Mit Rechten reden auf dem Dorf

Juli Zeh: Über Menschen

„In Bracken ist man unter Leuten, da kann man sich nicht mehr so leicht über die Menschen erheben“, diese Kurzzusammenfassung ihres Romanthemas legt Juli Zeh einem Dorfbewohner in den Mund.

© Peter von Felbert

Man könnte „Über Menschen“ als Thesenroman lesen. Den Versuch zu erzählen, wie ein Mensch diverse Forderungen des Zeitgeists erfüllt:  mit Rechten reden, achtsamer leben und Menschlichkeit zeigen im Umgang mit anderen – das ist wohl der Kern.  Aber Juli Zeh versteht es eben, eine Geschichte zu erzählen, die darüber hinausgeht, nach tieferen Beweggründen fragt und die auch ins Herz trifft. Manchmal findet sie starke, tragende Bilder, etwa für die Panik, die in Dora immer wieder aufsteigt, häufiger liefert sie starke Analysen wie über die „Rassismus-Starre“. Anders als in „Unter Leuten“, wo sie viel Personal auffährt, um verschiedene Haltungen zu verkörpern, wagt Juli Zeh sich in „Über Menschen“ stärker an das Innenleben ihrer Hauptfigur und kann so offenlegen, welche Rolle die Angst spielt, in unserer an der Oberfläche so auf Sicherheit gebauten Gesellschaft. Da hat ihr klarer Blick etwas Entscheidendes zu Tage gefördert. Doch über tiefe Bedürfnisse und Ängste zu schreiben ist viel schwieriger als Haltungen aus der Distanz zu portraitieren. Wichtige Erkenntnisse, Banalität und Kalenderspruch liegen da ziemlich nah beieinander, das gilt sogar für eine Autorin wie Juli Zeh.

Hauptfigur Dora zu begleiten bei ihrem Experiment, ganz allein ein neues Leben auf dem Dorf zu beginnen, das liest sich durchaus spannend. Wie beherzt sie ihre Alltagsprojekte angeht – sie zeigt NehmerInnenqualitäten, die Respekt abnötigen. Nicht perfekt sein müssen, nicht alles unter Kontrolle haben wollen und vermeintliche Sicherheiten aufgeben, das ist ein ganz schön anspruchsvolles Programm und ähnelt dem Experiment, dem sich in der Pandemie gerade das ganze Land unterzieht. Sehr erfrischend, das mal mit Abstand zu betrachten.

Den Corona-Faktor hat Juli Zeh klugerweise so eingebaut, dass er bestimmte Konstellationen zuspitzt, sie reitet aber nicht auf Zuständen herum, die uns real genug auf die Nerven gehen. Gottseidank hat Dora sich abgewöhnt, regelmäßig die Nachrichten zu checken.


Buchtipp

Juli Zeh: Über Menschen

Luchterhand, 416 S.

22 € inkl. MwSt.

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