Mehrheit nach emotionaler Debatte

Bundestag verbietet organisierte Beihilfe zum Suizid

Geschäftsmäßige Sterbehilfe soll es in Deutschland künftig nicht geben. Das hat der Bundestag heute beschlossen. Hier erfahren Sie die Hintergründe zur Entscheidung und warum sie von ZdK-Präsident Alois Glück begrüßt wird.

Reichstagsgebäude mit Sitz des Deutschen Bundestags in Berlin (Bild: Fotolia.com/Giso Bammel) © Fotolia.com/Giso Bammel

Berlin – Organisierte Beihilfe zum Suizid ist künftig verboten. Nach einer zweijährigen Debatte entschied der Bundestag am Freitag mit breiter Mehrheit ein Gesetz, das die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt. Nahestehende Personen sind aber von der Strafandrohung ausgenommen. Angebote wie jener des Vereins "Sterbehilfe Deutschland" von Roger Kusch sind damit in Deutschland künftig untersagt.

Der Entwurf der Abgeordneten um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) erhielt im Stimmzettelverfahren schon in der Zweiten Lesung überraschend mehr Stimmen als alle anderen Vorlagen einschließlich der Nein-Stimmen. In der Dritten Lesung setzte er sich mit 360 Ja-Stimmen bei 233 Nein-Stimmen und 9 Enthaltungen durch.

Erleichterung bei Alois Glück

"Ich bin sehr zufrieden und sehr erleichtert", sagte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, dem Münchner Kirchenradio. In den letzten Tagen vor der Abstimmung habe es noch eine starke Kampagne gegeben, "möglichst nichts zu beschließen". Dadurch hätte aber jede Art von Geschäft mit dem Tod freie Bahn bekommen, so Glück. Nach dem Entschluss des Bundestags seien nun aber alle Formen organisierter Beihilfe zum Suizid strafbar.

Glück betonte aber auch, dass es besonders für Christen nicht ausreiche, "zu sagen, was nicht geht". Der Ausbau der Palliativmedizin und Hospizbegleitung, den der Bundestag am Donnerstag beschlossen hat, sei in diesem Zusammenhang genauso wichtig. Das Bemühen schwerkranken Menschen möglichst schmerzfreie letzte Tage ohne Qualen zu ermöglichen, müsse im Vordergrund stehen. "Mit dem Parlamentsbeschluss gibt es natürlich noch keine einzige zusätzliche Einrichtung. Hier sind wir als Bürger und Kirchen vor Ort gefordert", sagte der ZdK-Präsident.

"Mit der Gesetzgebung können wir in der Praxis jetzt sehr gut leben", sagte Thomas Hagen, Palliativ-Experte im Münchner Ordinariat. Die Regelung helfe den betroffenen Menschen, weil das Gespräch zwischen Arzt und Patient geschützt werde. "Das Gesetz macht deutlich, dass ein assistierter Suizid nicht zum Angebot eines Arztes gehört", so der Pastoralreferent. Das Thema assistierter Suizid könne ausschließlich vom Patienten in das Vertrauensgespräch eingebracht werden, "und dann muss der Arzt sich nach seinem ethischen Gewissen dazu verhalten". Die vom Bundestag beschlossene Regelung - die laut Hagen insgesamt einen starken Fokus auf die Stärkung des Lebensschutzes habe - stelle auch klar, dass dies Entscheidungen seien, die der Gesetzgeber letztendlich nicht regeln kann. 

Leidenschaftliche Debatte im Bundestag

In einer ebenso nachdenklichen wie leidenschaftlichen dreistündigen Debatte führten Gegner einer Strafbarkeit das Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens ins Feld und warnten vor einer Kriminalisierung der Ärzte. Befürworter des Verbots verwiesen auf den Schutzauftrag des Grundgesetzes und warnten vor wachsendem Druck auf Schwerkranke, Alte und Depressive bei einem Regelangebot von Beihilfe.

In dieser ethisch brisanten Frage gab es keinen "Fraktionszwang". Erstmals fand auch eine Orientierungsdebatte vor dem Gesetzgebungsverfahren statt.

Zu Beratung lagen den Abgeordneten vier fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe sowie ein Antrag vor. Neben dem Brand/Griese-Entwurf traten die Abgeordneten um Patrick Sensburg (CDU) für ein völliges Verbot der Beihilfe ein. Demgegenüber wollten Parlamentarier um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) allein die auf Gewinn angelegte Suizidbeihilfe verbieten, ansonsten aber günstige Rahmenbedingungen für die Beihilfe schaffen. Abgeordnete um Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) wollten Ärzten die Beihilfe unter bestimmten Bedingungen ausdrücklich erlauben.

Brand nannte als Kernanliegen seiner Vorlage: "Hilfen ausbauen und den Missbrauch stoppen". Es gehe nicht nur um Verbot, sondern um Schutz vor gefährlichem Druck. Griese betonte, dass die Regelung nichts an der derzeitigen Situation der Palliativmedizin ändere. Sie wandte sich aber gegen die Sterbehilfe als ärztliche Regelleistung oder als frei verfügbares Angebot. Es solle sich niemand "dafür entschuldigen müssen, dass er noch leben will".

Selbstbestimmung gefordert

Hintze forderte hingegen, verantwortlich Ärzten müssten im "extremem Notfall" auch wiederholt Suizidbeihilfe leisten können. Der Staat dürfe nicht bevormunden. Um einen Scharlatan zu erwischen, würden "tausende verantwortliche Ärzte mit Strafe bedroht". Kern der Menschenwürde sei die Selbstbestimmung.

Künast betonte, es gehe um den Respekt vor der Freiheit des anderen, seinen eigenen Weg zu gehen. Auch Sitte sah keinen Grund für einen "Eingriff in die Souveränität" des Bürgers. Sterbehilfevereine wie der von Kusch seien schon jetzt streng reguliert. Sie warf den Verbotsvertreter vor, ihre religiöse und weltanschauliche Mindermeinung einem säkularen Staat aufzudrängen.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wies diesen Vorwurf zurück. Es gehe um die "Verteidigung der Rechtschutzorientierung unserer Verfassung". Sensburg betonte, "nicht durch die Hand, sondern an der Hand eines anderen soll der Mensch sterben". Die Herbeiführung des Todes sei keine Sterbebegleitung. (ksc/kna)