München/Lesbos – Wenn er die Augen schließt und an seine Reise denkt, sieht Monsignore Rainer Boeck die verbrannte Fläche vor sich, auf der das Flüchtlingslager von Moria stand: „Dort ist nichts mehr übrig. Man sieht nur verkohlte Relikte: die Schuhe von kleinen Kindern und halbverbrannte Dokumente, die die große Hoffnung derer waren, die damit ein künftiges Leben aufbauen wollten“, erzählt der Diözesanbeauftragte für Flucht, Asyl, Migration und Integration mit bewegter Stimme.
Er ist auf Einladung von Caritas International nach Lesbos geflogen, um sich vor Ort über die Lage zu informieren. Das Wort „Lager“ benutzt er ganz bewusst, wenn er von seinen Eindrücken berichtet: „Denn die Unterkünfte, in denen die Geflüchteten leben müssen, sind eingezäunt und bewacht. Die Menschen können sich nicht frei bewegen. Sie sind eingesperrte Menschen.“
Hoffnungslose Situation
Mit den Mitarbeitern von Caritas International konnte er sich frei in den Lagern bewegen und mit den Menschen sprechen. Die Geflüchteten haben ihm von ihrer hoffnungslosen Lage berichtet. Sie sind über das Meer von der Türkei nach Lesbos gekommen. Ihre Asylanträge werden in mehr als der Hälfte der Fälle abgelehnt. Dann müssten sie zurück in die Türkei. Doch die nimmt die Menschen nicht wieder auf. Also sitzen sie entweder als sogenannte Fehlbeleger fest oder tauchen in die Illegalität ab.
Sein Fazit: Die Zustände sind weiterhin schlimm und die Politik muss endlich andere Lösungen finden, als Menschen an den Außengrenzen Europas in Sammellagern unterzubringen. Da eine europäische Lösung nicht in Sicht ist, könne Deutschland mit gutem Beispiel voran gehen. Schließlich hätten schon viele Städte ihre Bereitschaft erklärt, Menschen aufzunehmen. Und er weist auf die kommende Bundestagswahl hin: „Da können wir als Christen immer wieder unsere Politiker fragen: Sucht ihr nach ganz konkreten Wegen, zum Beispiel Flüchtlinge von Lesbos zu uns zu holen?“ So könne man Druck aufbauen, denn dann wüssten Politiker, dass sie ihr Fähnlein nicht nach dieser Antistimmung ausrichten müssen, um gewählt zu werden, sondern im Gegenteil, wegen ihrer humanitären Einstellung.
Denn das christliche Abendland wurde durch zwei Religionen geprägt: „Schon im alten Judentum wurde den Menschen immer wieder gesagt: Denkt an euer eigenes Schicksal. Denkt an Ägypten. Ihr wart über lange Zeiten eurer Geschichte Geflüchtete. Und ihr wart froh, wenn ihr Menschen gefunden habt, die euch als Menschen anerkannt haben. Und das hat Jesus dann natürlich noch einmal gesteigert, indem er gesagt hat: In jedem Menschen musst du das Abbild Gottes sehen.“