Sterbebegleitung

Das Jetzt zählt

Tränen und Glück liegen nahe beieinander, wenn man als Hospizhelfer arbeitet. Susanne Holzapfel, Chefin vom Dienst bei der Münchner Kirchenzeitung, erzählt von ihren Erfahrungen als Sterbebegleiterin.

Sterbebegleitung - auf dem letzten Weg eines Menschen dabei sein (Bild: sanderstock/fotolia.com) © Sanderstock/Fotolia.com

München – „Warum tust du dir das an?“ Diese Frage ist mir am häufigsten gestellt worden. Und meistens wurde blitzschnell hinterhergeschoben: „Ich könnte das nicht, das ist doch furchtbar.“

1994 habe ich das erste Mal einen Menschen beim Sterben begleitet. Wie viele es seitdem gewesen sind, habe ich nicht gezählt. Sicher ist allerdings: Es war kein einziges Mal furchtbar und statt mir damit etwas anzutun, habe ich so viel bekommen, so viel Glück erfahren und Zufriedenheit wie man es sich wohl nicht vorzustellen vermag, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Gute Gefühle zu haben, auf dem letzten Lebensweg eines Menschen dabeisein zu dürfen, hört sich zunächst paradox an. So wie überhaupt einige Empfindungen in diesem Bereich auf den ersten Blick widersprüchlich sind.

Sterben ist – so sehe ich das – das Intimste was ein Mensch erlebt. Wenn nun also ein Sterbender mir, einem zu Beginn völlig Fremden, erlaubt, diese existenzielle einzigartige Phase seines Daseins mitzuerleben, dann ist das ein enormes Privileg. Schließlich weiß kein Mann und keine Frau, was da auf ihn zukommen wird. Wie wird der Körper sich verändern, wie das Wesen, wie schlimm werden die Schmerzen, die Angst, die Verzweiflung und die Traurigkeit? Im Angesicht des Todes versagen alle Prognosen. Starke Menschen können stark bleiben oder aber so schwer getroffen sein, dass das Weinen kein Ende nehmen will. Aus eher ängstlichen Menschen können gelassene werden, die dem eigenen Tod ruhig entgegenblicken und ihren Frieden mit ihm machen können. Alte Menschen, die ein langes Leben hatten, können mit ihrem Ende hadern, während junge dankbar für das Erlebte sind.

Kein Todeskampf

Wie gesagt, in den vielen Jahren habe ich alle Varianten erlebt. Was ich jedoch nie erlebt habe, war das, was man „Todeskampf“ nennt. Das Sterben ist kein Kampf, der Kampf hat oftmals vorher stattgefunden, wenn qualvolle Therapien durchzustehen waren, wenn Medikamente mehr Schmerzen verursacht haben anstatt Linderung zu bringen, wenn zerschlagene Hoffnungen die Kranken niedergeschmettert haben und Familien, Freunde und Bekannte manchmal mehr Trost brauchten als der Patient.

Die Zeit, die einem als Hospizhelfer mit dem Sterbenden bleibt, ist vergleichsweise kurz. Und eben weil das so ist und weil das den Beteiligten bewusst ist, entsteht im Verhältnis der beiden sehr schnell eine Nähe, die ich immer als sehr schön empfunden habe. Das Jetzt zählt, weil es nur noch so kurz bemessen ist. Es wird gesagt, was zu sagen ist, und ausgedrückt, was gefühlt wird. Unmittelbarer kann eine menschliche Beziehung nicht sein.

Natürlich habe ich geweint, natürlich gab es Nächte, in denen ich schlaflos geblieben bin, natürlich gab es grausame Schicksale, die mir an die Nieren gegangen sind – keine Frage. Aber das alles war am Ende immer gut zu verkraften, weil die schönen Momente, die Liebe, die Wärme, die Nähe, die Hand, die die meine genommen hat als sonst nichts mehr ging, so wunderbar waren, dass ich dafür immer dankbar sein werde. (Susanne Holzapfel)

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Tod und Sterben