Kirchengeschichte

Das Papstamt und die Kirche: Grundstein oder Bremsklotz?

Der Papst ist das Kirchenoberhaupt für rund 1,4 Milliarden Katholiken weltweit. Er verkörpert das Lehramt, ist zugleich der Vorgesetzte aller Bischöfe und Priester und repräsentiert die Kirche in der Welt sowie im interreligiösen Dialog. Ein unter den Weltreligionen einzigartiges Spitzenamt. Doch das war nicht immer so – und muss vielleicht auch nicht immer so bleiben.

Papst Franziskus segnet Gläubige auf dem Petersplatz. © imago images/Independent Photo Agency Int.

„Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“ – so steht es in der Bibel und so steht es auf Latein auch unter der Kuppel des Petersdoms. Vom Papst liest man bei den Evangelisten allerdings nichts. Das Amt entwickelte sich in den ersten Jahrhunderten des Christentums. Zunächst gab es „nur“ den Bischof von Rom. „Aber weil Petrus der erste Bischof war und sein Grab auch mutmaßlich dort ist, hatte der römische Oberhirte immer einen Ehrenvorsitz unter den Bischöfen“, erklärt der Jesuit und Papstexperte Andreas Batlogg. Als das Christentum im 4. Jahrhundert Staatsreligion wurde, legte das außerdem den Grundstein für die umfangreiche weltliche Macht, mit dem das Papstamt für Jahrhunderte ausgestattet war: Ländereien, Besitztümer und militärische Truppen.

Erstes Vatikanum zementierte Unfehlbarkeit des Papstes

Für die Gläubigen außerhalb seines Herrschaftsbereichs spielte der römische Bischof lange Zeit aber eher eine untergeordnete Rolle. Seine weltliche Macht war auf den Kirchenstaat reduziert, die geistlichen Oberhäupter in den Diözesen waren die Bischöfe. Erst das Erste Vatikanische Konzil (1869-1870) zementierte die umfangreiche geistliche Vormachtstellung des Papstes: Nämlich durch die Unfehlbarkeit und den sogenannten „Jurisdiktionsprimat“, durch den der Papst sowohl zum obersten Gesetzgeber als auch über dem Gesetz stehend wurde. „Damit war der Papst mehr als jeder absolutistische Monarch“, urteilt Batlogg. Einerseits reagierte das Konzil damit auf die Aufklärung, durch die sich Liberalismus und Mündigwerdung auch gegen den Willen der Kirche in einem Großteil der Bevölkerung durchsetzte. Andererseits versuchte Pius IX. durch den Ausbau seiner geistlichen Macht, den Verlust seines weltlichen Einflusses zu kompensieren: Noch während des Konzils eroberten italienische Truppen 1870 Rom und den Kirchenstaat.

In Opposition zur modernen Welt 

Danach verstanden sich die Päpste – zurückgezogen in den Vatikan – jahrzehntelang als geistliche Opposition gegen eine immer modernere Welt. Demokratie, Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit wurden von ihnen abgelehnt. Gleichzeitig entwickelte sich die katholische Kirche auf Basis des Ersten Vatikanums zu einer reinen Papstkirche, in deren Mittelpunkt der römische Bischof mit immer mehr Vollmachten ausgestattet wurde. Das inoffizielle Papstmotto zu dieser Zeit: „Die Kirche, das bin ich“. Den Höhepunkt markierte das Pontifikat von Pius XII. (1939-1958), in dem der Papst zwischenzeitlich für acht Jahre zusätzlich auch noch Kardinalstaatssekretär war und damit die beiden höchsten kirchlichen Ämter in Personalunion ausführte.

Auch mehr als 150 Jahre nach dem Ersten Vatikanischen Konzil wirken das damalige Papstverständnis und die dort grundgelegte strikt pyramidenförmige Hierarchie der Kirche bis heute nach. Das weiß auch Schwester Maria Stadler, Generalleiterin der Missionarinnen Christi. In den vergangenen gut drei Jahren bemühte sie sich auf dem Synodalen Weg darum, Reformen für die katholische Kirche anzustoßen. Rom erlebte sie in dieser Zeit vor allem als Bremsklotz. „Das liegt einfach an diesem enormen Apparat, den es in Rom und folglich auch in allen Diözesen gibt.“ Versuche diese Fragen im Synodalen Forum „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ zu klären, blieben in vielen Punkten erfolglos. Vor allem bei den Bischöfen gibt es noch viele, die – gestärkt von Rom – an ihrem Machmonopol festhalten, so der Eindruck Stadlers. Ein Teil der Texte könnte immerhin noch im Rahmen des geplanten Synodalen Rates weiterdiskutiert werden.

Kein Korrektiv

Dabei geht es um viel mehr als nur hierarchische Befindlichkeiten. Das vom Papst her konstruierte pyramidenförmige Machtgefüge sorgt dafür, dass Kontrolle nur von oben her möglich ist – nicht von unten. Für Stadler ein Grundproblem, das beispielsweise auch den Missbrauchsskandal ermöglichte: „Das ist ein systemisches Problem: Beim Papst – und runterdekliniert davon auch beim Bischof und beim Pfarrer – liegt alle Macht in der Hand einzelner Personen, ohne dass es gesetzlich verankerte Korrektive gibt.“ Dabei ist die gemeinschaftliche Ausübung von Macht auch innerhalb der katholischen Kirche schon seit rund 60 Jahren möglich.

Obwohl das Erste Vatikanum durch die Machtüberfrachtung des Papstamtes weitere Konzilien eigentlich überflüssig gemacht hätte, berief Johannes XXIII. 1959 das Zweite Vatikanum ein. „Gegen die große Skepsis vieler Bischöfe“, wie Jesuit Andreas Batlogg weiß. Während anfänglich noch versucht wurde durch seichte und traditionsgefällige Texte das anstehende Bischofstreffen zu einem schnellen Blitzkonzil zu reduzieren, gewann der Wunsch des Papstes nach einer „Verheutigung“ („aggiornamento“) der Kirche auch unter den Kardinälen und vielen namhaften Theologen immer mehr Befürworter. „Das war ein Mündigwerden der Bischöfe“, urteilt Batlogg heute. „Und dann entstanden Texte, die ein grundlegend neues Kirchenbild kreiert haben.“ Dem absolutistischen Kirchenmodell des Ersten Vatikanums, in dem der Papst das alleinige Sagen hatte, wurde knapp hundert Jahre später der Communio-Gedanke gegenübergestellt. „Kirche ist Gemeinschaft: das pilgernde Volk Gottes ist unterwegs, gemeinsam mit den Bischöfen und dem Papst“, erklärt Batlogg. „Und das erzeugte natürlich Spannungen, von denen wir heute noch leben.“

Leitung im Team als Gewinn

Weniger Apparat. Weniger Absolutismus. Mehr Team. All das wurde durch das Zweite Vatikanische Konzil ermöglicht. Trotzdem hat sich am Machtgefälle in der Kirche seitdem vielerorts kaum etwas geändert. Dabei könnten Bischöfe und der Papst sogar davon profitieren, wenn sie ihre Macht teilen. Davon ist Schwester Maria Stadler aufgrund ihrer Erfahrungen als Generalleiterin überzeugt: „Dadurch, dass ich meine Leitung in einem Team ausübe, wird mein Amt nicht geschwächt, sondern gestärkt.“ Auch als Person erlebe sie das als großen Gewinn. In einem derartigen Gemeinschaftsgedanken liege darüber hinaus auch die große Chance, die Gläubigen zu einen.

Faszination Papstamt

Dass das Papstamt dafür beste Voraussetzungen mitbringt, zeigt ein Blick in andere Religionen. Gönül Yerli vom Islamischen Zentrum Penzberg war schon als Kind im katholischen Bayern vom Papsttum fasziniert, denn im Islam gibt es so ein Amt nicht. „Heute als erwachsene Person denke ich mir manchmal: Wie wäre es, wenn auch der Islam, eine ähnliche Institution hätte, so dass einer mal die klaren Worte für eine große Glaubensgemeinschaft spricht?“ Für sie persönlich sei der Papst eine Vorbildfigur, wie Menschen ihren Glauben repräsentieren. Gleichzeitig, sagt Yerli, fühlen sich viele Muslime aber gerade deshalb in ihrem Glauben so wohl, weil es eben keine strikte Hierarchie und keine absolute Lehrmeinung gibt. „Jeder gestaltet seine religiöse Welt ganz persönlich und diese Welt darf eben auch niemandem weggenommen werden.“

Will der Katholizismus seinem Anspruch als Weltreligion auch künftig gerecht werden, kann das Papstamt wohl kaum noch absolutistisch verstanden werden. Der Pontifex wird noch stärker in Gemeinschaft mit den Bischöfen stehen müssen – und in Gemeinschaft mit den Gläubigen.

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
k.bauer@michaelsbund.de