Das Jüngste Gericht und die Theologie

Gerechtigkeit am Ende der Zeiten

Der Höllenschlund verschlingt die Bösen, die am Jüngsten Tag ihre gerechte Strafe finden. So einfach ist das Gericht Gottes aber nicht zu verstehen.

Überraschte Gesichter im Höllenschlund: Detail aus dem Schrenkaltar. © Kiderle

München -  Weit ist das Maul des Monsters aufgesperrt, das hungrig ein paar Menschen verschlingt. Ein Teufel schiebt einen staunend und fragend blickenden Mann noch eigens in den Rachen hinein und drückt gleichzeitig eine Frau zurück, die wieder heraus will. Auf der gegenüberliegenden Seite haben es die Leute schließlich deutlich besser. Sie ziehen durch ein Stadttor, offenbar in das himmlische Jerusalem hinein, das der Apostel Petrus aufsperrt. Über der Szene thront Christus mit ausgebreiteten Armen und zeigt seine Wundmale. Er ruft die Toten aus ihren Gräbern und jeder nicht ganz ungeübte Christ erkennt an diesem spätmittelalterlichen Seitenaltar in der Münchner Peterskirche das Jüngste Gericht. Die Bürgerfamilie Schrenk hat ihn um 1406 gestiftet. Die Bildhauerarbeit aus Mittenwalder Sandstein zeigt, wie Gott am Ende der Zeiten die Bösen von den Guten scheidet und für Gerechtigkeit sorgt.

Ab in den Höllenschlund

Der Platz für die Schlechten ist der Höllenschlund, den das feuerschnaubende Untier symbolisiert. Wahrscheinlich empfinden viele Betrachter vor diesem Altar eine gewisse Genugtuung, dass Gott hier endlich richtig aufräumt. Die heutige Theologie spricht dagegen nur noch mit Zurückhaltung und sogar etwas verschämt vom Jüngsten Gericht, vom Tag des Zorns, gibt der Münchner Dogmatikprofessor Bertram Stubenrauch zu. „Die Bilder vom Verschlingen, vom Tag des Schreckens und vom Dreinschlagen Gottes waren halt so starr, dass sich die moderne Theologie davon absetzen wollte.“ Ein liebender Gott ist auf den eindrucksvollen Bildern jedenfalls nicht auf Anhieb zu erkennen. „Dieses Gericht ist sehr oft menschlich oder allzu menschlich verstanden worden, als eine Art Vergeltung und dann werden die biblischen Bilder schief“, erläutert Stubenrauch. Gottes Handeln und seine Freiheit, sind „dann unserem Gerechtigkeitsempfinden untergeordnet und es bleibt kein Raum, dass er unendlich größer ist als unsere Vorstellungen.“

Das Jüngste Gericht als Heils-Tat Gottes

Das letzte Gericht ist für den Dogmatikprofessor eine „Heils-Tat Gottes, die auf uns Menschen positiv einwirkt, es geht nicht um Vergeltung und Vernichtung, es ist nicht vom Menschen und seinen Maßstäben inszeniert“. Darum hält es Stubenrauch auch für „fatal“, wenn Menschen für sich beanspruchen, stellvertretend Gottes Gericht zu vollziehen. „Wir brauchen die Fähigkeit, uns in die Barmherzigkeit Gottes fallen zu lassen, denn sonst werden wir selbstgerecht und daraus entsteht ja immer mehr Unheil.“ Die Rede vom Gericht, von dem Jesus vor allem im Matthäusevangelium eindeutig und mit starken Worten erzählt, ist für ihn auch keineswegs überholt. „Ich halte sie für sehr wichtig, weil es ein Ausdruck dafür ist, dass es keine Selbsterlösung gibt.“ Jeder Mensch hinterlasse in seinem Leben so viel Scherben, „die er nicht selbst wegräumen kann und da braucht er die göttliche Heilszuwendung.“ Die geschieht im Jüngsten Gericht, das damit eine ganz andere Stoßrichtung bekommt wie beim ersten Blick auf den Schrenk-Altar in der Münchner Peterskirche.

Neuausrichtung in Gottes Liebe

Trotzdem bleibt ein Unbehagen zurück, wenn nur die Gnade und keine Gerechtigkeit das Ende der Zeiten bestimmen sollte. Es bleibt die drängende Frage nach einem Ausgleich, wie sie Heinrich Heine gestellt hat: „Warum schleppt sich blutend, elend,/ Unter Kreuzlast der Gerechte,/ Während glücklich als ein Sieger/ Trabt auf hohem Roß der Schlechte?“ Es ist das Unverständnis und sogar die Wut darüber, dass Menschenschinder einfach so davonkommen sollen, auf Erden und dann auch noch im Himmel. Bertram Stubenrauch drückt sich um diese Frage nicht herum: „Im Tod finden wir kein Versteck vor Gott, sondern sind seiner Liebe ausgesetzt.“ Und das tut weh, wenn der Mensch spürt, wie weit er in seinem persönlichen Leben dahinter zurückgeblieben ist und vielleicht sogar entsetzt vor sich selber sein muss. Das Reich Gottes ist das vollendete Gute und hat keinen Platz für das Böse, das der Mensch angestellt hat und mitbringt. Die katholische Dogmatik deutet das Jüngste Gericht, deshalb als eine völlige Neuausrichtung, als „Umschmelzungsprozess“, wie es Stubenrauch nennt: „Von Gott her geschieht etwas, das uns neue Lebensmöglichkeiten gibt.“

Gesamtansicht des Schrenkaltars.

Kein harmloser Gnadenakt

Letztlich sei das Jüngste Gericht so wichtig und entscheidend wie die Schöpfung, aus der das Leben kommt. Das bedeutet auch, je schwerer der Ballast wiegt, den ein Mensch vor Gott bringt, desto schmerzlicher spürt er, wie viel ihn vom neuen Leben und der Gemeinschaft mit Gott trennt, in der kein Raum mehr für Hass und Ungerechtigkeit ist. „Diesem Prozess kann niemand aus dem Weg gehen, wenn er umgeschmolzen wird in der Liebe Gottes, und er ist so tiefgehend, dass man ihn bestimmt nicht verharmlosen kann.“  Es ist ein Leiden an den eigenen, aus freiem Willen begangenen Sünden. Der Theologe aus München bringt es so auf den Punkt: „Wer weit von Gott entfernt war, viel auf dem Kerbholz hat, bei dem muss dieser Umschmelzungsprozess schmerzlicher, langwieriger und tiefgehender sein als bei Menschen, die Gott in ihrem Leben gesucht haben und nähergekommen sind.“ Beim jüngsten Gericht muss der Mensch also nicht zuerst den Herrn fürchten, sondern sich selbst. Für den Gläubigen hat das Auswirkungen auf das eigene Leben und sogar das gesellschaftliche und politische Handeln des Einzelnen: „Wer um das Gericht weiß, der weiß auch um die eigene Verantwortung für das Gute und für die Mitmenschen.“ Es ist eine Aufforderung an jeden Einzelnen, schon im Hier und Jetzt mit den eigenen Möglichkeiten an einer besseren Welt mitzuwirken.

Neuer Blick auf alte Bilder

Eine solche Deutung des Jüngsten Gerichts verändert auch den Blick auf den Schrenk-Altar in Sankt Peter. Christus thront über dem Höllenrachen und dem Tor zum Himmlischen Jerusalem, er ist der Souverän über das All und breitet die Arme für seine Schöpfung aus. Sogar aus der Hölle kann er noch einen verborgenen Weg bahnen. Vielleicht hat ihn sogar der Betrachter selbst einmal nötig, wenn er vor dem Jüngsten Gericht steht. Denn beim Blick in die Gesichter der Figuren, die das Untier gerade verschlingt, kann einem durchaus unbehaglich zumute werden. Denn die für die Hölle bestimmten Frauen und Männer sehen unscheinbar aus, tragen keine hässlichen Fratzen, sie sind Leute wie du und ich. Der unbekannte Künstler hat sie so dargestellt, als ob sie von ihrem Äußeren her doch eigentlich erwarten könnten, auf der anderen Seite, direkt vor dem Tor zum himmlischen Jerusalem zu stehen. Der Bildhauer hat im untersten Geschoß des sogenannten Altarretabels auch den Weg dorthin gewiesen. Er führt über den Gekreuzigten, der sein Leben für die Menschen hingibt und das Vorbild der Heiligen. Deutlich ist der heilige Martin zu erkennen, der seinen Mantel mit einem Bettler teilt, einen Blick für den Bedürftigen hat und nicht allein sich selbst sieht. Es will einem fast wie ein Zeichen vorkommen, dass dieses Kunstwerk den Zweiten Weltkrieg überstanden hat. Der Schrenkaltar war mit einer Schutzmauer ummantelt, die den Bomben standgehalten und ihn so vor der Zerstörung bewahrt hat. Er hat nie seinen Platz gewechselt, steht seit über 600 Jahren immer an derselben Stelle: als Mahnung oder als Einladung an das Jüngste Gericht zu denken, es zu meditieren und sogar darauf zu hoffen. 

Der Autor
Alois Bierl
Chefreporter Sankt Michaelsbund
a.bierl@michaelsbund.de