Andechs – „Brauereiführung“ – das große Schild am Fuß des Heiligen Berges ist nicht zu übersehen. Oben thront das weltberühmte Kloster Andechs, unten, neben dem Schild, verteilt Lisa Schulz von der Firma Time Ride VR- oder 3-D-Brillen für eine Führung. Sie sehen aus wie eine abgedunkelte Taucherbrille, haben aber einen Lautstärkeregler, zwei empfindliche Glaslinsen und ganz viel unsichtbare Digitaltechnik. „Wir haben technische Szenerien entwickelt, um virtuelle Zeitreisen anzubieten oder Menschen hinter die Kulissen schauen zu lassen, wo sie sonst nie hinkämen“, erklärt Lisa Schulz, hilft beim Aufsetzen der Brille und steckt noch einen Kopfhörer an.
Durch die Brille ist nun die Landschaft wie vor 600 Jahren zu sehen. Und zwar täuschend echt. Man glaubt in die Gerstenhalme greifen zu können, die vor einem stehen, und einen Feldweg zum alten Kloster hinaufgehen zu können. Der Turm ist noch ohne Zwiebeldach, das erst in der Barockzeit aufgesetzt worden ist. Die VR-Brille simuliert ein 360-Grad-Panorama. Dreht man den Kopf, kommen Rinder, die Alpen und die mittelalterlich geprägte Flurlandschaft in den Blick. Dazu ist Vogelgezwitscher zu hören und eine Frauenstimme erzählt von den Anfängen des Klosters, der Wallfahrt und dem damit verbundenen Bier.
8.000 Arbeitsstunden für die künstliche Wirklichkeit
Vier Stationen hat Time Ride für die Andechser Brauereiführung erstellt, über 8.000 Arbeitsstunden in diese künstliche Wirklichkeit gesteckt: „Um die historischen und technischen Szenerien zu gestalten, haben wir ein zwanzigköpfiges Team, zum dem 3-D-Entwickler, Netzwerkspezialisten, aber auch drei Historiker gehören.“ Dann führt Lisa Schulz in die topmoderne Andechser Brauerei hinein, ganz real zuerst ins Sudhaus. Hier und an anderen Stationen sind riesige Kessel zu sehen, es riecht nach Malz und Hefe, mal ist es warm, mal kalt. Es ist körperlich zu spüren, wie viel es braucht, damit ein gutes Bier entsteht. Die Teilnehmer an der Führung sehen aber nicht nur die makellos polierten Außenflächen der riesigen Kessel, durch die VR-Brillen blicken sie ins Innenleben der riesigen, fest verschlossenen Stahl- und Kupferbehälter. Im Gär- und Lagerkeller können sie so etwa im Zeitraffertempo zuschauen, wie das Bier in den klinisch reinen Tanks reift. Zusätzlich erfahren sie, dass 30 Millionen Hefemoleküle auf eine Maß Bier kommen.
Viele Anfragen für Führungen
Für Alexander Reiss, den Betriebsleiter der Andechser Brauerei, ist das selbstverständliches Basiswissen. „Aber durch die VR-Brillen können auch Nicht-Fachleute erkennen, wie es in den Gefäßen zugeht, was in den Behältern passiert.“ Pilger und Besucher auf dem Heiligen Berg können dort also nicht allein beten oder das Bier genießen, sondern jetzt mit modernsten Mittel einiges über Geschichte und Brauereitechnologie lernen.
„Das Ziel der neuen Brauereiführung ist es, einen Wunsch vieler Gäste zu erfüllen, gastfreundlich zu sein“, sagt Benediktinerabt Johannes Eckert, der für das Kloster Andechs und die Münchener Abtei Sankt Bonifaz verantwortlich ist. Deren wirtschaftliches Herz ist die Brauerei. „Und da bekommen wir unwahrscheinlich viele Anfragen für Führungen und einen Blick hinter die Kulissen, was in einem laufenden Betrieb gar nicht so leicht geht.“ Mit Time Ride habe Andechs nun einen „guten Partner gefunden, wo man zum einen in die Brauerei reinkommt, aber auch Einblicke erhält, die sonst nicht so möglich wären“.
Die VR-Brillen machen es möglich. Der Geschmack des Andechser Biers ist allerdings weiterhin nur in echter und nicht in künstlicher Realität zu erleben. Darum gibt es auch das Angebot, die Führung mit einer Verkostung zu beenden und von 45 auf 90 Minuten zu verlängern.
