Nach dem Münchner Missbrauchsgutachten

Traunstein: Kommission soll Benedikt XVI. neu einordnen

Die "Vaterstadt" des emeritierten Papstes, stellt ihren Ehrenbürger auf den Prüfstand. Ein Stimmungsbild vor Ort.

Die Büste des emeritierten Papstes Benedikt XVI. auf ihrem Sockel vor der Kirche St. Oswald in Traunstein. Hier hat er auch seine Primiz gefeiert. © SMB/Wastlhuber

Traunstein – Ein Samstagvormittag auf dem Stadtplatz. Kalt, aber sonnig, Menschen mit Einkaufskörben schlendern zwischen den Marktständen umher. Im Schatten der Kirche, abseits des Trubels, steht die Bronzebüste des emeritierten Papstes, die Augen Richtung Stadttor gewandt. „Mei, unser Papst muss was mitmachen“, sagt ein Mann im Vorbeigehen. „Die Ehrenbürgerschaft sollen sie ihm lassen, der hat doch eh schon so viel um die Ohren.“

Auch ein älterer Passant findet: „Den sollen sie doch in Ruhe lassen.“ Dass sich die öffentliche Stimmung in der „Vaterstadt“ Benedikts XVI. seit der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens verändert hat, spüre er nicht und eilt weiter.

Missbrauchsgutachten ist durchaus Gesprächsthema

Eine Marktbesucherin aus Reichenhall, selbst nach eigenem Bekunden „religiös und katholisch“, findet schlimm, was in der Kirche passiert ist: „Das tut mir so leid für die Betroffenen, aber der Papst dabarmt mir auch.“ Die Rolle Benedikts war bei ihr zu Hause durchaus Gesprächsthema – im Gegensatz zu einem jungen Paar aus Traunstein: „Bei uns wird gar nicht darüber geredet, wir bekommen das höchstens über die Medien mit.“ Die Nachrichten bestätigten die beiden eher in ihrer kritischen Haltung gegenüber der Kirche.

Gemeinsame Kommission befasst sich mit den Vorwürfen im Gutachten

Ein paar Meter weiter hat der Stadtrat einen kleinen Pavillon aufgebaut und bewirbt sein Klimaschutzkonzept, über das am 20. Februar ein Bürgerentscheid stattfinden wird. Oberbürgermeister Christian Hümmer (CSU) ist beschäftigt mit Klima, nicht Kirche. Für ein Interview stehe er nicht zur Verfügung, sagt er und verweist stattdessen auf eine Pressemitteilung.

Traunstein, Surberg und Tittmoning kündigen darin eine gemeinsame Kommission an, die sich aus „historischer, juristischer und theologischer Sicht“ mit dem Gutachten befassen werde. Mit dem Ziel, darin geäußerte Vorwürfe und Verantwortlichkeiten in die örtliche Erinnerungs- und Würdigungskultur einzuordnen. Der emeritierte Papst wird mit keinem Wort genannt – der Titel des Dokuments „Gemeinsame Pressemitteilung Missbrauchsskandal Papst“ ist da schon etwas deutlicher.

Menschen begrüßen Prüfung der Ehrenbürgerschaft

„Die Ehrenbürgerschaft gehört geprüft“, stimmt ein Marktbesucher aus Bergen zu. Davon erfahren habe er aus der Zeitung, „aber wenn man die nicht liest, bekommt man es nicht mit“. Auch eine Besucherin aus Chieming findet die Prüfung nicht verkehrt. Allerdings „könnte man dann die Hälfte der Straßennamen umbenennen.“ Eine andere Passantin wiederum ist empört, „dass man einen einzelnen Menschen dafür jetzt fertig macht. Das finde ich grundsätzlich nicht richtig, auch wenn ich kein Fan von ihm bin.“

Protest-Aktion der Grünen Jugend

Die „Grüne Jugend Traunstein“ kritisiert Benedikt XVI. deutlich: Sie wolle klarmachen, dass der emeritierte Papst für junge Traunsteiner „kein Vorbild sein kann“, so der Vorsitzende Martin Zillner. Er fordert daher von der Stadt, die Beziehung zu Benedikt zu hinterfragen. Viele Mitglieder des Jugendverbands seien katholisch aufgewachsen, deshalb beschäftige sie das Thema. Zillner selbst ist indessen vor drei Jahren aus der Kirche ausgetreten, sieht die katholische Kultur dennoch als wichtigen Bestandteil Oberbayerns. Ihre Kritik richte sich deshalb auch ausschließlich gegen den Papa emeritus selbst, um, wie es Zillner ausdrückt, „katholischen Menschen zu helfen, sich von dieser toxischen Führungspersönlichkeit zu lösen.“

Öffentliche Aufmerksamkeit hat sich die Grüne Jugend mit einer Protest-Aktion Anfang Februar verschafft. Die Stimmung sei gut gewesen, die Diskussionen konstruktiv und respektvoll, erzählt er. Viele Passanten hätten ihre kritische Einstellung geteilt.

Blick auf das Lebenswerk von Benedikt XVI.

Auch Dekan Konrad Roider, administrativer Leiter der Stadtkirche Traunstein, trat nach eigener Aussage „gerne in die Diskussion mit der Grünen Jugend ein“. Ihm sei wichtig, der Kirche ein Gesicht zu geben, nicht anonym zu bleiben – trotz teils unschöner Vorwürfe. In einem sind er und die Grüne Jugend sich einig: „Jeder Missbrauchsfall ist schrecklich und einer zu viel“, unterstreicht Roider.

Die Kritik der Grünen Jugend an Benedikt XVI. teilt er nicht. Roider fehle der Blick auf dessen gesamtes Lebenswerk und das Zugeständnis, dass dieser „aus seinen leider anfänglichen Fehlern gelernt hat und gerade im Thema Missbrauch als Papst zum Aufklärer geworden ist“. Manchmal frage sich Roider schon, nach wem man Straßen dann überhaupt benennen dürfe, jeder Verantwortliche mache schließlich auch Fehler. In Traunstein etwa trägt der Platz vor dem Landratsamt den Namen des emeritierten Papstes.

Pfarrer Roider: Missbrauchsgutachten fordert mehr Präsenz

Insgesamt habe sich mit der Bekanntgabe des Missbrauchsgutachtens „in Traunstein was verändert“ beschreibt Roider, der Pfarrer am Tachinger See und in Übersee ist und die Stadtkirche nur übergangsweise leitet. Diese habe für ihn „jetzt eine größere Bedeutung bekommen, weil ich da einfach mehr Präsenz zeigen musste“. In den Pfarreien werde viel diskutiert, auch wie Benedikt es besser machen hätte können. Von der Kommission wünscht er sich ein ehrliches und differenziertes Urteil – „das heißt es für mich dann auch zu akzeptieren“. (Hannah Wastlhuber, Volontärin)