Wohnungsnot in München

Fast unlösbare Herausforderung

Wer kann sich noch eine Wohnung in der bayerischen Landeshauptstadt leisten? Gerade Familien und Rentner stoßen bei den teuren Preisen für Miet- und Eigentumswohnungen oft an ihre finanziellen Grenzen. Was für Auswirkungen hat der "Wohnwahnsinn" auf den sozialen Frieden? Wir fragten nach bei Norbert J. Huber von der Caritas.

Norbert J. Huber ist Geschäftsführer der Caritas-Zentren München Stadt/Land. (Bild: Caritas) © Caritas

MK: Der Wohnraum in der bayerischen Landeshauptstadt zählt zu den begehrtesten in ganz Deutschland. Doch es wird immer schwieriger, hier eine bezahlbare Bleibe zu finden. Wie beurteilen Sie die derzeitige Entwicklung in und um München?

HUBER: Diese Entwicklung wird in einer der am stärksten wachsenden Metropolregionen Europas in den nächsten Jahrzehnten anhalten. Die hohe wirtschaftliche Attraktivität zieht Menschen und Firmen magisch an. Trotz vieler Anstrengungen der Stadt bleibt bezahlbarer Wohnraum eine fast unlösbare Herausforderung. Bund, Länder, Kommunen und auch gemeinnützige Organisationen wie die Kirchen und Wohlfahrtsverbände müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um bezahlbare Wohnungen zu schaffen, sonst wird der soziale Friede gefährdet. Die Mitte der Gesellschaft sieht sich zunehmend vom Abstieg bedroht, und es werden bislang nur einfache Lösungen gesucht, die es aber nicht gibt.


MK: Besonders Familien haben es unter diesen Bedingungen schwer in München. Wie findet man mit zwei oder mehr Kindern hier noch Wohnraum?

HUBER: Nur mit sehr guten Einkommen oder sehr langen Wartezeiten für eine Sozialwohnung. Für die anderen Familien, die einen bezahlbaren Wohnraum suchen, bedeutet dies, entweder auf kleinsten Raum zum Beispiel in einer 55-Quadratmeter-Wohnung mit zwei bis drei Kindern zu leben. Da sind Konflikte vorprogrammiert, Lernen für die Kinder nur stark eingeschränkt möglich. Oder alle Familienmitglieder arbeiten, eventuell in mehreren Jobs. Haushalte mit geringen Einkommen müssen sich sehr stark einschränken, kein Urlaub und geringe Mobilität sind die Folgen.

MK: Bei der jüngsten bayerischen Armutskonferenz wurde die Situation auf dem Wohnungsmarkt als konkretes Armutsrisiko bezeichnet. Hier sind auch viele Rentner betroffen ...

HUBER: Kinder sind immer noch das größte Armutsrisiko, eine Schande für ein wohlhabendes Land. Bezahlbarer Wohnraum liegt für Geringverdiener bei zehn Euro pro Quadratmeter. Dies geht nur mit öffentlicher Förderung. Investoren sehen hier keine Gewinne. Der Markt ist nur für die Reichen da. Die Altersarmut ist vorhersehbar. Zusätzliche Leistungen aus der Rentenversicherung für Nichteinzahler müssen steuerfinanziert werden. Die Gefahr ist hoch, dass weitere Gruppen an den Rand gedrängt werden wie jetzt bereits schon Wohnungslose und Migranten.

MK: Wie kann die Caritas, wie die Kirche generell hier gegensteuern?

HUBER: Wir dürfen nicht müde werden, über die von der Politik mit großer gesellschaftlicher Akzeptanz zunehmende Umverteilung von unten nach oben durch ein ungerechtes Steuersystem entgegenzusteuern. Die Schere zwischen Arm und Reich ging in den vergangenen Jahrzehnten noch nie so schnell und weit auseinander. Zum anderen ist es wieder wie nach dem Zweiten Weltkrieg eine selbstverständlich wahrzunehmende Aufgabe der Kirchen, der Siedlungswerke und auch der Caritas, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dazu müssen wir zum Beispiel unsere Bauabteilungen und Vermögensverwaltungen in diese Lage versetzen.


MK:
Welche langfristigen Auswirkungen auf das Münchner Gemeinwesen befürchten Sie bei einer gleichbleibenden Entwicklung?

HUBER: Sollte es nicht gelingen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, so brauchen wir uns über zunehmende Verdrossenheit und Radikalisierung von gesellschaftlichen Gruppen bis hin zu massiven Spaltungen nicht wundern. Der Sozialstaat muss wieder mehr und nicht weniger seinen Aufgaben nachkommen. Das bedeutet, die Steuern müssen von allen gesellschaftlichen Gruppen nach deren Leistungsfähigkeit zugunsten des Gemeinwohls erhoben werden. (Interview: Florian Ertl)

Immer mehr Menschen ziehen nach München, immer mehr brauchen bezahlbaren Wohnraum. Waren laut offiziellen Angaben im Jahr 2014 noch 1.489.195 Bewohner gemeldet, lebten 2015 bereits 32.483 mehr in der Landeshauptstadt, Tendenz steigend. Bis zum Jahr 2030 rechnet man in der Verwaltung mit einem Zuzug von mehr als 200.000 Neubürgern. „München platzt“ lautet inzwischen ein gängiger Ausdruck. Diese Entwicklung wirkt sich auch entsprechend auf dem Wohnungsmarkt aus: Der durchschnittliche Mietpreis in München liegt bei rund 16 Euro pro Quadratmeter. Der niedrigste Wert wird im Münchner Mietspiegel 2016 mit 12,19 Euro beziffert, im teuersten Bereich liegt der Spitzenwert bei 19,15 Euro pro Quadratmeter. Auch bei den Eigentumswohnungen hält der Wohnwahnsinn an: Im Mittel kostet ein Quadratmeter Wohnung um die 6.000 Euro. In Top-Lagen in der Innenstadt werden aber auch schon 11.000 Euro pro Quadratmeter bezahlt.