Experten: Mehr Hilfe für pflegende Angehörige

"Gesetz ist ein Flop"

Seit einem Jahr gelten die neuen Regeln für berufstätige pflegende Angehörige: Sie haben seit 2015 das Recht auf eine berufliche Auszeit von bis zu zwei Jahren, ohne dabei Angst um ihren Job haben zu müssen. Nur wenige nutzen das.

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Berlin - Ein Jahr nach Inkrafttreten der neuen Familienpflegezeit fordern Politiker und Experten bessere Hilfen für pflegende Angehörige. "Das Gesetz ist ein Flop", sagte die pflegepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Elisabeth Scharfenberg, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Es geht nicht nur an der Lebenswirklichkeit der meisten vorbei - sämtliche Lasten bleiben auch an den Angehörigen hängen."

Die Regelungen für die zehntägige Pflegeauszeit seien zudem viel zu aufwendig: "Die meisten Angehörigen lassen sich lieber ein paar Tage krankschreiben, als bei den Kassen umständlich eine Pflegeauszeit zu beantragen", so Scharfenberg. Auch die Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), Christel Bienstein, übt deutliche Kritik an den Regelungen: "Die Zahlen sind enttäuschend. Wir müssen davon ausgehen, dass das Gesetz nachgebessert werden muss", sagte die Pflegewissenschaftlerin. Viele könnten es sich nicht leisten, eine berufliche Auszeit zu nehmen, auf Lohn zu verzichten, sich zu verschulden und später auch noch das Darlehen zurückzuzahlen. Bienstein ist gleichzeitig Vorsitzende des Beirats für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf des Bundesfamilienministeriums.

Lösung mit Lohnersatz

Beide Pflege-Expertinnen sprachen sich für eine Lohnersatzleistung für pflegende Angehörige nach dem Modell der Elternzeit aus: "Sicherlich könnten berufstätige Angehörige mit einer 'Elternzeit für Ältere' und einem Lohnersatz aus Steuermitteln gezielter unterstützt werden", so Bienstein. Auch Scharfenberg befürwortet das: "Eine Lösung mit Lohnersatz ist in jedem Fall wichtig - wir sollten Kinder und Alte nicht gegeneinander ausspielen."

Von den Möglichkeiten der zum Jahresbeginn 2015 eingeführten neuen Regelungen zur Pflegezeit und zur Familienpflegezeit haben im ersten Jahr nach der Einführung deutlich weniger Menschen Gebrauch gemacht als erwartet. Nach Schätzungen des Familienministeriums nutzten etwa 6.000 Personen die Möglichkeit, bis zu zehn Tage eine bezahlte Auszeit vom Job zu nehmen, um kurzfristig Pflege für Angehörige zu organisieren. Nur 313 Personen haben demnach bisher ein zinsloses Darlehen in Anspruch genommen, das das fehlende Einkommen ausgleichen soll, wenn pflegende Angehörige für mehrere Monate aus dem Beruf aussteigen oder ihre Stundenzahl reduzieren. Auch der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, kritisierte die Familienpflegezeit scharf. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) nannte er die Zahlen "alles andere als eine Erfolgsbilanz". (kna)