Unerfüllter Kinderwunsch

Gehet hin und mehret euch – aber nicht künstlich!

Für viele Paare ist die künstliche Befruchtung ein Weg aus ungewollter Kinderlosigkeit. Doch die Kirche verurteilt die Behandlung als unmoralisch. Ethiker, Paarberater und Biologen sind anderer Meinung.

In Deutschland ist etwa jedes zehnte Paar von ungewollter Kinderlosigkeit betroffen. © Photographee.eu - stock.adobe.com

Was die Kirche von Empfängnisverhütung hält, ist allgemein bekannt: Keine Kondome und die Pille erst recht nicht. Denn Kinder sind ein Geschenk Gottes und die Geschlechtlichkeit von Mann und Frau darauf ausgelegt, sich fortzupflanzen. Kinderkriegen ist eine eheliche Pflichterfüllung. Doch was ist, wenn es mit den Kindern auf natürlichem Weg nicht klappt? Charlotte Meister und ihr Mann versuchen seit 2017 schwanger zu werden. Die 33-Jährige ist Gemeindereferentin im Bistum Limburg. Eigene Kinder hat sie sich immer gewünscht, doch nach einem Jahr stellen Ärzte fest, dass die Chancen hierfür auf natürlichem Weg schlecht stehen. Die Medizin kennt Lösungen, doch das kirchliche Lehramt macht es Gläubigen wie Meister alles andere als leicht. Die In-vitro-Fertilisation (IVF) sei „in sich unerlaubt und steht in Widerspruch zur Würde der Fortpflanzung und der ehelichen Vereinigung“ urteilte die Kirche 1987, in der von der Glaubenskongregation unter dem späteren Papst Joseph Ratzinger herausgegebenen Instruktion Donum vitae

Viele Paare leiden unter ungewollter Kinderlosigkeit 

Trotzdem hat sich allein in Deutschland die Anzahl der künstlichen Befruchtungen seit Veröffentlichung der Instruktion nahezu verdreißigtfacht. Rund 108.000 begonnene Behandlungen zählte das deutsche IFV-Register für das Rekordjahr 2020. „Das Thema nimmt zu“, so die Erfahrung von Rita Klügel. Die Sozialpädagogin sitzt im Vorstand des Beratungsvereins Donum vitae – nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Instruktion. Dort beriet Klügel fast 20 Jahre lang Paare mit unerfülltem Kinderwunsch. In den meisten Fällen liegt es am Alter. „Biologisch ist die beste Zeit, um Kinder zu bekommen, zwischen 20 und Anfang 30“, sagt Klügel. In Deutschland entfallen 65 Prozent der Geburten aber auf Frauen zwischen 29 und 39 Jahren. Auch das Alter von Müttern beim ersten Kind steigt kontinuierlich an und liegt laut Bundesamt für Statistik bei inzwischen 30,1 Jahren.  

Mit steigendem Alter sinken die Chancen auf eine Schwangerschaft. Bei Frauen und Männern gleichermaßen. Dieser Zeitdruck belastet viele Paare zusätzlich. Der Zyklus der Frau bestimmt den Rhythmus der Beziehung, es kommt zum Geschlechtsverkehr nach Kalender. Spontanität und Emotionalität gehen verloren. Umso länger es dauert, desto schwieriger wird es, so das Gefühl bei den Betroffen. „Häufig entsteht dann die Angst, nicht gut genug zu sein“, so Klügels Erfahrung. Psychische Erkrankungen können die Folge sein. In Deutschland ist etwa jedes zehnte Paar von ungewollter Kinderlosigkeit betroffen. Grund zur Sorge gibt es laut der Weltgesundheitsorganisation WHO nach einem Jahr des Versuchens. Bei jeder dritten Frau ist das der Fall.  

Meilenstein der Wissenschaft 

Doch die Medizin hat Abhilfe geschaffen, wenn es auf natürlichem Weg mit den Kindern nicht klappt: Die In-Vitro-Fertilisation – die „Befruchtung im Glas“. 1978 kam in England das erste Retortenbaby auf die Welt, inzwischen sind es jedes Jahr mehr als eine halbe Million weltweit. Auch Charlotte Meister und ihr Mann entscheiden sich für eine künstliche Befruchtung. In Deutschland übernimmt die gesetzliche Krankenkasse die Hälfte der Kosten für eine IVF-Behandlung. „Zu deren Beginn wird die Frau zunächst mit Hormonen stimuliert“, erklärt Sigrid Graumann, Humangenetikerin und Mitglied des deutschen Ethikrates. So reifen statt einer einzelnen gleich mehrere Eizellen pro Zyklus, im Idealfall acht bis 15. Diese werden der Frau entnommen und im Labor mit männlichen Spermien befruchtet. Je nachdem, wie gut sich die Eizellen nach der Befruchtung entwickeln, kommen sie für eine Einpflanzung in Frage. Zellen, die sich nicht eignen, werden „verworfen“. Ein „absurdes Schicksal“ urteilt die katholische Kirche in Donum vitae. Insgesamt verspricht eine IVF-Behandlung eine etwa 30-prozentige Chance auf eine Schwangerschaft. Ein wissenschaftlicher Meilenstein, für den der britische Reproduktionsmediziner Robert Edwards 2010 den Nobelpreis erhielt. Im Vatikan war man schockiert. 

Beginn des Lebens lässt sich kaum definieren 

Auch das Ehepaar Meister macht sich die Entscheidung für eine künstlichen Befruchtung nicht leicht. Beide sind gläubige Christen. Er evangelisch, sie katholisch. Darüber hinaus ist sie Mitarbeiterin der Kirche. „Die ethischen Bedenken haben uns viele schlaflose Nächte bereit“, erinnert sich Charlotte. Kernproblem ist die Frage, wann das menschliche Leben beginnt. Doch das ist kein Augenblicksereignis, egal ob künstliche oder natürliche Befruchtung. „Es ist ein Prozess, der mit dem Eindringen des Spermiums in die Eizelle beginnt und abgeschlossen ist, wenn die Eizelle sich in die Schleimhaut der Gebärmutter eigenistet hat“, erklärt Bioethikerin Graumann. Erst dann ist der Embryo überlebensfähig. Wann genau innerhalb dieses etwa sechstägigen Prozesses das Leben beginnt, lässt sich biologisch nicht festlegen. In Deutschland gibt es mit dem Embryonenschutzgesetz seit 1990 aber eine rechtlich Definition. „Dort gilt die Verschmelzung der Zellkerne von Ei- und Samenzelle als Beginn des menschlichen Lebens“, so Graumann. 

Davor befindet sich die bereits befruchtete Eizelle im „Vorkernstadium“. Es beginnt etwa vier Stunden nachdem das Spermium eingedrungen ist. Zu diesem Zeitpunkt sind in der Zelle noch zwei separate Zellkerne vorhanden, die jeweils die Hälfte der Erbinformation für den Embryo enthalten. Rund 18 Stunden haben Reproduktionsmediziner in dieser Phase Zeit, um die Eizellen zu untersuchen und zu entscheiden, welche Zellen einer Patientin eingesetzt werden: Maximal drei dürfen es sein, so das Embryonenschutzgesetz. Die deutsche Regelung gehört zu den strengsten weltweit. Ziel ist es, riskante Mehrlingsgeburten zu verhindern und gleichzeitig die Anzahl an „überzähligen“ Embryonen so gering wie möglich zu halten. Befruchtete Eizellen, die nicht implantiert werden, müssen noch im Vorkernstadium zerstört oder für spätere Behandlungen eingefroren werden. 

Kirche will menschliches Leben von Beginn an schützen 

Laut Gesetz handelt es sich hier noch um kein menschliches Leben – laut Kirche aber schon. Dieses müsse „vom Augenblick der Empfängnis an absolut geachtet und geschützt werden“, definiert Donum Vitae und meint damit bereits den Zeitpunkt, wenn das Spermium in die Eizelle eindringt. Mit der Entscheidung darüber, welche Zellen genutzt und welche verworfen werden, mache sich der Mensch zum Herrn über Leben und Tod, kritisiert die Glaubenskongregation. Ein Argument, das bei den Meisters nicht zutrifft: Anstelle der erhofften acht bis 15 Eizellen können nur zwei gewonnen und später eingesetzt werden. Doch selbst für den Fall, dass keine „überzähligen“ Embryonen entstehen, verurteilt der Vatikan die künstliche Befruchtung. „Laut Lehramt dürfen nämlich liebende Vereinigung und Fortpflanzung nicht voneinander getrennt werden“, erklärt der Moraltheologe Stephan Ernst. Genau diese beiden Sinngehalte des ehelichen Aktes würden bei einer „Befruchtung im Glas“ aber auf der Strecke bleiben. Eine Argumentationsweise, mit der die katholische Kirche auch die Schwangerschaftsverhütung ablehnt: Kein Sex ohne Kinderkriegen – und eben auch kein Kinderkriegen ohne Sex.  

Diese Verpflichtung Kinder in einem Liebesakt zu zeugen kann Charlotte Meister nicht nachvollziehen. Warum sollte auf Reproduktion ausgelegter Geschlechtsverkehr mehr Liebe beinhalten als monatelang medizinische Behandlungen über sich ergehen zu lassen? „So etwas kann man nur aus Liebe machen!“ Für die 33-jährige schaffen derartige lehramtliche Aussagen deshalb eine immer größer werdende Distanz zwischen ihrem Leben und ihrer Kirche. Sie fühlt sich nicht verstanden. „An dieser Stelle habe ich dann beschlossen nichts mehr darauf zu geben, was die Kirche dazu sagt.“ 

Dass das Lehramt den natürliche Zusammenhang zwischen Sexualität und Fortpflanzung als moralisch bindend erklärt ist „ein Verfahren, was in der Ethik inzwischen obsolet ist“, urteilt Moraltheologe Ernst. Stattdessen müsse man zu einer verantwortlichen Abwägung von Erfolgen kommen. „In diese Richtung sollte sich die Kirche auch im Hinblick auf die gesamte Sexualmoral und die medizinische Ethik weiterentwickeln.“ Einen moralischen Freifahrtschein will er damit aber nicht ausstellen. Gesetzliche Regelungen und ethische Empfehlungen rund um künstliche Befruchtung müsse es auch in Zukunft geben. Außerdem sollten Betroffene bedenken, welche medizinische, psychischen und finanziellen Probleme es geben könnte „und was mit den überzähligen Embryonen geschehen soll“. 

Deregulierung künstlicher Befruchtung bleibt ethisches Dilemma 

So streng wie in seiner Urform 1990 ist das Embryonenschutzgesetz inzwischen nicht mehr. So werden zum Beispiel Untersuchungen von Eizellen auf bestimmte genetische Krankheiten im Zuge einer Präimplantationsdiagnostik (PID) immer häufiger durchgeführt. Gemessen an der Zahl der IVF-Behandlungen sind sie aber weiterhin eine absolute Ausnahme. Zum letzten Stichtag 2018 wurden bei insgesamt mehr als 105.000 IVF-Zyklen lediglich 315 PID durchgeführt. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Einpflanzung eines Embryos fordern Reproduktionsmediziner aber Lockerungen. In vielen Ländern können Eizellen auch noch mehrere Tage nach der Verschmelzung der Zellkerne ausgewählt und implantiert werden. „Dafür sprächen die Interessen der zukünftigen Eltern, an einer erfolgversprechenden Behandlung und einem gesunden Kind“, sagt Bioethikerin Graumann. Gleichzeitig weist sie darauf hin, dass es in der Reproduktionsmedizin auch um finanzielle und kommerzielle Interessen geht. „Das ist problematisch.“ 

Egal sind diese ethischen Fragen den wenigsten Paaren, so die Erfahrung von Beraterin Rita Klügel. Doch an der Kirche orientiert sich hier kaum noch jemand. Während der Vatikan die medizinischen Optionen verwirft, bietet er kaum Alternativen. Donum Vitae empfiehlt statt künstlicher Befruchtung, im Leiden ungewollter Kinderlosigkeit „die Gelegenheit für eine besondere Teilnahme am Leid des Herrn zu entdecken“. Klügels Erfahrung nach stellt diese „zynische Antwort“ für die meisten Menschen mit Kinderwunsch keine realistische Option dar. Auch Charlotte Meister glaubt nicht, dass diese Antwort Paaren helfen kann, mit dieser Situation fertig zu werden. Sie selbst hat nach zwei erfolglosen IVF-Zyklen mit ihrem Kinderwunsch abgeschlossen. Mutter ist sie trotzdem: Sie und Ihr Mann haben inzwischen einen Pflegesohn. Solche Konstrukte sollten von der Kirchen mehr gewürdigt werden fordert Meister: „Die Berufung zum Muttersein sollte nicht auf das Biologische begrenzt werden.“  

Damit die Kirche als moralischer Kompass wieder ernster genommen wird, müsste sie sich lehramtlich bewegen. Aber auch die Gesellschaft ist gefragt: Ziel sollte sein, wirtschaftliche und soziale Hindernisse abzubauen, die Paare daran hindern, jung Kinder zu bekommen. Das könnte in vielen Fällen verhindern, dass sie später überhaupt erst in das ethische Dilemma einer künstlichen Befruchtung geraten.  

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
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