Interview zum Schulanfang

Frieden schließen mit der eigenen Schulbiographie

Seit zehn Jahren ist Saskia Niechzial Grundschullehrerin. Als Mutter dreier Kinder und Pädagogin hat sie es sich als Ziel gesetzt, die Schwierigkeiten zwischen dem Schulalltag und der Familienwelt zu meistern.

Eltern vergessen zum Schulstart gern ihre eigene Rolle. © stock.adobe.com-NINAL/peopleimages.com

Sie sind Lehrerin, haben ein Buch rund um den Schulanfang geschrieben. Was liegt Ihnen dabei besonders am Herzen?

Saskia Niechzial: Der Übergang vom Kindergarten in die Schule stellt in Deutschland einen sehr abrupten Wechsel dar. Ob die Kindergärten und Schulen hier viele Vorbereitungsangebote machen können, hängt in Zeiten des um sich greifenden Personalmangels stark davon ab, welche Ressourcen vor Ort zur Verfügung stehen. Und so liegt es oft vor allem in den Händen der Eltern die Vorschulzeit zu begleiten. Darum ist es mir ein besonderes Anliegen genau sie, die ich mit meinem Buch stärken und während diese aufregenden Monate an die Hand nehmen möchte.

Starten wir mit der Vorschulzeit. Wie wichtig ist es für das Kind, einen Stift richtig zu halten oder ruhig sitzen bleiben zu können? Oder sagen Sie, andere Aspekte sind wichtiger, wenn ja, welche?

Niechzial: Die Stifthaltung, Reimwörter klatschen, zählen – die klassischen Aspekte der Schulvorbereitung haben durchaus ihren Wert, schließlich sind es wichtige Vorläuferkompetenzen schulischer Lernprozesse. Was aber viele Jahre etwas zu wenig im Fokus stand, ist die emotionale Ebene von Schulvorbereitung. Der Schulstart bringt einen komplett neuen Alltag mit sich – das verlangt Kindern einiges ab. Es ist unheimlich wichtig, sie hier zu unterstützen, ihre positive Selbstwahrnehmung zu fördern und ihre Frustrationstoleranz sowie ihre Resilienz, also ihre emotionale Widerstandsfähigkeit zu stärken.

Wie können Kinder unterstützt werden, die es schwerer haben als andere, vielleicht, weil nicht genug vorgelesen wird, motorische Fähigkeiten fehlen oder das Kind die Sprache nicht gut kann?

Niechzial: Viele Kompetenzen trainieren sich in ganz gewöhnlichen Alltagssituationen, etwa beim Einkaufen oder Tisch decken. Gleiches gilt für tägliches Spiel. Im Spiel können Kinder die vielfältigsten Fähigkeiten weiterentwickeln. Seien es motorische Fertigkeiten beim Lego bauen oder soziale sowie sprachliche Kompetenzen im freien Spiel mit anderen. Können Eltern nicht viel vorlesen, kann auf Hörspiele zurückgegriffen werden. Und braucht ein Kind wirklich gezielte Unterstützung, kann es Sinn ergeben, keine Scheu vor therapeutischer Hilfe zu haben.

Die Tochter einer Freundin beschwerte sich zu Schulbeginn, sie würden zu viel malen; sie wollte endlich rechnen. Kinder erleben auch Enttäuschungen in der Schule. Wie können Eltern damit umgehen?

Niechzial: Vor Enttäuschungen können wir nicht bewahren. Aber wir können Kinder in ihren
Gefühlen ernst nehmen und Verständnis für ihren Frust zeigen, wenn sie merken, dass Lesen, Schreiben und Rechnen lernen sehr langwierige Prozesse sind und leider nicht nach einigen Tagen abgehakt werden können. Eltern können unterstützen, indem sich zum Beispiel berichten lassen, ob das Kind am jeweiligen Schultag etwas Neues gelernt hat, das es vorher noch nicht wusste und so das Signal geben: „Das, was du jetzt gerade in de Schule machst, ist auch schon wichtig und interessiert mich!“

Manche Eltern überwachen jeden Buchstaben des Kindes. Andere Eltern sagen, die Schule sei Sache des Kindes. Wie finden Eltern den Weg zwischen zu viel und zu wenig Unterstützung?

Niechzial: Elternschaft ist ja in vielen Bereichen ein ewiges Ausbalancieren. Für mich ist entscheidend, sich hin und wieder die Zeit zu nehmen, sich selbst zu reflektieren, gern auch im Dialog mit dem anderen Elternteil oder den Lehrkräften. Das sind wertvolle Perspektiven. Außerdem ist es wichtig, das Kind einzubeziehen. „Möchtest du, dass ich mir deine Hausaufgaben nochmal anschaue und dir etwas dazu sage?“ oder „Magst du mir von deinem Schultag erzählen?“ So bekommen Eltern einen guten Eindruck davon, wie das Kind zur elterlichen Unterstützung steht. Daran dürfen wir uns orientieren.

Sie schreiben, dass die eigene Schulbiografie auch immer eine Rolle bei der Einschulung der Kinder spielt. Wie meinen Sie das und was raten Sie Eltern?

Niechzial: Haben wir als Eltern in unserer Schulzeit eher negative Erfahrungen gesammelt, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass wir Ängste entwickeln, unserem Kind können es ebenso ergehen. Übertragen wir diese Sorgen dann auf unser Kind, kann sich das ungünstig auf seinen oft eigentlich erwartungsfreudigen Blick auf Schule auswirken. Außerdem können unsere eigenen Ängste auch unser Verhalten lenken. Vielleicht begegnen wir dadurch beispielsweise den Lehrkräften unseres Kindes eher argwöhnisch. Dabei wäre es wichtig, sich hier von Beginn an um ein gutes Miteinander zu bemühen. Sich auch mit der eigenen Schulbiographie zu befassen und zu versuchen, Frieden zu schließen, ist darum für mich ein zentrales Element, wenn wir Schulkindeltern werden.

Manche Kinder gewöhnen sich schnell an die Schule, andere weniger. Was kann man tun, wenn das Kind mit den Herausforderungen nicht zurecht kommt?

Niechzial: Das lässt sich kaum pauschal beantworten. Dennoch würde ich sagen, dass gerade in den ersten Wochen gilt: Zeit geben und Geduld haben. Die Umstellung von Kindergarten auf Schule ist für Kinder ein großer Schritt. Die Eingewöhnung in Schule dauert im Grunde das gesamte erste Schuljahr. Und manche Kinder brauchen auch wirklich diese gesamte Zeitspanne. Außerdem bewährt sich immer ein guter Austausch mit den Lehrkräften. Halten sich manche Probleme wirklich sehr hartnäckig, ist es nicht verwerflich in Absprache professionelle Hilfe in Anspruch zu nehme.

Ihr Buch enthält Leitsätze für Eltern zum Übergang von Kita zur Schule. Welche drei Sätze sind Ihnen davon besonders wichtig?

Niechzial: Zuerst „Frieden schließen mit der eigenen Schulbiographie.“ Als Nächstes „Entscheidungen werden selten für die Ewigkeit getroffen.“ Das bedeutet, dass ein Schulleben auch Umwege und Veränderungen mit sich bringen darf. War der Schulstart für ein Kind doch zu früh, obwohl sich seine Eltern nach bestem Gewissen dafür entschieden hatten, so ist ein Schritt zurück nicht das Ende der Welt. Wir wünsch es uns oft anders für unsere Kinder, aber eine unglückliche Situation zu verändern, kann durchaus sehr heilsam sein. Und zuletzt:  “Mein Kind hat immer mich als sicheren Hafen.“ Eltern vergessen zum Schulstart gern ihre eigenen Rolle. Die Beziehung, das Band zwischen Eltern und Kindern wird nicht mit der Einschulung gelöscht. Und es ist für Kinder von immenser Bedeutung, dass jemand nach einem langen Schultag ihnen Rückzug und ein offenes Ohr bietet. (Interview: Christine Schniedermann)

 

Buchtipp

Saskia Niechzial: Hallo Schulanfang

Entspannung für Eltern von Vorschulkindern und Erstklässlern Angstfrei in der Schulzeit anzukommen ist eine Erfahrung, die den weiteren Schulweg eines Kindes nachhaltig prägt und immens erleichtern kann. Es ist ein Prozess, auf den die Eltern viel mehr Einfluss haben, als bislang angenommen. Die bekannte Grundschulpädagogin und Mutter Saskia Niechzial unterstützt Eltern, ihre Kinder aktiv und beziehungsorientiert durch das Vorschuljahr und den Beginn der Grundschulzeit zu begleiten, sie loszulassen und dabei sicherer Hafen zu bleiben - auch bei Gegenwind und eigenen Ängsten.

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