Gedenktag des Hl. Don Bosco

Ein Sammler der Augenblicke

Der Salesianer Hans Borchardt hat in seinem Leben so einiges erlebt und viel gemacht. Dabei hat er auch die Situation vieler Jugendlicher positiv beeinflusst.

Hans Borchardt ist zuständig für die Chronik der Einrichtung Don Bosco Aschau am Inn. © SDB/Jaeger

Aschau am Inn – Regale voll mit Leitz-Ordnern, hölzerne Karteikästen, lose herumliegende Dias und Ablageschränke – das ehemalige Büro von Salesianerbruder Hans Borchardt in Aschau am Inn zeigt noch immer die Spuren seiner archivarischen Tätigkeit. „Ich bin einer, der schon immer Sachen zusammengehalten hat“, sagt er und lächelt verschmitzt, die Hände vor seinem Bauch verschränkt.

Die Aufgabe des Sammlers und Bewahrers von großen und kleinen Augenblicken ist ihm 2006 in den Schoß gefallen. Seitdem kümmert er sich um die Chronik der Einrichtung Don Bosco Aschau am Inn. Er macht selbst Fotos, archiviert Bilder von sich und anderen auf dem Computer und fragt unermüdlich und überall nach Kopien von Texten und Artikeln, die zu seiner Heimat-Einrichtung erschienen sind. Und jedes Jahr erstellt er eine Chronik, auch wenn er schon längst im wohlverdienten Ruhestand ist.

„Immer, wenn etwas war, habe ich mich gleich abends hingesetzt und alles in den Computer eingegeben“, erzählt er. Als Archivar mag er aber nicht so gerne bezeichnet werden. Das sei ein Begriff, der auf ihn nicht ganz zutreffe. „Ich schreibe zwar die Chronik und sammle alles, was damit zusammenhängt, aber ein Archivar hat wesentlich mehr Kompetenzen und bekommt viel mehr mit. Ich muss sehr aufmerksam sein, damit ich das, was ich für die Chronik brauche, auch tatsächlich bekomme.“

Die Dinge zusammenhalten

Geschichte interessiert den 83-Jährigen, der ursprünglich aus Berlin kommt, sehr. Vielleicht hängt das mit seinem Lebensweg zusammen, der stark durch den zweiten Weltkrieg geprägt wurde. Geboren im Januar 1937 fiel seine Kindheit und ein Großteil seiner Jugend in die Kriegs- und Nachkriegszeit. Als Ältester von neun Geschwistern hat er schon als kleiner Junge die Dinge zusammenhalten müssen.

„Wir waren ja im Krieg auf der Flucht und da waren wir schon vier Kinder. Da habe ich natürlich viel Verantwortung übernehmen müssen“, erzählt Hans Borchardt. Sein Bruder Georg ist 1945 während der Flucht in einer Bäckerei in der Ortschaft Schmiedeberg auf die Welt gekommen. „Die Hebamme hat gesagt: Den, wenn‘s gleich in den Straßengraben legen, dann ist es dasselbe“, erinnert er sich. „Aber er ist groß und stark geworden“, fügt er hinzu und hat wieder sein leicht verschmitztes Lächeln im Gesicht.

 „Insgesamt ist so etwas prägend“, glaubt auch er. „Ich musste ja auf die Geschwister aufpassen, während die Mutter sich um Lebensmittelmarken gekümmert hat und um die Aufenthaltsgenehmigung. Und noch dazu war ihr zweiter Ehemann bei der SS und wenn das einer herausgefunden hätte, dann wäre es uns sehr schlecht gegangen!“

Schikanös behandelt

Borchardt erinnert sich noch sehr gut an die schwere Zeit: an die Hilfe, die sie erfahren haben, aber auch an die Probleme, da Flüchtlinge häufig nicht willkommen waren, wie in Weizenberg bei Bamberg. „Uns wurden dort zwei Dachkammern auf einem Bauernhof zugeteilt. Meine Mutter war evangelisch und wenn sie nicht in die Kirche gegangen ist, hat es geheißen: „Die geht ja net einmal in die Kirch“, oder wenn sie in die Kirche gegangen ist, dann hieß es: „Was möchte denn die Lutherische in unnerer Kern?“.

Hans Borchardt, normalerweise nicht aus der Ruhe zu bringen, verfällt beim Erzählen in einen Dialekt und die Gemütlichkeit, die er eigentlich ausstrahlt, ist kurz verschwunden. „Die haben uns teilweise schikanös behandelt“, sagt er und so richtig kann er es bis heute nicht verstehen. Seine Mutter habe das aber alles weggesteckt. Sie habe sich nicht unterkriegen lassen. Im Gegenteil: Als der Vater aus der Kriegsgefangenschaft heimgekommen sei, hätten sie gesagt: Wir bauen. In einer Situation, wo es nur 138 Mark im Monat gegeben habe. Borchardts Stimme klingt auch heute noch erstaunt. „Dann sind wir spazieren gegangen und haben einen Bauplatz gesucht: Da wär‘s schön und dort und da auch…“ 

Seine Eltern hätten als erste in dem Dorf ein Haus gebaut. Der Vater habe die Grube mit dem Spaten ausgehoben und die Mutter habe alles zusammengekratzt, so dass die Handwerker bezahlt werden konnten. Und wenn sie sich entschuldigte, dass es nur so klein klein ginge, hätten die Handwerker gesagt: wenn nur alle so zahlen würden wie sie!

Studieren und Priester werden

Das Beste aus einer Situation zu machen, hat Bruder Borchardt wohl von seiner Mutter gelernt. Zur Zeit des Hausbaus war er schon bei den Salesianern im Canisiusheim in Bamberg und später dann in Ensdorf in der Oberpfalz, wo er eine Lehre zum Herrenschneider begann. „Ursprünglich wollte ich studieren und Priester werden, aber aufgrund dessen, dass meine Mutter ein zweites Mal verheiratet war, war das damals nicht möglich“.

Dass er dennoch mit dem Schneiderberuf und der Entscheidung, in den Orden der Salesianer einzutreten, glücklich geworden ist, zeigt die Begeisterung, mit der er von seiner Arbeit mit den Jugendlichen und seinem Leben im Ordern berichtet. Nach seiner Gesellenprüfung 1955 trat er als Novize bei den Salesianern Don Boscos in das Noviziat ein. Danach ging es gleich weiter nach Waldwinkel, denn dort wurde ein Geselle gebraucht.

Musik und ein geordnetes Leben

In Waldwinkel fand Hans Borchardt sein Stück Heimat. Er ließ sich nebenher zum Heimerzieher ausbilden, legte seine Meisterprüfung als Schneider ab, bildete Lehrlinge aus, aber vor allem machte er ganz viel Musik. Er spielte nicht nur ein Blasinstrument, sondern gleich mehrere und konnte, je nachdem was gerade benötigt wurde, Tuba, Flügelhorn, Tenorhorn oder Trompete spielen. Als später ein Dirigent gesucht wurde, hat er dann auch dirigiert. Er marschierte bei Musikfesten mit der Jugend mit und dirigierte am Ende die Stadtjugendkapelle Mühldorf. So kam es auch, dass er eine starke Verbindung zur Gemeinde von Aschau am Inn aufbauen konnte. „Ich bin mit der Blaskapelle durch den Ort marschiert und die Jugendlichen haben mitgespielt. Und ich singe mit dem Chor auf Beerdigungen, daher kennen mich natürlich viele“, erklärt Borchardt bescheiden.

Mehr als zehn Jahre lang hat er in Aschau Musik mit den Jugendlichen gemacht. „Die Musik und auch dieses geordnete Leben war für manche von ihnen das Ausschlaggebende, dass sie dann ihre Prüfung gemacht haben und gut im Leben zurechtgekommen sind“, weiß er.

Die wichtigsten Momente

Wenn einer seiner damaligen Schützlinge heute zurückkommt zu einem Ehemaligentreffen und erzählt, was er jetzt so macht, dann ist Hans Borchardt glücklich. Das seien ihm die wichtigsten Momente. „Ich hatte einen Jugendlichen, der in Würzburg in der heilpädagogischen Abteilung untergebracht war und als aussichtslos galt. Aber hier ist er durchgekommen. Er hat seine Prüfung gemacht und ist Chef von einer Garderobe geworden. Zunächst in Berlin am Schillertheater“, erinnert sich Bruder Borchardt mit leuchtenden Augen.

Dass er immer noch gut darin ist, Dinge zusammenzuhalten, zeigen die vielen Anfragen nach Fotos aus seinem Archiv. In den letzten Monaten hatte Hans Borchardt viel zu tun. Die Chronik zum 70. Geburtstag von Don Bosco Aschau am Inn musste fertig werden: Bilder heraussuchen, Informationen und Zahlen zusammentragen. Zum runden Jubiläum wird Hans Borchardt noch vielfach gefragt sein – als Chronist oder einfacher: als ein Sammler der Augenblicke. (Pia Jaeger)