Münchner Diakon fordert eine Trauerkultur

Keine Angst vor Tränen

Über Tod und Trauer zu reden, damit haben viele Menschen Schwierigkeiten. Viele wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, wenn sie damit konfrontiert werden. Diakon Stephan Häutle hat kein Problem damit. Dabei lässt einen sein Schicksal oft verstummen.

Diakon Häutle: "Mit dem Tod endet keine Beziehung, sondern sie wandelt sich". (Bild: imago) © imago

München – Das Schicksal vom Münchner Diakon Stephan Häutle lässt viele Menschen sprachlos werden: Seine Tochter Bianca starb mit 28 Jahren an Brustkrebs, zehn Monate später seine Frau an einem Hirntumor und neun Monate später plötzlich sein Vater. Häutle hat seinen Halt im „Da-Sein“ vor Gott gefunden. Er ist Diakon im Liebfrauendom. Das Wahrzeichen Münchens war für ihn ein Kraftort. Dort konnte er sich in der Liturgie „fallen lassen“. Oft saß er mit all seinen Fragen und all seiner Zerrissenheit in der Sakramentskapelle. Außerdem war er viel am Starnberger See spazieren: „Wasser, Wellen – die Natur zu spüren, tat irre gut“. Um neue Impulse zu bekommen, hat er sich auch an einen geistlichen Berater gewandt. Das war sein Weg, mit den Verlusten umzugehen.

Wer verstorben ist, ist nicht tot

Doch es gab auch eine Phase, da wäre er an der Situation fast zerbrochen. Mit 30 Jahren wurde bei seiner Frau ein Hirntumor festgestellt. Sie konnte nicht mehr laufen, schreiben und musste alles wieder erlernen. Über ein Jahr hat sie sich in einer Klinik wieder zurück ins Leben gekämpft. In der Zeit war er allein mit seinen vier Kindern – da sei er „schier verrückt geworden“, beschreibt er die Situation damals. In den nächsten Jahren kam bei seiner Frau der Krebs fünfmal zurück, schließlich unterlag sie. Mit dem Tod werde, so Häutle, keine Beziehung abgebrochen, sondern es vollziehe sich ein „Beziehungswandel“: „Die, die uns vorausgegangen sind“, beschreibt er, „sind nicht tot, sondern verstorben“. Indem „der  Verstorbene in mir weiterlebt, derjenige einen ganz sicheren Ort in mir hat, kann ich ihn überall hin mitnehmen“. So kann Stephan Häutle mit seiner verstorbenen Tochter auch durch München „spazieren“ und sogar mit ihr „sprechen“, wenn er zum Beispiel in einer Ausstellung vor einem Kunstwerk steht, das ihr gefallen könnte.

"Wir lassen die Menschen allein"

Der Münchner Diakon möchte Menschen ermutigen, den Beziehungswandel individuell zu gestalten. Er fordert deshalb eine „Trauerkultur“, denn eine bloße „Bestattungskultur“ reiche nicht aus. In den ersten Monaten nach dem Tod müsse der Trauernde nur funktionieren, Fragen nach dem „Warum? Wieso?“ träten erst später auf, erklärt er. Zwar gäbe es hierfür bereits einen riesigen Markt, so bietet zum Beispiel ein Reiseveranstalter extra Angebote für Trauernde an, doch „die Kirche macht so gut wie nichts“, ist sein Eindruck. Dabei habe sie doch eine Lebensbotschaft: „Dass Gott mit uns durchs Leben geht  – von der Geburt bis durch den Tod hindurch ins neue Leben, das er uns verheißen hat“. Häutle meint, dass die Kirche diese Botschaft zwar am Grab bei Bestattungen verkündet, doch „dann lassen wir die Menschen allein“.

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Tod und Sterben