Meinung
Nach Ablehnung des Rücktrittsgesuchs

Das Bleiben von Kardinal Marx muss Wendepunkt sein

Der Jesuit Andreas Batlogg ist froh, dass Reinhard Marx Erzbischof von München und Freising bleibt. Er habe Verantwortung übernommen und werde das auch in Zukunft tun.

Jesuit Andreas Batlogg © privat Christian Ender

„Wendepunkt?“ stand letzte Woche auf der Titelseite der Münchner Kirchenzeitung. Jetzt, nachdem Papst Franziskus das Rücktrittsangebot unseres Erzbischofs abgelehnt hat, muss es heißen: Wendepunkt! Kardinal Marx war von dieser Entscheidung „überrascht“. Er hat deutlich gemacht: Ein „Weiter so“ kann es nicht geben. Wird es auch nicht geben. Marx muss diese unerwartete Wende erst einmal „verarbeiten“. Das Evangelium ist dabei das Leitkriterium: Wie umgehen mit Schuld, mit Versagen, mit Verbrechen? Juristische Verjährung ist das Eine. Moralisches Versagen, moralische Schuld das Andere. Diese Entscheidung, so schwer sie zu vermitteln ist, ist das Ergebnis eines geistlichen Unterscheidungsprozesses. Papst Franziskus ist in sich gegangen, er hat gebetet, meditiert, sich beraten lassen – und er sagt: Bleib an deinem Platz! Kirche ist mehr als die Summe ihrer Fehler.

„Kardinal Marx hat sich tief erniedrigt.“

Marx hat „ich“ gesagt. Er hat sich von der üblichen bischöflichen Beschwichtigungsrhetorik (längst) verabschiedet. Er übernimmt Verantwortung. Der Papst spricht in seinem Brief von der „Katastrophe“ des sexuellen Missbrauchs. Aber er sagt auch: Mach weiter, aber anders! War das alles „Theater“: ein Manöver, eine Inszenierung, Kalkül und Taktik – wie manche Kommentare behaupten? Für mich nicht. Kirche ist keine NGO. „Ich bin ein Sünder“: Das ist keine „katholische“ Ausrede. Kein Alibi oder ein juristisches Schlupfloch. Es geht um Verantwortung. Dass Kirche aus Sündern besteht, dass ich Sünder bin und Sünder bleibe, das ist nicht nur fromme Rhetorik, die mit Beifall rechnen kann. Ich bin ein Sünder: Das ist Realität. Bis an mein Lebensende. Kardinal Marx hat sich sehr tief erniedrigt. Das war echt!

Gemeinsam die Kirche erneuern

Die Missbrauchsthematik hat seinen Glauben verändert, sagte er. Ich bin froh und erleichtert, dass wir mit ihm den Weg weitergehen. Mit einem, der Verantwortung übernommen hat und weiter übernehmen wird. Warten wir die ausstehenden Gutachten ab. Zum Vertrauensbeweis des Papstes schreibt Marx: „Das bedeutet für mich und unsere gemeinsame Arbeit im Erzbistum München und Freising aber auch, zu überlegen, welche neuen Wege wir gehen können – auch angesichts einer Geschichte des vielfältigen Versagens –, um das Evangelium zu verkünden und zu bezeugen. Dabei steht der Bischof nicht allein und ich werde in den nächsten Wochen darüber nachdenken, wie wir gemeinsam noch mehr zur Erneuerung der Kirche hier in unserem Erzbistum und insgesamt beitragen können“. Nehmen wir ihn beim Wort!

Menschen statt Image stehen im Mittelpunkt

Bei der Aufarbeitung der Krise der Kirche in Deutschland will der Papst auf unseren Erzbischof nicht verzichten. Der Synodale Weg greift systemische Probleme auf. Sie sind benannt. Lösen können wir sie nicht allein auf nationaler Ebene. Nicht das Image der Kirche steht im Mittelpunkt, sondern die Menschen! Besonders enttäuschte, verwundete, brutal verletzte Menschen. Sie sollen die Kirche wieder als Raum des Heils und der Heilung erfahren, nachdem sie für viele, manchmal jahrzehntelang, ein Ort des Unheils geworden ist. (Andreas R. Batlogg SJ; Seelsorger an der Jesuitenkirche St. Michael in München und war bis 2017 Chefredakteur der „Stimmen der Zeit“)