Gerechtigkeit in der Bibel

Sozialpropheten im Alten Testament

Gerechtigkeit und Gottesverehrung gehören für die Propheten Amos und Hosea zusammen.

Prophetischer Charakterkopf von Erasmus Grasser: Darstellung des Propheten Hosea im Chorgestühl des Münchner Doms. © Diözesanmuseum Freising

Am Ende war es wahrscheinlich unumgänglich, den Mann hinauszuwerfen. Schließlich konnte es der guten Gesellschaft nicht gefallen, wenn ein durchgeknallter Viehzüchter und Maulbeerfeigenveredler aus Juda die ersten Damen des Landes als „fette Kühe“ beleidigt, die auf Kosten der Armen saufen, wie es in einigen Übersetzungen heißt. Der Prophet Amos mochte es gern deutlich und deftig. „Seine Worte sind unerträglich für das Land“, sagt der Priester Amzaja und sorgt für die Ausweisung des frechen Propheten, der sich selbst gar nicht so nennen will.

Elend einfach hinnehmen ist gottlos

Als vermögender Landwirt aus der Gegend von Jerusalem spürt Amos, dass Juda und Israel, der südliche und der nördliche Teil des ehemaligen Königreichs David, in immer stärkere soziale und politische Verwerfungen geraten. Dabei war das Nordreich durchaus erfolgreich, hatte sich außenpolitisch geschickt gegenüber den Großmächten Assyrien und Ägypten verhalten, blühte wirtschaftlich und war dabei keineswegs gottvergessen: Die Priester im Kultzentrum Bet-El feierten prachtvolle Kulte. Allerdings ging das Ganze stark auf Kosten der Kleinbauern, die ihre Kredite nicht bezahlen konnten und in die Schuldknechtschaft, also in die Sklaverei gerieten. Dadurch, dass sie auch nicht mehr zu den religiösen Zeremonien zugelassen waren, konnten sie also nicht einmal im Kult eine innere Zuflucht finden.
Gott zu preisen und das Elend achselzuckend hinzunehmen, empörte Amos. Er hatte starke theologische Gründe für seine Kritik, wollte die Verehrung für Jahwe nicht abgelöst von der Verantwortung für die Menschen sehen. Amos war überzeugt, dass es Gott nicht gefallen kann, wenn sich eine Oligarchie, und sei sie noch so fromm,  bereichert und sagt: „Wir wollen das Hohlmaß kleiner und das Silbergewicht größer machen, wir fälschen die Waage zum Betrug, um für Geld die Geringen zu kaufen und den Armen wegen eines Paars Sandalen.“

Prophetenworte zum ersten Mal gesammelt

Amos kündigt den gewaltigen Zorn Jahwes an, als dessen Sprachrohr er sich versteht. Die Ungerechtigkeiten werden zum Zerfall von Staat und Gesellschaft führen, wenn sie sich nicht einmal durch die von Jahwe verhängten Plagen und Zeichen beeindrucken lassen. Tatsächlich kassierten die Assyrer das Nordreich 722 vor Christus ein, es ging sang- und klanglos unter und erstand niemals wieder. Amos hat das wahrscheinlich nicht mehr erlebt, doch er hätte das für eine konsequente Bestrafung durch Jahwe gehalten. Überhaupt war er sehr streng und pessimistisch, was die Rettung Israels anging, die für ihn ohne soziale Gerechtigkeit nicht zu haben war.
Seine Gedanken und sein Auftreten haben aber Wirkung hinterlassen. Die alttestamentliche Bibelwissenschaft ist davon überzeugt, dass er der erste Schriftprophet ist, dessen Worte gesammelt, gegliedert und in einem eigenen Buch zusammengefasst wurden. Das macht die Bedeutung seines Auftretens deutlich. Wie sein Nachfolger Hosea zählt er zu den sogenannten zwölf kleinen Propheten des Alten oder Ersten Testaments.

Der Prophet Amos im Chorgestühl des Münchner Doms.

Mystik der offenen Augen

Hosea trat einige Zeit nach Amos auf und erlebte die immer stärker heraufziehende Krise des Nordreichs aus noch größerer zeitlicher Nähe mit. Sein Buch enthält eine etwas verwirrende Geschichte seiner Ehe. Hoseas Verbindung mit einer sozial geächteten Tempelprostituierten wird ihm zum Sinnbild für die Verbindung Jahwes mit Israel. Obwohl das Volk wegen seiner Ungerechtigkeiten Gottes nicht würdig ist, nimmt er es trotzdem an, richtet es auf und versucht es auf den rechten und gerechten Weg zu führen. Darum ist er auch ein Prophet der Hoffnung und hält seine Aufrufe nicht für so aussichtslos wie Amos: „Sät für euch in Gerechtigkeit, erntet in Liebe! Nehmt Neuland unter den Pflug! Es ist Zeit, den Herrn zu suchen; dann wird er kommen und Gerechtigkeit auf euch regnen lassen.“

Wie Amos lehnt Hosea aber eine Frömmigkeit ohne soziales Gewissen klar ab: „Denn an Liebe habe ich Gefallen, nicht an Schlachtopfern, an Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern.“ Das Buch Hosea ist das erste der Zwölfprophetenbücher, das Buch Amos, obwohl sein Namensgeber wohl schon früher aufgetreten ist, steht an dritter Stelle. Damit wird auch deutlich, welches Gewicht der prophetischen Kritik an sozialen Missständen zukommt. Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit ist bei  Amos und Hosea untrennbar mit dem Glauben an Gott verbunden. Ihr Blick richtet sich vom Himmel zur Erde und umgekehrt.

Der im Dezember vergangenen Jahres verstorbene Theologe Johann Baptist Metz hat das oft als „Mystik der offenen Augen“ bezeichnet. Unbequeme und auch lästige Propheten wie Amos und Hosea zwingen dabei die geschlossenen Liddeckel der Gläubigen immer wieder auf. 

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de