Flüchtling unterstützt Landsleute

Helfen statt Traumjob

Manchmal besucht der Iraker Melad Stefo an einem Sonntag drei Gottesdienste. Nach der Predigt erzählt er der Gemeinde von der Situation in seiner Heimat und versucht, neue Spender zu bekommen. Woher nimmt der 31-Jährige die Kraft, sich neben seinen drei Jobs für das Projekt „Young Messengers“ („Junge Boten“) zu engagieren?

Melad Stefo hat sein Lächeln nicht verloren (Bild: Lipp) © Lipp

München – Melad heißt übersetzt „Geburt“ – und „Weihnachten“. Ein arabisches Wort drückt aus, wofür es im Deutschen zwei braucht. Melad Stefo verdankt seinen Namen seinem Geburtsdatum. Am 20. Dezember kam er in Bakhdida zur Welt. Die Stadt in der Nähe von Mossul galt damals als Hochburg der Christen. Deren Muttersprache ist Aramäisch, „die Sprache Jesu“, ergänzt Stefo nicht ohne Stolz. Obwohl der Iraker kein einfaches Leben hat, strahlt er etwas von der Weihnachtsfreude aus, von der sein Name zeugt. Um den Hals trägt er einen Rosenkranz, den ihm seine Mutter geschenkt hat.

Seine Kindheit verbindet Stefo vor allem mit der Kirche. Selbst in den Ferien hätten alle Kinder einen christlichen Religionsunterricht besucht. Damals wuchs in Stefo der Wunsch, selbst mit Kindern zu arbeiten. In Mossul studierte er französische Literaturwissenschaft und wählte Psychologie als Schwerpunkt. Nebenbei engagierte er sich in der Kirche. Die Hochfeste bereitete er mit seinem Team kindgerecht vor, sie verbanden Katechese mit Spielen. Nach seinem Abschluss arbeitete er als Kinderpsychologe. Kurz darauf erhielt er einen Brief. Darin waren eine Pistolenkugel und die Sätze: „Sie sind am falschen Platz. Sie müssen die Stadt verlassen.“

Stefo erklärt die Drohung damit, dass man im Islam nicht gerne über Gefühle, Liebe und Sexualität spreche – alles Dinge, mit denen sich die Psychologie intensiv auseinandersetzt. Stefo entschloss sich zur Flucht. „Mein Ziel war nicht Deutschland“, bekennt er offen. In Straßburg hatte ihm ein befreundeter Professor einen Studienplatz zugesagt. Nachdem er aber in Deutschland Asyl beantragt hatte, durfte er das Land nicht mehr verlassen. „Vergiss Frankreich, ich lebe jetzt in Deutschland“, habe er sich gesagt. Wenn er von seinen gescheiterten Plänen erzählt, klingt er nicht verbittert. Zuerst kam er nach Nürnberg, dann nach Landshut.

Entweder diese Arbeit oder keine

Im Jobcenter wartete die nächste Enttäuschung. Der junge Mann, der sichtbar aufblüht, sobald er von Kindern und Jugendlichen spricht, bekam eine Stelle als Logistikfachmann bei BMW angeboten. Entweder diese Arbeit oder keine, war die Ansage. Inzwischen ist er seit über fünf Jahren dort tätig und sieht sogar Vorteile: Indem er mehr verdiene als bei einer Arbeit, in der er Kinder betreuen würde, könne er seine Familie besser unterstützen. Trotzdem jobbt der 31-Jährige zusätzlich in der Gastronomie und als Dolmetscher.

Seine Lieben nicht um sich zu haben, schmerzt ihn am meisten. Die Eltern sind auf der Flucht, der Vater ist krank geworden. Ein Bruder steckt in einem Flüchtlingslager in Jordanien fest, der andere lebt in München. Über das Schicksal ihrer Heimat sind die Christen seit der Eroberung der Stadt durch den sogenannten „Islamischen Staat“ am 6. August 2014 im Ungewissen. Ob sie eine Zentrale der Terrormiliz oder inzwischen von ihr wieder komplett verlassen ist? „Wir wissen es nicht“, resümiert Stefo. Eines aber sei sicher: Kein einziger Kirchturm der zwanzig Gotteshäuser stehe mehr.

Seine Leute lässt Stefo aber auch aus der Ferne nicht im Stich. Über das katholische Hilfswerk „Missio“ engagiert er sich für das Projekt „Young Messengers“ („Junge Boten“). Überhaupt möchte er viel lieber über sein Projekt als über sich selbst sprechen. Die Gruppe junger Iraker verteilt Hilfsgüter an Landsleute, die im Kurdengebiet im Nordirak in Flüchtlingslagern leben. Dafür geht Stefo von Kirche zu Kirche, um Spenden zu sammeln. Nach der Predigt erzählt er der Gemeinde von der Situation in seiner Heimat und versucht, neue Spender zu bekommen. Manchmal besucht der Iraker so drei Gottesdienste pro Sonntag. Die Hilfe der „Young Messengers“ komme direkt bei den Bedürftigen an, versichert Stefo. Jeden Monat erfährt er durch eine Auflistung und Quittungen, was mit dem regelmäßig geschickten Geld geschieht.

„Wenn du glaubst, kannst du alles machen“

Woher nimmt er die Kraft, mehrere Jobs auszuüben und sich gleichzeitig mit Herzblut für Flüchtlinge zu engagieren? „Ich bin voll gestresst“, gibt Stefo zu. Aber der Glaube gebe ihm die nötige Energie. Jeden Tag bete er, nicht krank zu werden, um den Anforderungen seines harten Arbeitsalltags weiterhin gerecht werden zu können. Seit zwei Jahren habe das nun schon geklappt. „Wenn du glaubst, kannst du alles machen. Alles!“, sagt der ehemalige Flüchtling mit Blick auf Matthäus 17,20: „Wenn euer Glaube auch nur so groß ist wie ein Senfkorn, dann werdet ihr zu diesem Berg sagen: Rück von hier nach dort!, und er wird wegrücken. Nichts wird euch unmöglich sein.“ Obwohl seine Familie ihren ganzen Besitz verloren hat, ist er überzeugt, dass sie einmal gemeinsam neu an-

fangen werden. Der materielle Verlust habe ihm gezeigt, worauf es im Leben ankommt: „Mein Wunsch ist es, wieder mit meiner Familie unter einem Dach leben zu können, egal wo.“ Wichtig ist ihm, das Kind in sich selbst wachzuhalten. Seine Abschlussarbeit hat er über den „Kleinen Prinzen“ von Saint-Exupéry geschrieben. „Darin habe ich analysiert, warum erwachsene Menschen die Welt so kompliziert machen.“ (tlp)

Nähere Informationen und Spenden-Möglichkeiten erhalten Sie bei Missio München, Telefon 089/51620.

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