Nach Münchner Missbrauchsgutachten

Pfarrverband Garching blickt positiv in die Zukunft

Garching an der Alz steht wie kein zweiter Ort für den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. Im Interview spricht der zuständige Pfarrer Hans Speckbacher über die Stimmung vor Ort.

Pfarrer Hans Speckbacher, Leiter des Pfarrverbands Garching-Engelsberg, begrüßt die Entschuldigung des emeritierten Papstes. Eine persönliche Verantwortungsübernahme fehlt ihm dennoch. © privat

mk online: Das Münchner Gutachten wirft dem emeritierten Papst Benedikt vor, mitverantwortlich zu sein, dass Pfarrer H. weiter in der Seelsorge tätig sein konnte. Ratzinger hat sich schon zweimal dazu geäußert. Wie geht es Ihnen und Ihrer Gemeinde, wenn Sie seine Stellungnahme zu hören bekommen?

Pfarrer Hans Speckbacher: Für mich ist zunächst einmal wichtig, sich weder auf die Seite der Ratzinger-Freunde noch derer, die ihn jetzt total in den Schatten stellen, ziehen zu lassen. Ich glaube, es geht vor allem um die Betroffenen und das Kirchenvolk. Die erste Äußerung fanden wir unselig. Das war nicht seine Sprache. Bei diesem juristischen Abwiegeln fragt man sich, wer ihn beraten hat. Ich habe daraufhin für meinen hauptbetroffenen Pfarrverband einen Brief an Ratzinger und Gänswein geschrieben, mit dem Tonus: Abwiegeln hilft jetzt nicht mehr. Bis jetzt haben wir noch keine Antwort bekommen.

Und bei seiner zweiten Stellungnahme?

Speckbacher: Da fand ich – und ich denke viele von uns – die Entschuldigung und die allgemeine Verantwortungsübernahme gut. Der theologisch-liturgische Vortrag, der dann folgt, ist schon eher wieder seine Sprache, bringt aber wenig. Man sollte unterscheiden: Das Lebenswerk, das theologische Werk Ratzingers soll meines Erachtens gewürdigt bleiben. Dennoch frage ich mich manchmal, wer dafür verantwortlich ist, dass der 94-Jährige so vorgeschoben wird. Da wird natürlich auch deutlich, wer alles Teil dieses unseligen Systems ist, in dem er selber ja einiges verändern wollte, aber letztlich scheiterte.

Was fehlt Ihnen denn in dem Schreiben?

Speckbacher: Die Betroffenen, vor allem die betroffenen Pfarreien, hätten sich erwartet und erhofft, dass er auch persönlich Verantwortung übernimmt. Es geht jetzt darum, dass jemand einfach geradesteht und sich hinstellt, wie es auch in einer Familie, in einem Betrieb passieren muss. Das wäre ein Zeichen von Verantwortungsübernahme.

Benedikts Privatsekretär, Georg Gänswein, spricht von einer Schmutzkampagne gegen den emeritierten Papst. Wie geht es Ihnen mit solchen Aussagen?

Speckbacher: Ich denke, man muss immer unterscheiden, wer sich äußert und wie. Es gibt Ratzinger-Freunde, die ihn vorschieben und alles versuchen, um ihn zu schützen. Dann gibt es welche, die sind sehr verletzt, vielleicht innerlich zerstört, denen Hass gegen Kirche, Papst und Bischöfe, Kleriker bleibt. Und dann gibt´s welche, die konstruktiv kritisieren – aus echtem Gespür, echter Sorge um den Glauben und die Kirche heraus. Ganz viele von denen machen tolle Arbeit an der Basis und werden jetzt generell hineingezogen. Also nochmal: Ich glaube, Kritik ist wirklich berechtigt, aber teilweise ist sie auch nur noch pauschal gegen „die Kirche“, hasserfüllt.

Wie sieht diese Kritik und der Umgang mit dem Thema bei Ihnen vor Ort aus?

Speckbacher: Seit Jahren findet eine große Aufarbeitung statt, bei der die Gruppe Sauerteig eine wichtige Rolle spielt. In Gottesdiensten greife ich das Thema weniger in der Predigt auf, die ist für mich nicht ganz der richtige Ort. Aber durchaus in einer Stellungnahme am Schluss von Gottesdiensten oder in einer Äußerung in den Pfarrnachrichten oder im Pfarrgemeinderat. Ansonsten gibt es einfach sehr viele persönliche Gespräche – Kommunikationsformen, die für meine Begriffe sehr wichtig und auch fruchtbar sind.

Initiative Sauerteig


Die Initiative Sauerteig ist eine Gruppe aus ehrenamtlich engagierten Personen im Pfarrverband Garching-Engelsberg. Sie bemüht sich nach eigenen Angaben darum, die Zeit des Missbrauchstäters Pfarrer H. aufzuarbeiten und damit der Öffentlichkeit alle Informationen zukommen zu lassen, die für Klarheit und Richtigstellung wichtig sind. Die Initiative nennt sich „Sauerteig“, weil sich aus diesem kleinen Teil als treibende Kraft ein Prozess der Aufarbeitung und Heilung entwickeln könne.

Die Sorge um den Glauben vor Ort ist also spürbar?

Speckbacher: Ja, auf jeden Fall. Wir tragen jetzt zum Beispiel bewusst an die Öffentlichkeit, was in so einem Pfarrverband konkret an Positivem und Tollem passiert und passiert ist. Wo Leute da sind, die sich für den Glauben und die Gemeinschaft vor Ort einsetzen. Die müssen ja auch gestützt werden, damit diese schwarzen Wolken nicht auch das Gute verdunkeln.

Wie sollte der Prozess und Aufklärung Ihrer Meinung nach weitergehen?

Speckbacher: Im Großen und Ganzen hat unser Bistum einen relativ guten Weg eingeschlagen, obwohl es manche noch nicht so sehen. Ich finde zum Beispiel positiv, dass man die Akten rausrückt und die Staatsanwälte einschaltet. Dass man einen Betroffenenbeirat gründete, Ansprechpartner schuf und den Menschen in betroffenen Pfarreien auch das Gefühl gibt: Ihr werdet gesehen, gehört, bekommt Hilfe, wenn und wo ihr sie braucht.

Wie muss sich die Kirche weiterentwickeln?

Speckbacher: Dazu muss immer beides passieren: Die spirituelle Erneuerung, also die Ausrichtung am Wort Gottes, aber auch die strukturelle Erneuerung. Eine Machtkontrolle der Entscheider, dass man Frauen auch in Leitungspositionen mehr beteiligt und vor allem, dass man eine jesusgemäße Sexualmoral mehr ins Spiel bringt, was hoffentlich auch Auswirkungen auf das kirchliche Arbeitsrecht hat. Da sind ja schon positive Ansätze da. Ein anderes Thema: Ein freiwillig gelebter Zölibat – vor allem in Ordensgemeinschaften – kann überzeugend und hilfreich sein, aber heute einen lebenslangen Zwangszölibat für Weltpriester mit der Lebensweise Jesu zu begründen, stimmt einfach nicht. Nach dem Zeugnis der Schrift lebte er nur drei Jahre so. Da, glaube ich, muss man einfach dem Geist der Bibel, dem Geist der Worte Jesu nachspüren.

Merken Sie bei sich vor Ort, dass das eine gute Basis für die weitere Arbeit der Initiative Sauerteig ist?

Speckbacher: Durch den Druck, den die Initiative anfangs hat ausüben müssen, sind das Gespräch und die Kommunikation zusehends in Gang gekommen. Und der Besuch von Kardinal Marx im Juli letzten Jahres war hilfreich. Er hat wichtige Worte gefunden und den Menschen im Pfarrverband nochmal das Gefühl gegeben, gesehen und gehört zu werden. Den direkt wie den indirekt Betroffenen. Denn der ganze Pfarrverband litt ja unter den Vorkommnissen und kam ein Stück in Schieflage in den vergangenen Jahren.

Aber der Pfarrverband ist auf einem guten Weg, wieder in die Spur zu finden?

Speckbacher: Wir sind zuversichtlich. Nur aus der Wahrheit und dem Bewusstsein, wie die Botschaft Jesu trägt, kann wieder Gutes und Blühendes erwachsen. Heute Abend beispielsweise stellt die Anwaltskanzlei Wastl-Spilker-Westpfahl beim Wirt gegenüber der Kirche den Teil des Gutachtens, der den Pfarrverband Garching-Engelsberg betrifft, vor. Dazu sind auch die Leute eingeladen. Mit Gesprächen und Rückfragen ist das sicher nochmal ein wichtiger Schritt vorwärts. Es tut sich was, ich bin dankbar. (Interview: Hannah Wastlhuber, Volontärin)