Robotik und Autonomie

Roboter unterstützen Pflegepersonal

Seit Ende 2018 werden in Garmisch-Partenkirchen in einem Seniorenheim Assistenz-Roboter eingesetzt. Sie sollen das Personal entlasten und pflegebedürftige Menschen im Alltag unterstützen. Beim 11. Diözesanen Ärztetag wird die Frage gestellt, ob Robotik einen Zuwachs an Autonomie bringt oder die Selbstbestimmung einschränkt.

EDAN, ein intelligenter Greifarm, kann Menschen mit Mobilitätseinschränkungen unterstützen. © DLR

Garmisch-Partenkirchen – „Guten Tag!“ Zur Begrüßung schüttelt Justin die Hand. Dann rollt er davon. Um sich zu orientieren, helfen ihm sechs Kameras, die Bilder seiner Umgebung in 3D übermitteln – und eine Fernsteuerung, die nicht nur vom Nutzer selbst, sondern via Tablet oder Smartphone auch von Angehörigen aus der Ferne bedient werden kann. 28 Kilogramm kann der 1,91m große humanoide Roboter tragen. Das reicht, um eine Getränkekiste zu bringen. Um einen immobilen Menschen aus dem Bett zu heben, reicht es nicht.

Sein „Bruder“ EDAN, ein Leichtbauroboterarm mit einer Fünf-Finger-Hand, der an einem Rollstuhl angebracht ist, kann ein Glas zum Mund führen, eine Tür öffnen, einen Aufzugknopf drücken oder eine Bettdecke hochzuziehen. Gesteuert wird der Rollstuhlassistent mittels eines Joysticks oder Muskelsignale, die der Betreffende an den Roboter weitergibt.

Diese beiden Techniken und deren Einsatz im stationären und ambulanten Bereich, deren Grenzen und Vorzüge bei der Assistenz von pflegebedürftigen Menschen mit teils großen Mobilitätseinschränkungen werden beim diesjährigen Ärztetag der Erzdiözese am 15. September diskutiert.

Expertise aus der Raumfahrt

Wer kennt sich besser aus mit künstlicher Intelligenz im Weltraum als das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)? Somit scheint die Kooperation zwischen Pflege- und Bildungsexperten des Caritasverbands für München und Oberbayern und den Technologie-Experten des DLR in Oberpfaffenhofen konsequent. Seit 2008 entwickeln Fachleute im Projekt SmiLE für Menschen mit Bewegungseinschränkungen digitale Diener wie Rollin’ Justin und EDAN.

Argument und Auslöser, Assistenz-Roboter im Seniorenheim zu etablieren, ist der akute Pflegenotstand. Durch die Unterstützung von Robotik, so etwa über Hol- und Bringdienste, sollen Pflegekräfte entlastet und somit die Effizienz und Qualität in der Pflege verbessert werden. Auch im ambulanten Bereich sollen Roboter Menschen bei Handgriffen helfen, die sie alleine nicht mehr bewältigen können – und ihnen dadurch im Alltag zu mehr Selbständigkeit verhelfen, damit sie länger zu Hause zurechtkommen. Der Freistaat Bayern unterstützt das Projekt mit knapp 1,5 Millionen Euro.

Ethische Standards

Rund 3,1 Millionen Menschen in Deutschland sind auf ambulante oder stationäre Pflege angewiesen. Bis 2030 soll die Zahl auf 3,6 Millionen steigen. Service-Robotik alleine wird als Maßnahme, die Lücke in der Pflege zu schließen, nicht ausreichen, gerade weil ihre Entwicklung noch am Anfang steht, die Batterie im Schnitt nur etwa eine Stunde hält und die Preise für die digitalen Helfer derzeit mit rund 60.000 Euro noch sehr hoch sind.

Dennoch: Forschung und Entwicklung haben große Sprünge gemacht. Die Techniken können das Pflegepersonal und Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, im Alltag unterstützen. Durch sie bleibt den Pflegekräften mehr Zeit für die persönliche Betreuung von Patienten und Klienten. So die Theorie.

Das Bett abdecken, Medikamente bringen, Getränke reichen – lässt sich der Einsatz von künstlicher Intelligenz ethisch vertreten? Persönliche Ansprache, empathische Betreuung, Berührungen, Gesten – das kann kein Roboter leisten. Der Einsatz von Robotern in der Pflege ist vor allem ethisch ein sensibles Thema. Im Projekt SMiLE2gether der DLR geht es nun darum herauszufinden, was in der Pflege gebraucht wird, welcher Einsatz von Robotik für Pflegende und pflegebedürftige Menschen sinnvoll ist und wie ethische Standards bei der Interaktion von Robotik und Mensch gewahrt werden können. Am Projekt ist deshalb auch die Katholische Stiftungshochschule München (KSH) beteiligt.

Chancen und Risiken für eine gute Patientenversorgung

Jeder wird sich die Frage stellen: Wie möchte ich im Alter oder wenn ich auf Hilfe angewiesen bin, gepflegt und versorgt werden? Die Menschen in einem Seniorenheim oder einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung haben wenig Entscheidungsmacht darüber, ob ihnen ein Mensch oder eine Maschine das Getränk reicht und wann ein Pfleger die Zeit für ein persönliches Gespräch findet. Diese Entscheidungen treffen entweder die Angehörigen, oder Pflegekräfte für sie. Diese Abhängigkeit ruft Ängste hervor. Von zentraler Bedeutung wird deshalb sein, zu fragen, welche Bedürfnisse und Wünsche diejenigen haben, denen die digitalen Helfer assistieren sollen, den „Betroffenen“ wie auch den Pflegekräften eine Stimme zu geben, ihnen zuzuhören.

Der diesjährig Diözesane Ärztetag, der coronabedingt rein digital stattfindet, beleuchtet das Thema Robotik und Autonomie in der Pflege aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Neben einem praktischen Bericht von Alexander Huhn, Kreisgeschäftsführer der Caritas Garmisch-Partenkirchen und einer technischen Einführung von Jörn Vogel vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, lenkt Prof. Dr. Constanze Giese, Professorin für Ethik und Anthropologie an der Katholischen Stiftungshochschule München, den Blick auf die Pflegeethik und Dr. Wolfgang Lingl, Krankenhausseelsorger bei der Erzdiözese appelliert aus der Sicht der Seelsorge daran, die Autonomie der Pflegebedürftigen zu wahren. Eine Diskussion über Chancen und Risiken für eine gute Patientenversorgung ist ausdrücklich erwünscht. Traditionell endet das Symposium mit einem Gottesdienst, der gestreamt wird. (Der Artikel wurde vom Erzbischöflichen Ordinariat München und Freising zur Verfügung gestellt. Die Autorin ist Angelika Slagman, Onlineredakteurin.)