Olympische Spiele

"Nicht nur mit den Siegern freuen"

"Höher - schneller - weiter" heißt es jetzt wieder bei den Olympischen Spielen. Erstmals dabei ist der neue katholische Olympia-Seelsorger: Diakon Rolf Faymonville freut sich auf Rio. Doch manches macht ihn auch traurig und wütend.

Diakon Rolf Faymonville © KNA

Rio de Janeiro – Diakon Rolf Faymonville (53) begleitet als neuer katholischer Olympia-Seelsorger die deutschen Athleten nach Rio. Zusammen mit seinem evangelischen Kollegen, Pfarrer Thomas Weber, steht er als Ansprechpartner in allen Glaubens- und Lebensfragen bereit, erzählt er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Bei aller Vorfreude auf das sportliche Großereignis sieht er vieles aber auch sehr kritisch - von Doping über soziale Probleme in Rio bis hin zu einem überzogenen Nationalismus beim Kampf um die Medaillen.

KNA: Herr Faymonville, jetzt geht's los bei Ihren ersten Olympischen Spielen. Wie ist die Stimmung?

Faymonville: Angespannt und ein bisschen aufgeregt. Wie alle hier bin ich natürlich gespannt, ob alles gut klappt. Und wir hoffen, dass nichts an Attentaten oder Ähnlichem passiert. Auch sehr viele Brasilianer sehen Olympia ja durchaus kritisch, aber jetzt, wo es losgeht, steigt eindeutig die Vorfreude.

KNA: Worauf freuen Sie selbst sich besonders?

Faymonville: Vor allem auf die Begegnungen mit den Menschen. Mit den Sportlern, aber auch mit den Einheimischen, etwa in den Sozialprojekten, die wir ebenfalls besuchen. Gespannt bin ich auch, welche Wettbewerbe ich mir live anschauen kann, denn das entscheidet sich sehr kurzfristig.

KNA: Welche Sportarten interessieren Sie am meisten?

Faymonville: Eigentlich sind alle gleich wichtig, und ich freue mich einfach, Weltklassesportler erleben zu können. Aber aus meiner persönlichen Biografie heraus finde ich Leichtathletik und Schwimmen besonders spannend. Und Beachvolleyball direkt an der Copacabana - das hat natürlich auch was.

 

Die Arbeit vor Ort:

KNA: Wie muss man sich Ihre Arbeit vor Ort vorstellen als Olympiaseelsorger: Gehen Sie von Wettkampf zu Wettkampf und beten um deutsche Medaillen?

Faymonville: Beten gehört dazu - klar. Aber nicht so. Und wir Seelsorger sind auch keine Maskottchen. Wir beten dafür, dass jeder Sportler seine Leistungen so gut wie möglich abrufen kann, dass alle gesund bleiben und dass es schöne und faire Wettkämpfe gibt. Daumen drücken gehört auch dazu, aber nicht, um einen bestimmten Sieg zu beten. Das wäre nicht angemessen.

KNA: Und was machen Sie außer Beten und Daumendrücken?

Faymonville: Wir sind da für die Sportler, wann und wo sie uns auch immer brauchen. Wir bieten Gottesdienste an, stehen für Gespräche zur Verfügung und schauen vor Ort, mit welchen Anliegen sich die Sportler noch an uns wenden.

KNA: Als ausgebildeter Notfallseelsorger und Trauerbegleiter können Sie auch trösten bei Verletzungen oder wenn jemand haarscharf die angestrebte Medaille verfehlt...

Faymonville: Auch das. Wir wollen es nicht hoffen, aber das kann immer vorkommen. Und oft sind ja gerade die Gespräche gefragt, die nicht die eigene sportliche Leistung betreffen. Da geht es um Lebensfragen, Schicksalsschläge, Familiäres und oft auch um Glaubens- und Sinnfragen. Und da können wir als Seelsorger sicher Beistand leisten.

 

Doping und der wirtschafltiche, olympische Geist:

KNA: Im Vorfeld von Olympia gab es in letzter Zeit vor allem Negativschlagzeilen. Fragen Sie sich manchmal, wo der Olympische Geist geblieben ist?

Faymonville: Sicher. Zum Beispiel beim Thema Doping. Das ist zum einen eine schlimme Missachtung der Sportler, deren Gesundheit aufs Spiel gesetzt wird. Zum zweiten ist es Betrug, wenn man sich mit unerlaubten Mitteln Vorteile gegenüber anderen verschafft. Da wird auch die Olympische Idee untergraben. Der Sport muss sich auch daran messen lassen, wie entschieden er den Kampf gegen Doping führt.

KNA: Wie sehen Sie da die Entscheidung des IOC, das russische Team trotz aller Dopingaffären nicht komplett auszuschließen? Das führt ja auch bei den Sportlern zu großem Unmut.

Faymonville: Das ist sehr knifflig. Nach unserem Rechtsverständnis muss man jedem Menschen eine konkrete Schuld nachweisen, bevor man ihn bestrafen kann. Aber bei tatsächlich nachgewiesenem systematischem Doping einer Mannschaft oder eines Verbandes erscheint auch ein genereller Ausschluss ethisch vertretbar. Hier hat man wohl versucht, einen Kompromiss zu finden, aber ich kann gut verstehen, wenn etliche Sportler ein sehr ungutes Gefühl dabei haben.

KNA: Gibt es heute zu viele politische, wirtschaftliche und andere nicht-sportliche Aspekte rund um Olympia?

Faymonville: Sportliche Großevents haben wohl immer schon eine politische und vor allem eine wirtschaftliche Dimension. Etwa wenn Länder einen fast schon krankhaften Ehrgeiz entwickeln, um durch möglichst viele Medaillen eine angebliche Überlegenheit ihrer Nation belegen wollen. Oder wenn ich Sportler aus anderen Ländern "einkaufe", um in der Leichtathletik mehr Medaillen zu gewinnen, dann entspricht das sicher nicht dem sportlichen Grundgedanken. Und leider nehmen solche nationalistischen Gedankenspiele derzeit stark zu - nicht nur im Sport.

KNA: Sie haben auch die wirtschaftlichen Aspekte angedeutet...

Faymonville: ... bei denen alles dem Gewinn für einige wenige geopfert wird. Schauen Sie auf die sozialen Konflikte in Brasilien. Es macht mich traurig und wütend, wenn ich sehe, dass auch bei diesen Spielen nur einige wenige reiche Familien profitieren. Dafür haben andere praktisch ihre Heimat verloren - zum Beispiel Menschen, die dort gelebt haben, wo das Olympische Dorf entstanden ist. Bei der Vergabe von Olympischen Spielen heißt es oft, sie sollten die Entwicklung im Land vorantreiben. Doch dann werden meistens nur die ohnehin schon Reichen noch reicher.

KNA: Was können die Kirchen dagegen tun?

Faymonville: Zunächst Bewusstsein schaffen. Auf die Skandale hinweisen, Finger in die Wunden legen. Wir besuchen einige Projekte der Aktion "Rio bewegt. Uns", wo Kirchen und ihre Hilfswerke langfristig etwas aufbauen für die Menschen, die am Rand von Olympia sonst vergessen werden. Etwa eine Schule, die Kindern ganz neue Chancen für ihr Leben ermöglicht. Oder eine Zirkusschule, die Kindern auch über das Alltägliche hinaus Freude bringt, Spaß am Spiel und die Chance, ihre persönliche Leistungsfähigkeit auszutesten.

 

Freude auf Olympia

KNA: Bei all diesen Problemen - darf man sich dennoch auf Olympia freuen?

Faymonville: Als Christ sage ich: Wir dürfen uns immer freuen, ohne dabei die kritischen Dinge auszublenden oder unter den Teppich zu kehren. Trotz aller Fehler dürfen wir uns freuen über das, was Menschen leisten können, solange dies auf faire und saubere Art erreicht wird. Und wir sollten uns nicht nur mit den Siegern freuen, sondern auch mit denen, die es nicht aufs Treppchen schaffen und trotzdem tolle Leistungen bringen. (KNA)