Urlaub ohne Stress

So klappt es mit dem Abschalten

Den Kopf frei bekommen, zu sich kommen, Kraft tanken – das erhoffen sich viele von ihrem Urlaub. Doch dann fällt das Abschalten oft schwer. Wie das doch gelingen kann verrät Gabriela Grunden, Leiterin der Abteilung Spiritualität im Erzbischöflichen Ordinariat, im Interview.

Vielen gelingt das Abschalten im Urlaub nur schwer. © LIGHTFIELD STUDIOS - stock.adobe.com

mk online: Die Sommerferien liegen vor uns, mögen sie auch in diesem Jahr etwas anders als gewohnt ablaufen. Wie sieht für Sie persönlich ein gelungener Urlaubstag aus?

Gabriela Grunden: Ein guter Urlaubstag hat für mich mit Ruhe zu tun, mit Natur, Bewegung und Kontakt zu netten Menschen.

Für viele Menschen gehört zum Urlaub ein Ortswechsel dazu. Dieses Jahr steht bei vielen aber „Daheim bleiben“ auf dem Programm. Haben Sie Tipps, wie man auch in der gewohnten Umgebung den Urlaub als besondere Zeit gestalten kann?

Grunden: Ich werde das selber dieses Jahr trainieren. Wir sind es sonst im Urlaub gewohnt, den Ort zu wechseln – jetzt braucht es gewissermaßen einen mentalen Gedankenwechsel, einen gedanklichen Ortswechsel. Ich kann also entweder bedauern und beklagen, dass ein geplanter Urlaub ausgefallen ist, ich eine Fernreise nicht antreten kann. Das ist eine Möglichkeit. Und damit geht es mir nicht besser. Oder ich frage mich, wie ich das Beste daraus machen kann. Das hat etwas damit zu tun, sich neu einzustellen, zu akzeptieren, dass die Situation sich unverschuldet so ereignet hat. Es gibt viele Menschen, die momentan wegen der Krise gravierende Existenzängste haben – in verschiedenen Ländern, auch hier bei uns. Und wir dürfen uns darüber Gedanken machen, wo wir in dieser Situation Urlaub machen werden. Ich finde, da lohnt es sich, ein bisschen umzuschalten, vielleicht auch kreativ zu werden und zu überlegen, ob es bei mir in der Nähe, vielleicht sogar vor der eigenen Haustür Orte gibt, die ich noch gar nicht entdeckt habe.

Ferien bedeuten für viele auch Zeit für die Familie, die im Alltag oftmals auf der Strecke bleibt. Nun ist es in diesem Jahr ganz anders: Viele Familien sind die vergangenen Monate über förmlich aufeinandergesessen. Da sehnen sich jetzt viele umso mehr nach „Ich-Zeit“. Wie kann es gelingen, in der Urlaubszeit mit der Familie auch Momente für sich selbst zu finden?

Grunden: Ich halte das für einen sehr wichtigen Aspekt. Ich glaube, jeder Mensch braucht Zeit für sich – sowohl unterwegs als auch daheim. Und umso mehr in dieser Zeit. Ich denke, es hat Sinn, gemeinsam darüber zu sprechen, was man persönlich braucht, welche Bedürfnisse man hat, auch in der Familie oder in der Partnerschaft. Das alleine ist oft schon gar nicht so einfach, selbst herauszufinden, was ich brauche und was mir gut tut. Abstand von Menschen brauchen selbst die geselligsten Typen. Ich glaube, das ist ganz wichtig, sich diesen gegenseitig zu gönnen und sich nicht vorzuwerfen: „Du distanzierst dich von mir!“ Das höre ich oft von Menschen in Partnerschaften, dass es unterschiedliche Wünsche in Bezug auf Nähe und Distanz gibt. Auch Kinder brauchen mal Abstand. Ich glaube, es ist wichtig, das abzusprechen, sonst sind die Erwartungen völlig unterschiedlich. Eine Möglichkeit ist es beispielsweise, sich einen Timeliner zu erstellen für den Urlaub daheim. Je klarer ich das bespreche, desto klarer kann ich auch wahrnehmen: Jetzt habe ich Zeit für mich, in der Hängematte zu liegen, ein Buch zu lesen, zum Isarkanal zu fahren, oder einfach nur da sein, Musik hören.

Gerade vielbeschäftigten Menschen fällt es oft schwer, im Urlaub auf Befehl abzuschalten und das Gedankenkarussell zum Stillstand zu bringen. Wie können sie es schaffen, zur Ruhe zu kommen?

Grunden: Ich glaube, zunächst ist es gar nicht unwichtig, einfach mal festzustellen: Hey, mein Gedankenkarussell läuft immer noch, obwohl ich mich so auf die freie Zeit gefreut habe. Es entsteht oft so ein Eigendruck, den ich bei mir und anderen kenne. Man sagt sich selbst: Ich muss mich jetzt erholen, ab jetzt ist freie Zeit! Wir wissen alle, dass das auf Knopfdruck nicht funktioniert. Eine Hilfestellung kann es sein, sich ganz bewusst im eigenen Körper zu spüren, zu fragen, was der Körper eigentlich gerade macht, während das Gedankenkarussell läuft. Und das geht über ganz einfache Körpertechniken, -wahrnehmungen und -übungen: etwa ganz bewusst Ein- und Ausatmen. Das klingt für manche so simpel, damit arbeiten aber viele Stressbewältigungsseminare. Solche Übungen haben beispielsweise Sinn am Anfang eines Urlaubs oder am Ende einer harten Arbeitszeit. Aber das braucht Zeit. Ich glaube, es ist wertvoll, wenn wir uns erlauben, im Kopf zu sagen: Das geht nicht auf Knopfdruck, ich bin keine Maschine. Ich versuche, mich aber mental neu auszurichten und das geht nur, wenn ich wieder vom Kopf auf die Füße komme und mich innerlich ausrichte. Ich glaube, dass wir uns gerade durch die Supertechnologie und das Internet abhandenkommen im Wahrnehmen unseres Körpers, und es ist wertvoll, die Sprache unserer Sinne wieder zu lernen. Dabei kann ich mich wieder besser kennenlernen und vielleicht früher spüren, wann etwas zu viel wird, wann ich nur noch im Überdruck arbeite. In vielen Kliniken, wo es darum geht, dass Menschen wieder zu sich finden, geht es immer um den Körper. Darum, dass Körper, Geist und Seele wieder in Einklang, in Balance kommen. Und das kann ich in dem Urlaub oder auch vor dem Urlaub üben. Wir sind, glaube ich, Übe-Wesen. Wir brauchen Zeit. Und wenn wir lernen zu entschleunigen, unser Gedankenkarussell ein wenig zähmen, dann ist das schon ganz schön viel. Also, ex und hopp geht es nicht.

Das Smartphone ist für viele mittlerweile ein ständiger Begleiter geworden – auch im Urlaub. Wie können wir von der ständigen Informationsflut einfach mal zur Ruhe kommen?

Grunden: Ich glaube, wenn wir in uns hineinhorchen – und das ist eine Frage des persönlichen Wahrnehmens, des Hinspürens, was merke ich, was geht mir auf den Geist, was stresst mich –, dann stellen viele Menschen fest: Eigentlich möchte ich das Smartphone zur Seite legen, aber ich komme nicht davon weg. Ich persönlich kenne das auch. Mein Trick ist, einfach ganz rigoros zu sagen, jetzt schalte ich es für ein paar Stunden aus. Im Urlaub können wir uns das erlauben. Und dann kann man einfach mal wahrnehmen, wie das dann ist, was ich dann höre, worauf ich noch Lust habe, was mir Spaß macht.

Vor dem Hintergrund von Sozialen Medien fällt es ja gerade jungen Menschen oft schwer, einen schönen Moment unmittelbar zu erleben. Ständig fragt man sich, was man wie fotografieren kann und wie man sich selbst in den sozialen Netzwerken inszenieren kann. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Grunden: So wird Zeit verzweckt. Es ist ein großer Druck, sich ständig zu fragen: Bin ich noch up to date? Habe ich den richtigen Moment eingefangen? Dann bin ich nicht mehr jetzt da, als Mensch mit dem, was ich jetzt erlebe, höre, fühle, denke, sondern bin eigentlich immer schon beim Übermorgen oder gleich beim Klick, aber nicht da, wo es grade geschieht. Und da können wir uns abhandenkommen. Ich denke, es hat Sinn, sich zu sagen: Ich erlebe den Moment doch mit meinem Herzen, mit meinen Augen. Und vielleicht kann ich gar nicht alles teilen, sondern darf es auch einfach mal genießen. Und wenn ich das alles nur verzwecke, kommt mir der Moment abhanden, an dem ich tief durchatmen und sagen kann: Wow, was für ein toller Moment. Ich muss nichts fotografieren, ich sehe es einfach als Mensch mit meinen Augen, ich höre, ich spüre. Und ich kann ganz frei atmen.

Nicht nur das Internet kann uns stressen, sondern auch ellenlange To-Do-Listen, die wir uns für die Ferien machen: Museum, Kino, Treffen mit Freunden und Verwandten. Als während des Lockdowns das gesellschaftliche Leben massiv eingeschränkt war, sagten viele, sie seien insgeheim ganz froh, mal nicht den Druck zu haben, ständig überall zu sein. Sind wir übersättigt von Freizeitangeboten?

Grunden: Ich sage ganz spontan Ja und ich denke, viele stimmen mir da zu. Es gibt eine Fülle an Möglichkeiten, kulturell, sportlich, die sind alle interessant und toll. Die Herausforderung ist, mich in der Fülle zu begrenzen und zu erkennen, dass ich jetzt nur eine einzige Möglichkeit auswählen kann, und nicht gleichzeitig zu denken: Jetzt verpasse ich was. Ich glaube, wir hetzen so einem effektiven, optimalen Super-Ideentag hinterher, stressen uns damit selbst und werden dadurch auch kommerzialisiert. Ich glaube, es ist sinnvoll, die eigene Freiheit zu entdecken und sich zu verdeutlichen: Kino, Museum oder Treffen mit Freunden – das sind gleichwertig gute Varianten. Und wenn ich mich für eine entscheide, dann einfach, weil ich begrenzt bin und nicht alles gleichzeitig erleben kann. Und dann ist es aber auch wichtig, sich zu sagen: Ja, es ist jetzt der Kinobesuch oder das Essen mit Freunden, ohne zu lamentieren, dass man jetzt auch A, B oder C hätte machen können. Das ist eine Bewertungsfrage. Ich glaube, wenn wir in Ruhe nachdenken, merken wir: Ok, logisch, ich kann ja nur das eine machen und darf das auch – so what?!

Eine ganz andere Form der Freizeitgestaltung sind Exerzitien. Was können Menschen aus dieser Erfahrung schöpfen und für wen sind sie geeignet?

Grunden: Für Menschen, die Lust haben, sich innerlich auf die Reise zu begeben, Lust auf Abenteuer haben – weniger im Außen-Event als in der Innenwahrnehmung. Exerzitien – das Wort klingt ja zunächst nicht sehr frisch –, das sind geistliche, mentale, spirituelle Übungen, die aus einer langen Tradition des Christentums schöpfen. Es geht darum, sich auf die Spurensuche zu machen mit guter Begleitung in der Begegnung mit Gott, mit sich selbst. Das ist sozusagen Herzensschulung. Seit ich das vor vielen Jahren das erste Mal erlebt habe, bin ich begeistert. Und ich erlebe, dass Menschen, die sich darauf einlassen, erkennen: Ja, das ist für mich eine neue Erfahrung mit mir in Übereinstimmung und Balance zu gelangen, neu zu spüren, dass Gott und ich eine größere Verbindung haben, als ich das je geahnt habe. Ich kann Gott auch im eigenen Herzen spüren, neue Kraft bekommen, Entscheidungen zu treffen, und merke, dass ich ausgerichteter bin, zu mir stehen kann und Boden unter den Füßen habe. Und dann kann ich wieder freier in die Welt und in neuer Perspektive auf mein Leben schauen. Das erfahre ich immer wieder. Viele Exerzitien arbeiten ganz bewusst mit dem Element Stille und Schweigen. Mit dem Hintergedanken, dass im Innersten viel los ist. Da gibt es viel Lärm, aber auch ganz viel Schönes, Spannendes zu entdecken, was ich im Alltag vielleicht verschüttet habe. Es gibt den schönen Satz: „Silence is not empty, it is full of answers.“ Es ist Fülle in uns, und die Stille kann in uns, wenn wir zur Ruhe kommen, wonach sich viele Menschen sehnen, ganz Neues zutage fördern. Dabei kann ich merken, dass ich mit mir wieder unmittelbar in Kontakt komme, wieder neue Kraft schöpfe.

Können Exerzitien schon wieder regulär stattfinden?

Grunden: Ja, Gott sei Dank! An verschiedenen Stellen in der Erzdiözese im Rahmen der Hygienevorschriften. Mit entsprechender Selbstverantwortung ist das mit den Abstandsregelungen auch gut möglich. Es wird ja ohnehin nicht viel gesprochen, vieles verläuft in der Stille, im Schweigen. Diese Angebote sind also wieder möglich und, so weit ich weiß, ist die Nachfrage groß.

Spirituelle Angebote in der Erzdiözese
Auf der Webseite der Abteilung Spiritualität Angebote rund um das Thema Spiritualität. Die Termine für Exerzitien an verschiedenen Orten sind dort zusammengetragen. Zudem bietet die Abteilung verschiedene Impulse, Aus- und Fortbildungen sowie die Möglichkeit zur geistlichen Begleitung. Eine Meditation kann kostenlos auf den Seiten der Abteilung angehört werden.