"Zeit für mich"

Spirituelles Angebot auch für kirchenferne Menschen

Kurze Impulse, Musik und kleine Rituale laden dazu ein zur Ruhe und zu sich selbst zu kommen. Auch wenn ein Segen gespendet wird, bricht das Angebot in der Münchner Heilig-Kreuz-Kirche kirchliche Traditionen auf.

Das rituelle Entzünden der Kerze erinnert bei "Zeit für mich" an die Taufe. © Eszter - stock.adobe

München – Ein milder Novembersonntag im Münchner Stadtteil Giesing. An diesem Abend finden sich Menschen in der Heilig-Kreuz-Kirche ein, die sich nach etwas Ruhe und Einkehr sehnen. Doch es ist keine klassische Eucharistiefeier, sondern das spirituelle Angebot „Zeit für mich“, das die Besucher ansteuern. „Aufatmen in einem erhebenden Raum – Musik, die berührt“: So lautet das Motto dieser Veranstaltung, die jeden Sonntag um 19 Uhr stattfindet. Ganz bewusst wollen Monsignore Engelbert Dirnberger und sein Team damit auch Menschen anlocken, die sonst eher selten den Weg in ein Gotteshaus finden.

Die Idee zu „Zeit für mich“ entstand 2015, als die Innenrenovierung der Kirche abgeschlossen war, erinnert sich der Pfarrer: „Wir wollten ein Format entwickeln, das an der Schwelle zwischen Wochenende und neuer Arbeitswoche steht und eine Zeit schafft, in der ich zu mir kommen kann.“ Es sollte keine gängige Liturgiefeier sein, die die Geistlichen vorgeben. Auch um Gemeinschaft geht es dabei nicht, sondern um Momente der Stille.

Ein Angebot für Gläubige sowie kirchenferne Menschen

Deshalb wurde ein kleiner Arbeitskreis eingerichtet, in den ganz bewusst auch Menschen eingeladen wurden, die zwar im Stadtviertel leben, mit Kirche aber nur sporadisch in Kontakt sind. Und so kommen jeden Sonntagabend nicht nur Menschen hierher, die schon am Vormittag in der Eucharistiefeier waren, sondern auch Menschen aus der ganzen Stadt, denen dieses spezielle Format gefällt. Von Jugendlichen bis hin zu Senioren sind alle Altersgruppen vertreten. Zwischen 30 und 60 Menschen besuchen die „Zeit für mich“ regelmäßig, die meist zwischen 30 und 45 Minuten dauert.

Heute geht es um das Thema „Groß werden“. Groß sein, das wird oft mit Erfolg assoziiert, führt Monsignore Dirnberger aus. Doch Größe könne auch falsch verstanden werden, wenn Menschen zum Beispiel ihre Macht missbrauchten oder andere unterdrückten. Der Zöllner Zachäus, um den es im heutigen Evangelium geht, wird von allen geächtet. Als der kleine Mann einen Maulbeerfeigenbaum hinaufklettert, um Jesus sehen zu können, fragt Jesus ihn, ob er bei ihm zu Gast sein darf. Jesus nimmt ihn an, nicht weil er etwas leistet, sondern weil es ihn gibt.

Mischung aus Unkonventionalität und kirchlicher Tradition

An diese bedingungslose jesuanische Annahme erinnert auch die Taufe: Sie wird kleinen Kindern geschenkt, die noch nichts „geleistet“ haben. Gerade sie sind einfach in der Gemeinschaft Gottes willkommen. Um an die Taufe zu erinnern, lädt der Pfarrer daraufhin die Gläubigen ein, eine Kerze zu entzünden.

Es sind diese stillen Elemente, die die „Zeit für mich“ ausmachen. Das „kirchliche Design“, wie Dirnberger es nennt, werde so gering wie möglich gehalten: So verzichte man bewusst auf das Kreuzzeichen und das Vaterunser. Die Textstelle des jeweiligen Sonntagsevangeliums werde jedoch immer verlesen. Auch ein Ritual, in diesem Fall das Anzünden einer Kerze, sei wichtig. Dabei könne jeder bei sich bleiben.

Sendungsauftrag des Monsignore bleibt zentral

Wenn Dirnberger über Größe spricht, ist das keine Predigt im klassischen Sinne, sondern eher Impulse, die immer wieder von Musik unterbrochen werden und so zum Nachdenken anregen. Sie schaffen den Rahmen, „sich mit einer tieferen Wirklichkeit zu verbinden, die wir Gott nennen“, so der Wunsch des Pfarrers. Im Anschluss haben die Besucher dann noch die Gelegenheit, sich einen persönlichen Segen abzuholen. „Ich frage dann immer, ob die Menschen einen besonderen Wunsch für den Segen haben“, erzählt Dirnberger. So erfährt er manchmal auch Dinge, die ihn sprachlos machen. Da brauche man schon den Geist Gottes, gibt er unumwunden zu. „Dieses benedicere, das Gute sagen, kommt bei den Menschen an“, so die Erfahrung des Seelsorgers.

Obwohl auf viele Elemente des Gottesdienstes verzichtet wird, trägt Dirnberger einen Talar und eine Stola. Damit will er sich seinen Sendungsauftrag vergegenwärtigen: „Ich möchte mich beim Segen daran erinnern, dass es um eine gewisse Durchlässigkeit geht. Es geht nicht um mich als Person, die da einen Segen spricht, sondern um einen Zuspruch von Gott für den Menschen.“ Auch die Ästhetik des erhebenden Kirchenraumes sei wichtig, schließlich symbolisiere sie Verkündigung. Außerdem könne die Heilig-Kreuz-Kirche durch ihre besondere Beleuchtung viele Stimmungen erzeugen.

Ökumenische Zusammenarbeit ist geplant

Neben Dirnberger und seinem Kollegen, Pfarrer Philipp Wahlmüller, gestalten die beiden PastoralreferentInnen Sabrina Brey und Gerhard Wastl die „Zeit für mich“. Im Winter wird auch ein evangelischer Pfarrer aus der benachbarten Lutherkirche zwei Abende übernehmen.

Als während des Lockdowns die Gottesdienste ausfielen, sprachen Dirnberger und seine Kollegen jeden Tag die Texte der früheren „Zeit für mich“-Abende ein, um Interessierten kleine spirituelle Impulse mit auf den Weg geben zu können. Wer einen Höreindruck dieses besonderen Wortgottesdienstes bekommen möchte, findet die aktuellen Folgen online.

Der Redakteur
Maximilian Lemli
Münchner Kirchenzeitung
m.lemli@michaelsbund.de