Asyl und Migration

Bürokratie trennt Familien

Für Migranten ist der Familiennachzug meist die einzige Hoffnung, ihre Verwandten wiederzusehen. Auch für Abrahet Yemane. Sie musste ihre Tochter in Eritrea zurücklassen. Das war vor fünf Jahren.

Verloren im Bürokratiedschungel: Familien sind oft jahrelang getrennt. © junce11 - stock.adobe.com

Zuhause ist da, wo die Menschen sind, die man liebt – so sagt man. Für Menschen, die ihrer Heimat verlassen müssen, sind ihre Familien daher meist das Zuhause in der Fremde. Viele müssen ihre Verwandten aber auf ihrem Weg zurücklassen. Der Familiennachzug, also die Möglichkeit für Migranten, deren Familienmitglieder aus dem Ausland nach Deutschland zu holen, stellt für viele daher die einzige Hoffnung dar, mir ihren Lieben wieder vereint zu werden. So auch für Abrahet Yemane. Vor fünf Jahren kam sie allein aus Eritrea nach Deutschland. Ihre Tochter musste sie zurücklassen.

11.000 Angehörige warten auf Visa

In Ihrer Heimat hielt es die junge Frau, die ihren echten Namen nicht nennen will, einfach nicht mehr aus. „Eigentlich bin ich gelernte Tierpflegerin, doch nach der Ausbildung musste ich zum Militär.“ Das ist in dem kleinen Land am Roten Meer für alle Männer und Frauen verpflichtend. Unbefristet und unbezahlt, erzählt Yemane. Lediglich ein kleines Taschengeld, das nicht zum Überleben reicht, gibt es für die Soldaten. Staatlich verordnete Zwangsarbeit, urteilt Amnesty International. Frauen werden in der Truppe darüber hinaus immer wieder Opfer sexueller Gewalt. Den einzigen Ausweg sah Abrahet Yemane in der Flucht nach Deutschland. "Jetzt will ich auch meine Tochter, die in Äthiopien bleiben musste, nachholen.“ Doch obwohl sie es schon seit Jahren versucht, hatte sie bislang keinen Erfolg.

Yemane ist kein Einzelfall. Hilfe bekommen Betroffene wie sie von der Caritas. „Aber das ist eine schwierige Prozedur", erklärt der Caritas-Migrationsexperte Willi Dräxler, „denn es gibt in Deutschland Strukturen und Gesetze auf der Verwaltungsebene, die das ganz gezielt ausbremsen“. So ist zum Beispiel der Familiennachzug seit 2018 auf ein Kontingent von 1.000 Plätzen pro Monat beschränkt. „Aber noch nicht einmal die werden genutzt“, kritisiert Dräxler. Erst kürzlich bestätigte die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, dass die „Obergrenze“ bei weitem nicht erreicht wird. Demnach wurden in den ersten vier Monaten dieses Jahres lediglich 1.542 Visa für den Familiennachzug von den deutschen Auslandsvertretungen ausgestellt. Fast dreimal so viel wären eigentlich möglich gewesen. Unterdes müssen rund 11.000 Angehörige von Geflüchteten weiter auf ein Visum warten.

Keine Transparenz, dafür möglichst kompliziert

So auch Abrahet Yemanes Tochter. Sechs Jahre war sie alt, als ihre Mutter sie bei ihrer Tante in Äthiopien zurücklassen musste. Inzwischen ist sie elf. Gesehen hat Yemane sie seitdem nur via Skype. Zu ihrer restlichen Familie in Eritrea ist der Kontakt noch schwieriger. „Kein Internet“, fasst die junge Frau die infrastrukturellen Probleme ihres Mutterlandes trocken zusammen. Wenn sie mit ihrer Mutter oder ihren Geschwistern spricht dann am Telefon – und das heimlich. Offiziell weiß ihre Familie nicht, wo Yemane ist. Als Deserteurin droht ihr eine lange Haft. Wer ihr hilft oder Informationen über sie zurückhält, macht sich ebenfalls strafbar. In ihre Heimat zurückkehren kann die junge Mutter nicht. 

Weil sie aber floh, bevor sie Opfer von Verfolgung wurde und nicht erst danach, wird Abrahet Yemane in Deutschland nur der „subsidiäre Schutz“ zugestanden. Dieser beinhaltet keinen sogenannten „privilegierten Familiennachzug“. Stattdessen sind die bürokratischen Hürden besonders hoch. Eigentlich steckt hinter der Möglichkeit des Familiennachzugs das Versprechen, mit dem Ehepartner oder minderjährigen Kindern wiedervereint zu werden. Doch in der Realität versucht man, den Antragstellern möglichst viele Steine in den Weg zu legen, kritisiert Dräxler. Verlangt werden Geburtsurkunden, Standesamtseinträge und andere Verwandtschaftsnachweise. In vielen Fällen ist es aber unmöglich, die geforderten Dokumente zu erbringen. Häufig gibt es sie auch gar nicht. „Zum Beispiel traditionelle Eheschließungen nach Stammesriten werden fast nie dokumentiert“, erklärt Dräxler, „und gerade in ländlichen Regionen mancher Herkunftsländer werden auch nur selten Geburtsurkunden ausgestellt“. Darüber hinaus hätten die dortigen Behörden häufig auch kein Interesse an der Zusammenarbeit mit den deutschen Konsulaten. Wenn man wie Abrahet Yemane nicht in das Herkunftsland zurückreisen kann, wird es noch einmal schwieriger. Wer aus Verzweiflung Urkunden fälscht, macht sich strafbar.

Unter Zeitdruck

Ein bürokratischer Dschungel. Ihn zu überwinden ist zwar theoretisch machbar, praktisch aber nahezu unmöglich. Nach Erfahrung von Caritas-Experten Dräxler ist das gewollt. Laut der Organisation Pro Asyl wird so ganz gezielt im großen Stil der Familiennachzug verhindert. „Es wird mit Absicht so kompliziert und intransparent gemacht, dass selbst erfahrene Mitarbeiter von uns am Schluss nicht mehr durchblicken“, sagt auch Dräxler. Das kostet Zeit, die die Betroffenen nicht haben: Werden Kinder vor Abschluss des Verfahrens volljährig, erlischt damit ihr Anspruch auf Familiennachzug. Fünf Jahre haben Abrahet Yemane und ihre Tochter bereits gewartet. Sieben Jahre bleiben noch.

Podcast-Tipp

Total Sozial

Ob Wohnungslosigkeit, Integration oder Leben im Alter: Die sozialen Verbände im Erzbistum setzen die Botschaft des Evangeliums in aktive Hilfe um. Sie helfen mit die großen Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Wir sprechen mit ihnen darüber.

> zur Sendung

Der Redakteur und Moderator
Korbinian Bauer
Münchner Kirchenradio
k.bauer@michaelsbund.de

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Flucht & Asyl