dienstmädchen ihres Onkels als deren uneheliche Tochter untertauchen konnte. Sie sei stolz, Deutsche zu sein und Deutschland bleibe ihre Heimat, trotz der Wut und des unerträglichen Leids.

Zerbrechliche Errungenschaften

Heute gebe es wieder jüdische Gemeinden im ganzen Land, sagte Knobloch. Sie seien da und blieben, allen Rückschlägen zu Trotz. "Nicht einen Tag dürfen wir vergessen, wie zerbrechlich die kostbaren Errungenschaften der letzten 76 Jahre sind", mahnte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

"Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine Sisyphos-Aufgabe", sagte die 88-Jährige. Judenhass müsse dabei auch dort bekämpft werden, wo es weh tue: in der Mitte der Gesellschaft, hinter einem Deckmantel der Toleranz, wo Integration in die demokratischen Werte abgelehnt und wo Israel diffamiert und delegitimiert werde.

"Zu gefährlich, sichtbar zu sein"

Die Publizistin Marina Weisband, die mit ihren Eltern als ukrainische Kontingentflüchtlinge in den 1990er-Jahren nach Deutschland kam, schloss sich den warnenden Worten Knoblochs an. "Auch in diesem Land ist es für uns noch immer zu gefährlich sichtbar zu sein." Die Idee, dass die Würde mancher Menschen mehr wert sei, sei nicht ausgestorben. Weisband warnte vor Verschwörungserzählungen als Anfang allen Übels und forderte ein Fortbestehen der Erinnerungskultur ein.

Die Gedenkstunde, die vor 25 Jahren vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog initiiert und wie der Internationale Holocaust-Gedenktag auf den Tag der Befreiung des KZ Auschwitz gelegt wurde, stand in diesem Jahr auch unter dem Zeichen des Jubiläumsjahres "321 - 2021: 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Hierfür wurde nach der Gedenkstunde die restaurierte Thorarolle der einstigen jüdischen Gemeinde des oberpfälzischen Sulzbach von 1793 im Andachtsraum des Bundestags durch Hinzufügung der letzten Buchstaben vollendet. (kna)