Das alles passierte 2008. Thomas S. war Ende dreißig und brach unter der Belastung zusammen. Diagnose: paranoide-halluzinatorische Schizophrenie. Es folgten Krankenhausaufenthalte und Therapien. Als er sich wieder stabil fühlte, wollte er wieder arbeiten. Er machte eine Ausbildung als Gesundheitsberater in Freising und zog 2010 nach Dachau, wo er bis heute lebt. Auch in seinem alten Beruf wollte er es nochmal probieren, doch als er den OP-Saal betrat, war er überfordert. „Ich wusste auf einmal gar nicht, was ich tun soll“, erzählt er. Es folgte ein erneuter Zusammenbruch und der endgültige Abschied von seiner Arbeit – und von seinem alten Leben.
Arbeiten geht nicht mehr
Dank Medikamenten hat er die akustischen Halluzinationen und die Paranoia in den Griff bekommen. Trotzdem reagiert er sehr sensibel, kann Stress kaum aushalten. Arbeiten geht nicht mehr. Mit vierzig war Thomas S. plötzlich Frührentner und bekommt seitdem Erwerbsminderungsrente. Es ist ein Zustand, den er schwer akzeptieren konnte: „Ich habe mich lange über die Arbeit definiert. Ich dachte, wer nichts schafft, ist nichts wert“, sagt er. Doch er musste nicht nur lernen, mit seiner Krankheit zu leben, sondern auch mit wenig Geld auszukommen. Früher sei er gern ins Kino gegangen, habe im Fitnessstudio trainiert und sei gern gereist, sagt er. Heute stünden die Kultur und der Genuss hinten an: „Da überlege ich mir schon zweimal, ob ich mir mal eine Flasche Wein gönne oder das Geld für ein Brot ausgebe. Meine finanzielle Decke ist sehr dünn gestrickt.“
Viel Unterstützung hat er bei der Beratungsstelle für psychische Gesundheit der Caritas Dachau bekommen. Florian Krauss ist Psychologe und betreut Thomas S. „Wir bieten ein niedrigschwelliges Angebot für Menschen, die in einer Krise stecken und psychologische Betreuung brauchen“, sagt Krauss. Die Beratung ersetze hierbei keine Psychotherapie, sondern sei vielmehr eine erste, kostenlose Anlaufstelle, die unter anderem bei Anträgen unterstütze und bei der Suche nach einem Therapieplatz helfe. Auch Angehörige von psychisch Erkrankten könnten sich an sie wenden. „Herr S. kommt im Drei-Wochen-Rhythmus und wir führen stabilisierende Gespräche“, erklärt Krauss.
Auf Stärken fokussieren
Thomas S. tun die Gespräche sehr gut, wie er selbst sagt: „Herr Krauss hilft mir massiv, das Gute im Leben zu bewahren und mir auch zu vergegenwärtigen.“ Das bedeutet vor allem, dass er gelernt hat, sich auf seine Stärken zu fokussieren. Und das sind vor allem seine Leidenschaften, für die er immer noch brennt. Er spielt Gitarre, ein wenig irische Flöte und Trommel. Und er singt: „Ich bin ein guter Sänger“, sagt er stolz. Auch das Handwerkliche liege ihm immer noch. Er deutet auf einen Eichenschreibtisch, der einen Großteil der Einzimmerwohnung ausfüllt: „Das ist mein Gesellenstück. Der ist unverwüstlich“, sagt er.
Thomas S. hat noch viele Dinge im Kopf, die er bauen möchte. Dabei könne er wie bei der Musik alles um sich herum vergessen, erzählt er. Doch dafür fehle ihm das Werkzeug. Einen Akkuschrauber, eine Stichsäge, einen Schwingschleifer – darüber würde er sich sehr freuen. Doch er beklagt sich nicht. Rund zehn Jahre hat es gedauert, bis er sich mit dem, was ist, arrangiert hat. Vielleicht mehr Akzeptanz und Respekt gegenüber psychisch Erkrankten würde er sich wünschen: „Wir versuchen einfach nur unser Leben zu leben“, sagt er. (Eileen Kelpe, Volontärin beim Michaelsbund)