Gedenkgottesdienst nach Amoklauf

Münchner trauern miteinander

Der Liebfrauendom war überfüllt, als neun Tage nach dem Amoklauf in einem ökumenischen Trauergottesdienst der neun Opfer gedacht wurde. Angehörige, Spitzenpolitiker, Polizisten, Sanitäter und zahlreiche Münchner verschiedener Religionen verliehen ihrer Trauer Ausdruck.

Mitglieder der Jungen Domkantorei schmücken die Gedenkkerzen mit Blumen. (Bild: Kiderle) © Kiderle

München – Ganz still ist es im Münchner Dom, nur die Totenglocke läutet, als eine junge Frau und ein junger Mann an einem Kranz neun weiße Kerzen entzünden. Eine für jeden der meist jugendlichen Getöteten beim Amoklauf in München. Dahinter stehen beim ökumenischen Gedenkgottesdienst, der neun Tage später im Liebfrauendom gefeiert wird, Vertreter von Christen, Muslimen und Juden. „Wir werden eurer immer gedenken“, sagt Vater Georgios Siomos von der griechisch-orthodoxen Allerheiligen-Gemeinde in seinem Totengebet. „Hilf uns, während dieser schweren Zeit unsere Menschlichkeit nicht zu verlieren“, betet Dhahri Hajer vom Muslimrat München anschließend in dem katholischen Gotteshaus zu Allah. Und weiter: „Oh Allah, hilf uns zu verinnerlichen, dass wir alle Kinder Adams sind, unabhängig von Nationalität, Religion oder Hautfarbe. Beschütze diese schöne Stadt und ihre Bewohner.“

Auch Kardinal Reinhard Marx, der den Gottesdienst gemeinsam mit dem evangelischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm feiert, hat zuvor in seiner Predigt betont: „Die ganze Stadtgesellschaft, Christen, Nichtchristen, alle Religionen, Konfessionen, Gläubige und Nichtgläubige sind gemeinsam Mensch. Das ist die Grundlage unseres Miteinanders. Und das dürfen wir nicht vergessen. Deswegen kann Abschottung und Misstrauen und Angst nicht das letzte Wort behalten.“ Die Trauergemeinde dürfe aber der Klage Raum geben, unterstreicht der Kardinal: „Warum ist es geschehen? Was bedeutet es für uns? Gott, wo warst du in dieser Stunde?“ Die Klagepsalmen seien ein wichtiger Teil der biblischen Botschaft. Eine solche Klage sei dieser Gottesdienst. Aus dem Geist der biblischen Überlieferung werde die Klage jedoch verwandelt in eine Haltung der Hoffnung und des „konstruktiven Widerstandes gegen das Böse, gegen die Angst, gegen das Misstrauen, gegen die Feindschaft unter Menschen, Konfessionen, Religionen und Kulturen“.

„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken … so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“, nimmt Bedford-Strohm in seiner Predigt Bezug auf die Stelle aus dem Matthäus-Evangelium, die er zuvor verlesen hat. „Für uns Christen sind diese Worte Jesu die große Hoffnung“, sagt der Landesbischof. Nach dem Erschrecken der Tatnacht, dem Versuch zu verstehen, was da eigentlich passiert sei, und den politischen Diskussionen über die richtigen Reaktionen darauf schaffe diese Hoffnung Raum zum Innehalten: „Denn uns alle bewegt die Frage, wie wir jetzt in die Zukunft gehen sollen, wie wir jetzt in die Zukunft gehen können.“ Die Politiker müssten das Risiko weiterer Gewaltakte so weit wie möglich begrenzen, die Medien müssten ihre Berichterstattung reflektieren und die Religionsgemeinschaften Quellen der Zuversicht erschließen. „Es gibt vielleicht nichts, was uns in dieser Situation mehr helfen kann als neues Gottvertrauen“, zeigt sich Bedford-Strohm überzeugt. Ein Vertrauen, aus dem ein „neues Bewusstsein für das wunderbare Geschenk des Lebens“ erwachsen könne.

„Nehmt das mit aus diesem Gottesdienst“, fordert der bayerische evangelische Landesbischof die Gottesdienstgemeinde auf – darunter neben den Angehörigen der Opfer Spitzenpolitiker wie Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sowie Polizisten, Sanitäter und andere Einsatzkräfte in ihren Uniformen. „Denkt daran, wenn ihr nach Hause geht“, schärft Bedford-Strohm den Anwesenden ein. „Es ist nicht selbstverständlich, dass wir leben, dass wir unsere Lieben bei uns haben.“ Deshalb sollten die Zuhörer die Zeit bewusst aus Gottes Hand annehmen und sie nutzen – wie die äthiopische Gemeinde, die in der Amoknacht mehr als sechzig Schutzsuchende beherbergt hat, oder ein Tunesier, der gestrandeten Menschen spontan angeboten hat, sie nach Hause zu fahren. Auch Kardinal Marx hat zuvor allen Helfern mit einem „herzlichen Vergelt’s Gott für das, was Sie in diesen Stunden geleistet haben“ gedankt. Und Bedford-Strohm führt aus: „Wir haben in diesen schweren Tagen erlebt, wie reich unser Leben wird, wenn wir aufeinander achten und zusammenstehen. Wenn wir nicht nach Hautfarbe, Nationalität oder Religion fragen, sondern nur danach, ob einer unsere Hilfe braucht.“

Nach seiner Predigt stecken zwei Mädchen und zwei Buben der Jungen Domkantorei Rosen in den grünen Kranz um die brennenden Kerzen. Und beim anschließenden Friedensgruß reicht ein ausländischer Bub dem Polizisten hinter ihm die Hand. Unter dem eindringlichen Geläut der Domglocken verlässt die Trauergemeinde nach einer Stunde die Frauenkirche – Bundeskanzlerin Merkel mit der Hoffnung, „dass Menschen daraus klug werden“. „Es ist auf jeden Fall der richtige Abschluss gewesen dieser Woche der Trauer“, sagte auch Oberbürgermeister Reiter. Ein – wie die Eltern des Amokläufers – aus dem Iran stammender Mann zieht aus der Gedenkfeier das Fazit, „dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren sollen: Das ist die Liebe gegenüber jedem Einzelnen, unabhängig davon, ob er an Gott glaubt oder nicht." (Karin Hammermaier)

Audio

Die Predigt von Kardinal Reinhard Marx

Kardinal Marx stellte die Hoffnung in den Mittelpunkt seiner Ansprache.

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Tod und Sterben