Michael Winkelmann hat das neue Buch "Last Christmas - Weihnachten in der Popmusik" herausgegeben. Im Interview spricht der Referent für Programmentwicklung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt darüber, warum Weihnachtspopsongs die Geburt Jesu meist ignorieren und welcher Titel mal auf dem Index stand.
Herr Winklmann, stimmt das Gerücht, dass "Last Christmas" - das wohl berühmteste Weihnachtspoplied überhaupt - eigentlich zu Ostern erscheinen sollte?
Michael Winklmann: Nein, es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass das Lied ursprünglich "Last Easter" hätte heißen sollen. Ich weiß auch nicht, woher das Gerücht rührt. Es ist aber weit verbreitet und sagt Wesentliches über den Titel aus: Denn es könnte dieses Gerücht ja nicht geben, wenn man den Song nicht einfach unter anderer Überschrift singen könnte, wenn also "Last Christmas" etwas mit Weihnachten zu tun hätte.
Wie meinen Sie das?
Winklmann: Es geht in "Last Christmas" ja um eine unglückliche Liebesbeziehung. Um davon zu erzählen, braucht es kein Weihnachtsfest. Aber klar: Vor dem Weihnachtshintergrund bekommt Liebeskummer eine größere Fallhöhe. Das Fest wird also funktionalisiert.
Dabei gilt Weihnachten doch als "Fest der Liebe".
Winklmann: Ja, weil es das Fest der Geburt Jesu ist, den Gott aus Liebe zu den Menschen zu deren Erlösung auf die Erde gesandt hat.
... wovon in den meisten Weihnachtspopliedern keine Rede ist, wie in Ihrem Buch steht. Warum nicht?
Winklmann: Zunächst mal: Das ist kein neues Phänomen. Denken Sie an "O Tannenbaum". Das Werk mit Wurzeln im 16. Jahrhundert wurde Anfang des 19. Jahrhunderts zum Weihnachtslied. Darin stehen Naturbeschreibungen und Nachdenklichkeit, aber keine religiösen Bezüge. Dasselbe bei "Jingle Bells", das 1889 als erstes Weihnachtslied überhaupt auf einem Tonträger aufgenommen wurde - das ist eigentlich ein Lied über ein Schlittenrennen. Andererseits gilt: Es gibt durchaus Weihnachtspopsongs, die sich mit dem religiösen Charakter des Festes ernsthaft auseinandersetzen, etwa von John Fahey und Sufjan Stevens. Aber das ist kein Mainstream.
Wieso also verzichten "Jingle Bells" und Co. auf Jesus?
Winklmann: Vielleicht wird der religiöse Hintergrund einfach vorausgesetzt. Insbesondere früher dürfte das gegolten haben. Außerdem sollen Weihnachtspoplieder sich natürlich verkaufen und deshalb möglichst viele Menschen ansprechen, nicht nur Christen. Hinzu kommt: Popkultur knüpft an die Umstände an, unter denen viele Menschen leben - und viele Menschen feiern Weihnachten seit jeher nicht nur als religiöses Fest, sondern vor allem als Fest der Familie. Was ja auch historisch passt: Die frühe Kirche hat Weihnachten nicht zelebriert, das Fest entstand später durch Integration saisonaler Feiern wie der Wintersonnenwende.