Stadtgeschichte

Was aus Rom nach München gekommen ist

Als nördlichste Stadt Italiens wird München auch bezeichnet. Und tatsächlich kann der Besucher römische Spuren an verschiedenen Orten der Landeshauptstadt finden.

Nach römischem Vorbild erbaut: Das Siegestor in München. © imago/Panthermedia

München – Seit rund 200 Jahren räkelt sich ein Star aus Rom in München. Dabei war er allerdings ein eingebürgerter Römer. Der sogenannte Barberinische Faun in der Glyptothek stammt wohl ursprünglich aus Kleinasien, kam wahrscheinlich als Beutekunst in die Hauptstadt des Imperiums und schmückte dort einen Palast. Irgendwann versank er unter dessen Trümmern, bis ihn Bauarbeiter nahe der Engelsburg wieder ausgruben. Papst Urban VIII., geboren als Maffeo Barberini, und sein Kunstexperte Gian Lorenzo Bernini erkannten sofort den einzigartigen Wert der monumentalen Marmorskulptur. Der Pontifex verfügte, dass sie auf alle Zeit im Familienbesitz und in Rom verbleiben müsse.

Barberinischer Faun kam durch Trick nach München

Urban konnte aber nicht mit den Napoleonischen Kriegen und dem hartnäckigen bayerischen König Ludwig I. rechnen. Die Figur kam wegen Geldmangels der Barberini auf den Kunstmarkt und der Wittelsbacher konnte sie schließlich für eine enorme Summe erwerben, aber nicht nach München bringen. Papst Pius VII. verweigerte gemäß der Verordnung seines Vorgängers die Ausfuhr. Ludwig I. schickte schließlich seine Lieblingsschwester mit einem Trick vor. Karoline Auguste von Bayern war durch ihre Heirat österreichische Kaiserin geworden. Bei einer Audienz bat sie den Heiligen Vater, angestiftet von ihrem Bruder, um eine Gnade, näherhin die Freilassung eines Gefangenen in Rom. Der Papst gewährte das sogleich, erfuhr dann aber zähneknirschend, dass es sich bei dem Gefangenen um den Barberinischen Faun handelte. Seitdem ist eines der wichtigsten antiken Kunstwerke in München.

Panoramabilder von Rom in der Pinakothek

München hat aber nicht nur einen feschen marmorweißen Römer, sondern ganz in der Nähe auch eine fesche Römerin, noch dazu in Farbe. Die um 1820 in der Ewigen Stadt lebenden Maler haben Vittoria Caldoni aus einem Vorort geholt und viele dutzend Male porträtiert. Das schönste Bild von ihr hat wohl Friedrich Overbeck geschaffen und König Ludwig I. hat es für die Neue Pinakothek in München gekauft.

Die ist zwar noch mehrere Jahre wegen Renovierung geschlossen, doch für das Depot ist Vittoria einfach zu schade. Darum hat sie in der Alten Pinakothek ein Ausweichquartier bekommen. Dort dürfte sie sich heimisch fühlen, denn im Saal XII der Gemäldegalerie sind auch vier römische Panoramabilder zu finden, jedes ungefähr so groß wie eine Tischtennisplatte. Sie zeigen die Stadt so, wie sie um 1830 von der Villa Malta aus nach den verschiedenen Himmelsrichtungen zu sehen war. Romkenner entdecken darauf auf Anhieb den Petersdom, den Quirinalspalast oder Santa Maria Maggiore. Gleichzeitig haben sie eine Stadt vor Augen, wie es sie heute nicht mehr gibt: mit vielen freien und grünen Flächen, nicht motorisiert und in die sie umgebende Landschaft eingebettet. So hat Vittoria Caldoni die Stadt noch gekannt.

Natürlich war auch bei diesen Bildern Ludwig I. im Spiel. Er hat damals die Villa Malta auf dem Pincio besessen und das Panorama in Auftrag gegeben. Die Ansichten sollten in einem Raum seiner bayerischen Residenz hängen und ihm jederzeit wenigstens einen zweidimensionalen Rundumblick auf Rom ermöglichen.

Siegestor und Theatinerkirche haben Vorbilder in der Ewigen Stadt

In seiner Hauptstadt München könnte er Vittoria Caldoni bei einem Spaziergang heute auch Dreidimensionales zeigen, das an Rom erinnert. Auch wenn der König häufiger nach florentinischen Vorbildern bauen ließ, das Siegestor orientiert sich eindeutig am Konstantinsbogen nahe dem Forum Romanum. Ein paar hundert Meter weiter würde er bestimmt an der Theatinerkirche haltmachen. Das Mittelstück ihrer Fassade und die mächtige Kuppel kopieren die römische Mutterkirche der Theatiner, Sant’Andrea della Valle. Kurfürstin Henriette Adelaide und Kurfürst Ferdinand Maria haben den katholischen Männerorden mitsamt seiner Architektur in ihre Residenz geholt.

So ähnlich hatten es ein paar Generationen zuvor schon andere Wittelsbacher mit den Jesuiten gemacht. Die holten sich jede Menge Bauideen für die Michaelskirche aus Il Gesù, besonders das mächtige Tonnengewölbe. Auf die dortigen Deckengemälde und die Kuppel haben sie aber verzichtet. Ludwig I. müsste Vittoria Caldoni wahrscheinlich gezielt auf die Ähnlichkeiten aufmerksam machen. Vielleicht würde ihr aber die Spitze des Alten Peters auffallen, die an die Obelisken in der Ewigen Stadt erinnert. Das Gotteshaus trägt zudem dasselbe Patrozinium wie der große Bruder am Tiber. Nicht umsonst haben Nikolaus Gottfried Stuber und Egid Quirin Asam hier den barocken Hochaltar in Anlehnung an die Cathedra Petri im römischen Petersdom gestaltet.

Erinnerungen an Papst-Besuche im Alten Peter

In der ältesten Münchner Pfarrkirche träfe Vittoria auch auf eine Landsfrau: Die Gebeine der heiligen Munditia stammen aus den Cyriakus-Katakomben. 1677 ist sie über die Alpen gekommen und St. Peter hat sie prachtvoll empfangen. Vor dem Chorraum erinnert ein Medaillon an einen römischen Besucher, der nicht so lange geblieben ist: Papst Pius VI. zelebrierte hier 1782 eine Messe. Es dauerte fast 200 Jahre, bis wieder ein römischer Pontifex in die bayerische Landeshauptstadt kam. An den Besuch Johannes Pauls II. macht im Liebfrauendom ein Relief aufmerksam, genauso auf seinen Nachfolger Benedikt XVI., der hier seinen Bischofsstuhl hatte. Ludwig I. könnte Vittoria Caldoni noch an dessen ehemaligem Wohnsitz, dem Erzbischöflichen Palais in der Kardinal-Faulhaber-Straße vorbeiführen. Wahrscheinlich täte es ihm weh, ihr nicht mehr den Sitz der ehemaligen Apostolischen Nuntiatur zeigen zu können. Die Botschaft war in dem eleganten Palais Degenfeld am Königsplatz untergebracht, dort wirkte mit Eugenio Pacelli als Gesandtem ebenfalls ein späterer Papst.

Historiker Ferdinand Gregorovius verbrachte Lebensabend in München

Vielleicht würde Ludwig in die entgegengesetzte Richtung einschwenken, zur Maximilianstraße. Vorbei an der früheren Wohnung des Historikers Ferdinand Gregorovius. Der aus einer evangelischen Pfarrersdynastie stammende Gelehrte hat mit seiner glänzend geschriebenen „Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter“ ein Standardwerk geschaffen. Dafür hat er als erster Deutscher und zudem als Protestant die Ehrenbürgerwürde der italienischen Hauptstadt erhalten. In München hat er seinen Lebensabend verbracht und ist hier auch gestorben. Um ja nicht in den Verdacht zu geraten, ein Papist geworden zu sein, ließ sich Gregorovius im damals einzigen Krematorium Deutschlands in Gotha einäschern. In Ludwigs letzten Lebensjahren war die Maximilianstraße gerade fertig geworden, von römisch inspirierter Architektur ist hier nichts zu finden, nur ein aktuelles Prominentenlokal mit dem Namen Café Roma. Vielleicht wäre er darauf neugierig und würde Vittoria Caldoni dorthin einladen. Vielleicht ließe er es aber auch bleiben. Denn der König war äußerst sparsam. Seinen Mantel hat er oft flicken lassen. Er gab sein Geld lieber für den Barberinischen Faun oder das Porträt von Vittoria Caldoni aus als für schicke Kleidung oder Restaurants. Und damit hat er noch etwas mehr Rom nach München gebracht.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de