Stadt versinkt im Chaos

Rio vor Olympia

Halbfertige U- und Straßenbahnen, überall Baustellen und zunehmende Gewalt - es scheint nicht der beste Moment für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro zu sein. Hier ein Überblick der aktuellen Lage und was getan wird, damit es doch noch erfolgreiche Spiele werden.

Rio de Janeiro versinkt im Müll. (Bild: imago) © imago

Rio de Janeiro – Als Rio de Janeiro 2009 den Zuschlag erhielt, eine Tradition des antiken Griechenlands erstmals in Südamerika aufzuführen, war damit eigentlich nicht die Tragödie gemeint. Doch nun scheintder Stadt kurz vor Beginn der Olympischen Spiele ein echtes Drama ins Haus zu stehen. Dank leerer Kassen, Korruption und Vetternwirtschaft droht eine Riesenblamage.Die Olympia-Flaggen hängen bereits überall in der Stadt, doch die Stimmung ist mies. „Olympia ist eine verpasste Chance für Brasilien“, verkündete Bürgermeister Eduardo Paes zuletzt. Es wäre nicht der beste Moment, um im Fokus der Welt zu stehen. Denn derzeit gibt es schlechte Nachrichten zuhauf: Mauscheleien beim Stadionbau, von Funktionären geklaute Sportfördergelder, halbfertige U- und Straßenbahnen, verdreckte Gewässer und überall Baustellen. Die Lehrer streiken seit vier Monaten. Dazu die tagtäglichen Meldungen über zunehmende Gewalt, ermordete Autofahrer, angezündete Autobusse.

Obdachlose aus Zentrum entfernt

Laut Amnesty International betreibt die Polizei in Armenvierteln derzeit eine „vorolympische Säuberung“. Im Mai seien 50 Personen erschossen worden, gegenüber 17 im gleichen Monat des Vorjahres. In den ersten drei Juniwochen kamen weitere 23 Tote hinzu. Medien berichten von nächtlichen Aktionen, um Obdachlose zwangsweise aus dem Zentrum zu entfernen.Anfang Juli wurde es dann auch für den sonst auf Optimismus getrimmten Sonnyboy Eduardo Paes zuviel. Zwei ARD/ZDF-Container waren von Banditen mitten in der Stadt geklaut worden, später sind sie wieder aufgetaucht. Zudem verkündete die klamme Landesregierung, dass die Krankenhäuser wohl während Olympia dichtmachen müssten. Dem Bürgermeister platzte der Kragen.

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Es müsse Schluss sein mit dem „Rumgeheule“ und dem ständigen „Blablabla“. Die Landesregierung solle endlich die Ärmel hochkrempeln und arbeiten – oder den Hut nehmen. Keine der von ihr zugesagten Aufgaben für Olympia habe sie erfüllt: weder die Reinigung der städtischen Gewässer noch die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. „Wir sind hier am Limit, niemand geht voran, gibt Kommandos.“ Rio stehe praktisch ohne Regierung da, so Paes unter Verweis auf die ausufernde Gewalt.

Bürgermeister Eduardo Paes macht der Landesregierung schwere Vorwürfe.
Bürgermeister Eduardo Paes macht der Landesregierung schwere Vorwürfe. (Bild: imago)

Doch Rios Landesregierung ist aufgrund der Wirtschaftskrise pleite. Dieses Jahr fehlen umgerechnet rund fünf Milliarden Euro Steuereinnahmen. Im Juni rief der Gouverneur den finanziellen Notstand aus, ein formeller Trick, um Notgelder vom Bund zu bekommen. Der darf dem Land eigentlich nichts leihen, da ältere Schulden nicht mehr bedient wurden. Nun hat Brasilia umgerechnet fast 900 Millionen Euro geschickt, um den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung zu verhindern.

Nothilfe des Bundes soll Einsatzfähigkeit der Polzei garantieren

Dass Krankenhäuser vor der Schließung stehen, ist das eine. Dazu warten Pensionäre seit Monaten auf ihre Rente und der Kampf gegen die organisierte Kriminalität in den Favelas scheint mangels Mitteln empfindlich ins Stocken zu geraten. Dabei war gerade die Favela-Polizei UPP das große Olympia-Vorzeigeprojekt der Landesregierung. Mit der ersten UPP 2008 sollte eine neue Zeitrechnung anbrechen. Jetzt fehlen Gelder für das Nötigste, neue UPP-Projekte wurden gecancelt. Ein Ende des kompletten Projekts nach Olympia scheint denkbar; die damit verbundene Rückkehr der Drogenbanden in die Armenviertel wäre nicht nur imagemäßig eine Katastrophe. Die Nothilfe des Bundes soll nun die Einsatzfähigkeit der Polizei in den kommenden drei Monaten garantieren. Dadurch, so der Gouverneur, würden Haushaltsgelder frei, um die U-Bahn zum Olympiapark fertigzustellen. Ursprünglich sollte der Bau der Linie 4 sechzehn Monate vor Olympia abgeschlossen sein und in eine ausführliche Testphase überführt werden. Dahin führte allerdings kein Weg.

Die Olympischen Spiele 2016 (offiziell Spiele der XXXI. Olympiade) werden vom 5. bis zum 21. August 2016 ausgetragen. Zum ersten Mal finden die Spiele in Südamerika statt.

Immerhin sind Rios Mücken aufgrund der winterlichen Temperaturen derzeit wenig aktiv. Trotzdem nimmt die Zahl der aus Angst vor Zika und Dengue absagenden Sportler zu. Auch haben bisher nur rund 30 Staatschefs ihre Teilnahme an der Eröffnungszeremonie zugesagt. Brasilien wird aufgrund des politischen Chaos dafür wohl mit zwei Präsidenten vertreten sein: Interimschef Michel Temer sowie die wegen mutmaßlicher Haushaltsvergehen für 180 Tage suspendierte Dilma Rousseff.

Einziger Lichtblick inmitten der allgemeinen Trübe ist der Optimismus der Cariocas. Laut einer jüngsten Umfrage glauben 60 Prozent von Rios Einwohnern, dass Olympia trotz allem ein Erfolg wird. Und der Glaube versetzt ja bekanntlich Berge. (Thomas Milz)

Der Autor arbeitet als Journalist und Fotograf in Südamerika. Derzeit ist er im Auftrag der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) in Rio.