Gedenken an Anschlag in Halle

Steinmeier: "Dieser Kampf geht uns alle an"

Das Gedenken zum ersten Jahrestag des Anschlags auf die Synagoge in Halle haben Solidaritätsbekundungen und Mahnungen geprägt. Bundespräsident Steinmeier sagte, er empfinde angesichts der Tat weiter Scham und Zorn.

Vor einem Jahr versuchte ein rechtsextremer Attentäter in die Synagoge von Halle einzudringen. © imago images/Winfried Rothermel

Halle – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnte bei der zentralen Gedenkfeier am Freitag in der Hallenser Ulrichskirche davor, zur Tagesordnung überzugehen: "Wir müssen zeigen, dass wir keine Form von Antisemitismus, ob alten oder neuen, linken oder rechten, tolerieren - mehr noch, dass wir ihn aktiv bekämpfen. Dieser Kampf geht uns alle an." Antisemitismus sei ein "Seismograph" für den Zustand der Demokratie. Er selbst empfinde ein Jahr nach der Tat weiterhin Scham und Zorn.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, rief zum Einsatz für Menschenwürde und Zusammenhalt auf. Das "krude Menschenbild" des 28 Jahre alten Angeklagten trete im laufenden Gerichtsverfahren immer deutlicher zutage. "Mich beeindruckt tief die menschliche Größe der Zeugen im Prozess", so Schuster. "Deutschland ist unser Zuhause, und dieses Zuhause lassen wir uns nicht nehmen."

Zwei Menschen getötet

Am Freitagmittag stand das öffentliche Leben in der Stadt für mehrere Minuten still, parallel läuteten alle Kirchenglocken der Stadt. Hunderte Menschen versammelten sich auf dem Marktplatz. Sie gedachten des Terrorakts vom 9. Oktober 2019, als am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur ein schwer bewaffneter Attentäter versucht hatte, unter über 50 Menschen in der Synagoge ein Blutbad anzurichten. Als ihm das misslang, tötete er eine 40 Jahre alte Passantin und erschoss in einem Döner-Imbiss einen 20 Jahre alten Gast. Darüber hinaus verletzte er mehrere Menschen auf seiner Flucht.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki, nannte die Tat einen Angriff auf alle Menschen und die Demokratie. Es gehe nicht nur um Antisemitismus, sondern auch um Hass und Intoleranz - "und die ist wirklich tödlich". Ob eine Rückkehr in ein normales Leben angesichts der beiden Todesopfer möglich sei, sei ungewiss.

"Zäsur in Landesgeschichte"

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte, die Tat mache deutlich, dass Antisemitismus und Terror jeden treffen könnten - beide Opfer seien keine Juden gewesen. "Sie sind dem Judenhass zum Opfer gefallen, nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren."

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bezeichnete den Tag des Anschlags als eine "Zäsur in unserer Landesgeschichte". Er sicherte der jüdischen Gemeinschaft Unterstützung zu.

Der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer sagte: "Die Wunde ist noch spürbar und nicht verheilt, auch wenn wir rasch wieder zum Tagesgeschäft übergangen sind." Magdeburgs katholischer Bischof Gerhard Feige erklärte: "Es ist eine menschliche Katastrophe, dass Juden in Deutschland nicht in Frieden leben und Gottesdienst feiern können. Zweifellos hat die Polarisierung in der Gesellschaft auf allen Ebenen zugenommen." Um in einer solchen Atmosphäre menschliches Zusammenleben konstruktiv zu gestalten, brauche man "viel Kraft, Elan und Mut - das geschieht nicht automatisch."

Mahnmal enthüllt

Am Freitag wurden im Beisein des Bundespräsidenten an der Synagoge und dem Döner-Imbiss Gedenktafeln enthüllt und Kränze niedergelegt. Im Innenhof der Synagoge wurde zudem ein Mahnmal enthüllt, in das die Holztür mit den Einschusslöchern eingearbeitet wurde, die das gewaltsame Eindringen des Attentäters verhindert hatte. (kna)