Biografiearbeit

Versöhnte Brüche

Ob Schulkind oder Pensionist - die Reflexion des eigenen Lebens kann Kraft für die Zukunft geben. Die Methode hat aber auch ihre Grenzen.

Die Biografiearbeit setzt auf das Erzählen in Gemeinschaft. © imago images / Panthermedia

Es wird eine Trennung geben. Das ist jetzt schon klar. Und sie wird wehtun. Die Viertkläßler werden nach dem Schuljahr getrennte Wege gehen, eine Gemeinschaft löst sich auf. Die Religionslehrerin spürt die Unsicherheit unter den Grundschülern und spricht im Unterricht über die gespannte Vorfreude auf das Neue, aber auch über die Trauer, die das Ende dieses Lebensabschnittes begleitet. Sie unternimmt mit den Mädchen und Buben eine sogenannte Phantasiereise. Die Kinder liegen auf Decken und erzählen, wie sie schon einmal etwas ganz Neues verkraften mussten: einen Umzug in eine andere Stadt oder die Geburt eines Geschwisterchens.

Sie sagen, was ihnen damals geholfen hat. Natürlich waren da die Mama und der Papa wichtig, aber auch ein Teddybär, ein Gebet oder sogar der Blick auf den Namenspatron, der im Vertrauen auf Gott gelebt hat. Am Schluss bastelt jedes Kind eine kleine „Rettungsschachtel“ – für alle Fälle, wenn der Trennungsschmerz zu groß wird. Darin kann das Klassenfoto sein, ein Heiligenbildchen oder die Telefonnummer einer Freundin, die in einigen Wochen in eine andere Schule gehen wird.

Kräfte entdecken

Es ist ein Beispiel klassischer Biografiearbeit, das Monika Heilmeier-Schmittner am Telefon schildert. Die Referentin für Persönlichkeits- und Familienbildung an der Freisinger Domberg-Akademie unterrichtet diese Methode seit 15 Jahren, leitet Gruppen an und bildet sie weiter.

Laut Wikipedia ist Biografiearbeit eine „strukturierte Form zur Selbstreflexion“, die ausgebildete Fachleute begleiten. Entwickelt hat sie der amerikanische Mediziner und Gerontologe Robert Neil Butler, um vor allem ältere Menschen zu stärken. Wenn sie auf die Brüche und Knotenpunkte ihres Lebens schauen, sollen sie auch die Kräfte entdecken, mit denen sie die Herausforderungen gemeistert haben.

Erzählen in Gemeinschaft

Die Biografiearbeit setzt dabei auf das Erzählen in Gemeinschaft. Die Gruppenleiter breiten oft Fotos aus, zu denen jeder berichtet, was ihr oder ihm aus dem eigenen Leben dazu einfällt. Oder es wird über Fragen gesprochen, die auf einem Würfel stehen. Schon seit Längerem findet die Methode nicht nur Anwendung bei Senioren, sondern auch bei jungen Erwachsenen oder sogar Schulkindern. Denn jedes Lebensalter kennt tiefgreifende Veränderungen.

In der Biografiearbeit wird nicht einfach geplaudert, sondern das eigene Leben erforscht und geordnet. „Viele ältere Menschen leiden oft noch im hohen Alter daran, dass sie sich als Kind zurückgesetzt und unbeachtet gefühlt haben oder viel Schläge von den Eltern und anderen Erwachsenen bekommen haben“, berichtet Heilmeier-Schmittner. Dann schält die Diplompädagogin mit der Gruppe heraus, welche Kräfte der jeweilige Mensch entwickelt hat, um sich von solchen Kränkungen und Beschädigungen nicht unterkriegen zu lassen. Oft führt das zu einem „positiveren und zuversichtlicheren Blick auf das Leben und die Zukunft, die noch vor einem liegt“.

Biografiearbeit wirkt therapeutisch

Dabei hat die Biografiearbeit auch ihre Grenzen, etwa wenn sich im Erzählen ein sexueller Missbrauch oder ein anderes Trauma andeutet. Dann ist der geschulte Moderator gefordert. Heilmeier-Schmittner kennt solche Momente, in denen Tränen fließen. Sie unterbricht dann das Gespräch, verlässt mit dem Teilnehmer den Raum und lässt ihn wieder zur Ruhe kommen. Selbstverständlich hat sie auch die entsprechenden Hilfsadressen zur Hand.

Sie achtet auch darauf, dass niemand aus der Gruppe Ratschläge oder Rezepte gibt: „Ein anderer kann nicht wissen, was für mich in dieser Lage gut ist. Es gilt der Respekt davor, dass jedes Leben individuell und einzigartig ist. „Biografiearbeit ist zwar keine klassische Therapie“, erklärt die Referentin von der Domberg-Akademie, „aber sie wirkt therapeutisch.“

Großer spiritueller Reichtum

Zu den Regeln gehört, dass es ein Recht auf Schweigen und auch Verdrängen gibt: „Jeder bestimmt selbst, wie tief er sich auf das Erzählen einlässt.“ Besonders rührt es Heilmeier-Schmittner, wenn ältere Menschen davon berichten, wie sie bei den eigenen Großeltern vor vielen Jahrzehnten Kraft, Trost und Geborgenheit gefunden haben. Das löst oft in der ganzen Gruppe eine „Erinnerungsexplosion“ aus, welche Begleiter auf dem eigenen Lebensweg wichtig waren.

Die Biografiearbeit gilt mittlerweile als Methode der Seelsorge. Denn der gesammelte Blick auf das eigene Leben eröffnet einen großen spirituellen Reichtum. Und Monika Heilmeier-Schmittner hat dafür auch eine einfache Erklärung: „Biografiearbeit kann deutlich machen, wie mich Gott als einzigartige Person geschaffen hat und zu was ich in meinem Leben berufen bin.“

Die „Domberg-Akademie“ (bisher „Stiftung Bildungszentrum“) bietet ab Oktober eine Fortbildung zur Biografiearbeit an.

Per E-Mail an mheilmeier-schmittner@domberg-akademie.de können Interessenten außerdem einen regelmäßig erscheinenden Infobrief zur Biografiearbeit bestellen.

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de