Entscheider in Coronazeiten

"Gott trägt einen auch in schwierigen Fragen"

Staatsminister Florian Herrmann ist bekennender Katholik und und leitet den Corona-Krisenstab der Staatsregierung. Im Interview erzählt er, welche Rolle seine christlichen Werte dabei spielen.

Florian Herrmann (CSU) ist Leiter der Bayerischen Staatskanzlei und Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Medien. © imago images / Sven Simon

mk online: Herr Staatsminister, seit 4. Mai dürfen Gottesdienste wieder mit Gläubigen gefeiert werden. Waren Sie schon in der Messe?

Florian Herrmann: Am vergangenen Sonntag im Freisinger Dom. Zelebriert hat Weihbischof Bernhard Haßlberger. Wegen des Abstandsgebots waren natürlich viel weniger Menschen im Dom; alle hatten Masken auf. Das war natürlich ungewohnt. Aber im Übrigen war es eben ein schöner Schritt in die Normalität – mit Corona.

Hand aufs Herz, wie ist es denn dem Katholiken Florian Herrmann nach gut sieben Wochen ohne Gottesdienstbesuch ergangen?

Herrmann: In dieser Zeit lagen ja die Karwoche und die Osterfeiertage, das war schon ein echter Verzicht auf Gottesdienste, die eine wichtige Bedeutung für uns Katholiken und Christen haben. Aber in der Gesamtabwägung – also, welche Maßnahmen ergreifen wir, um das Infektionsgeschehen zu verlangsamen, wie verhindern wir, dass aus kirchlichen Begegnungen Infektionen werden – war das die richtige Entscheidung – trotz dieses deutlichen Verzichts.

Und wie haben Sie Ostern liturgisch gefeiert? Im Livestream oder mit einem Hausgottesdienst?

Herrmann: Mit dem Livestream des Herrn Erzbischofs.

Welche Erfahrung haben Sie dabei gemacht, das Hochfest lediglich via Livestream begehen zu können?

Herrmann: Ich habe früher schon Papst-Gottesdienste im Fernsehen angeschaut. Aber es ist natürlich nicht das Erlebnis der Gemeinschaft, es fehlt das Wahrnehmen der sinnlichen Eindrücke vom Weihrauch über die Hostie bis zum Friedensgruß. Das ist schon deutlich weniger im Vergleich zum normalen Gottesdienst, aber es ist eine interessante Erfahrung.

Was glauben Sie: Wird zukünftig mehr gestreamt?

Herrmann: Ich habe den Eindruck, dass wir in allen Lebensbereichen gerade die Vorteile von Online-Kommunikation, von Video-Konferenzen und Ähnliches schätzen lernen. Ich denke, es wird in vielen Lebensbereichen so bleiben, auch wenn man natürlich die Grenzen dieser technischen Möglichkeiten feststellt. Persönliche Kontakte fehlen genauso wie die gemeinschaftliche Feier im Gottesdienst. Auch das Sich-darauf-Einlassen, in die Kirche zu gehen, ist schon etwas ganz anderes, als im Wohnzimmer nebenbei drei Sachen zu machen. Von daher glaube ich: Es wird bereichern, aber kein Ersatz sein.

Sie sind Leiter des Bayerischen Corona-Katastrophenstabes, Sie entscheiden, welche Lockerungen, welche Verschärfungen es geben muss, tagtäglich und das seit über sieben Wochen. Wie sehr lastet diese Verantwortung auf Ihnen?

Herrmann: Es ist natürlich nicht meine alleinige Entscheidung, sondern auch die des Kabinetts unter Leitung des Ministerpräsidenten. Das ist eine Aufgabe, der ich mit sehr, sehr großem Respekt entgegentrete. Beispiel: Wenn man einen Bericht aus dem Elsass liest, wo zur höchsten Krisenzeit über 80-jährige Corona-Patienten nicht mehr zu den Ärzten kommen, sondern sofort nur noch palliativ behandelt werden. Oder: Mein Schwager ist Oberarzt und erzählt, wie sie in der Klinik eine Triage-Schulung hatten. Da bekommt man sehr großen Respekt vor der Aufgabe. Denn unser oberstes Ziel ist natürlich immer, jedem Menschen, egal ob jung oder alt, egal ob pumperlgesund oder erkrankt, die normale medizinische Versorgung zu gewährleisten.

Inwieweit lassen Sie sich von Ihrem christlichen Grundverständnis, von Ihren christlichen Werten leiten?

Herrmann: Es hat doppelten Einfluss. Der erste ist die christliche Grundausrichtung, dass jedem Menschen geholfen werden muss, unabhängig von Alter oder Vorerkrankung. Alles andere ist menschenverachtend. Zum anderen die christliche Überzeugung, dass man anderen in der Not hilft. Wir haben Patienten aus Italien aufgenommen und haben das auch den Franzosen und Südtirolern angeboten – selbst in der kritischen Phase, als wir noch Intensivbetten aufgebaut haben. Der zweite Aspekt: Man muss ein gewisses Gottvertrauen bei all diesen Aufgaben haben. Man weiß, man ist nicht allein bei diesen schweren Entscheidungen: Gott trägt einen auch in schwierigen Fragen.

Besonders betroffen und getroffen in dieser Corona-Pandemie sind Menschen, die in Alten-, Seniorenheimen und Krankenhäusern sind. Jetzt wurde es ja gelockert, aber wochenlang lebten Senioren wie im Gefängnis, viele haben sich aufgegeben. War das verantwortbar?

Herrmann: Dieser Bereich bringt das ganze ethische Dilemma sehr deutlich zum Ausdruck. Wir sind sehr verantwortungsvoll und auch unter Abwägung aller Aspekte mit der Frage umgegangen, weil es um die körperliche Gesundheit der Menschen geht, aber auch um die psychische Gesundheit –, beides ist relevant. Senioren zählen zur Risikogruppe, darum mussten wir in der Phase, in der es darum ging, die Infektionen massiv zu drücken, relativ umfassende Besuchsbeschränkungen erlassen. Jetzt, wo wir in der Entwicklung eine Phase weiter sind, können wir auch diesen Bereich wieder lockern.

Was machen derart harte menschliche Entscheidungen mit Ihnen ganz persönlich?

Herrmann: Man merkt schon, dass es jetzt politische Entscheidungen von anderem Gewicht sind. Wenn man die Verantwortung ernst nimmt, also wirklich alle Aspekte und Auswirkungen in den Blick nimmt, sich umfassend beraten lässt, dann kann man guten Gewissens Entscheidungen treffen.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wie wird die Kirche, die Gesellschaft Ihrer Meinung nach aussehen, wenn wir diese Krise überwunden haben?

Herrmann: Das ist eine schwierige Frage. Ich bin immer optimistisch, grundoptimistisch! Ich glaube, dass diese gesamte Situation für unsere Gesellschaft außerhalb und innerhalb der Kirche ein Charaktertest ist, weil sich zeigt, wer in so einer schwierigen Situation nur seinen eigenen Vorteil sieht oder solidarisch ist. Momentan würde ich sagen, dass wir diesen Charaktertest überwiegend sehr gut bestehen. Aber ich glaube schon, dass diese Erfahrung unsere Generation prägen wird. Und ich, der ich in der katholischen Kirche sozialisiert bin, wünsche mir, dass die Kirche jetzt, wo die Menschen wieder mehr über existentielle Fragen nachdenken, wieder mehr Zulauf bekommt.

Die Autorin
Susanne Hornberger
Münchner Kirchenzeitung
s.hornberger@michaelsbund.de

Dieser Artikel gehört zum Schwerpunkt Corona - Pandemie